Название | Vorspiele |
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Автор произведения | Markus A. Sutter |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783906907468 |
Es war Mittag. Der Verkehr für eine halbe Stunde zum Erliegen gekommen. Über der Teerstrasse flirrten und flimmerten die Spiegelungen der Hitze. Die Zeit stand still. Niemand wagte, die zähe Ruhe zu stören. Bis von der Kuppe ein Moped surrte. Den ganzen Morgen hatte Meret an der Töpferscheibe gesessen, Ton zentriert und geformt. Nun genoss sie das Ausfahren, den Fahrtwind, die Freiheit und das insektengleiche Surren des Motors, der auf dem Schutzblech des Vorderrades sass wie ein kleiner Tornister. Von Weitem schwenkte sie den Männerhut. Die leicht rötlich gefärbten Haare flatterten, die weisse Bluse plusterte sich im Fahrtwind auf zu einer Glocke. Die Schösse der Weste klatschten hin und her wie kleine Flügel eines Wasservogels. Sie fuhr an den Granitstein des Trottoirs, stützte mit dem rechten Fuss auf und legte das andere Bein quer in den Rahmen. Sie trug hohe, gelbe, stellenweise grau abgewetzte Schnürschuhe mit gerillten Sohlen. Die verwaschenen Jeans reichten nur bis zur Wade und liessen das Muschelweiss ihrer Haut hervorblitzen. Sie hatte wieder einmal eine Nachricht zu verkünden. Im Kleintheater spiele Isla mit seinem Trio, rief sie. Das müsse man gehört haben. Wir verstanden nichts. Isla war uns kein Begriff. Entschlossen nahm sie einen Bildband vom Gepäckträger, kam die Treppe hochgerannt und stand schon in der Küche. Die nussbraunen Augen weit aufgesperrt. Die Wangen pflaumenviolett überschossen. Isla, der Bassist, und sein Trio. Das sei ein Muss.
»Natürlich kommen wir. Am Samstag?«
Sogleich war sie beim nächsten Thema. Sie hatte in den Tagesmeldungen von Überschwemmungen gehört. Entsetzte sich über Ungerechtigkeiten und den zeitlichen Verzug der Hilfslieferungen. Kinder waren betroffen. Tränen stürzten ihr aus den Augen. Ihre Gesichtshaut wurde gefleckt. Dann zeigte sie den Bildband her. Sie habe ihn nur ausgeliehen. Müsse ihn unbedingt kaufen. Wahnsinnig, die Schönheit dieser Menschen, schwärmte sie. Im Band waren absonderliche Gestalten abgebildet. Verwachsene, Gebuckelte, Riesen und Zwergwüchsige, Ausschnitte von Füssen mit Schwimmhäuten, von Brüsten mit vielen Warzen, von Frauen mit nabellangen schwarzen Bärten. Meret fieberte. Die Wangen noch nass von Tränen, lachte sie wieder. Vor Freude. Ergriffenheit. Klingendes Schellen und kehliges Gluckern lösten sich ab. Sie vergass die Umgebung. Bei jedem Umblättern wurde es wahnsinniger. Die Lippen waren aufgeschwollen. Sie bekam etwas Stülpnasiges und Lüsternes. Mitten in der Betrachtung griff sie nach Wanners Uhr. Ich muss gehen, rief sie. Rannte los, startete das Moped. »Bis Samstag«, schrie sie, schwenkte den Hut und weg war sie.
Als ich sie am Abend mit Wanner in ihrer Töpferwerkstatt abholte, waren die Lippen wieder schmal, das Flackern in den Augen dem ruhigen Blick gewichen. Die Stirn gesenkt, drehte sie in die feuchte, gestaltlose Masse von Lehm luftleichte Formen von Vasen und Krügen.
Wie weit deine Hände bei der Wohnungssuche mit im Spiel waren, habe ich nie erfahren. Ob du Meret angerufen oder sie anders kontaktiert hast, blieb mir verborgen. Vielleicht hätte Wanner mehr gewusst. Wir anderen kümmerten uns nicht darum. Wir nahmen das Angebot des Hauses als Geschenk, ohne seine Herkunft zu hinterfragen.
Der Samstag kam. Meret meldete, sie habe Barbara, Danielle und weitere Freunde ins Küngelhaus zum Essen eingeladen. Sie müsse noch einiges erledigen, bringe einen Nachtisch mit, um drei sei sie zurück. Und schnurrte mit dem Moped dahin. Stüten war mit dem Opel Kadett auf Einkaufstour gegangen, den gemeinsam erstellten Warenzettel in der Brusttasche seiner Military-Jacke. Troller per Postauto zum Stadtbahnhof gefahren, um sich dort für eine Stunde eine Kabine mit Badewanne zu mieten – weisse Frotteetücher sowie Duftmittelchen inbegriffen – und sich aufzupeppen, damit die Haare auf das Wochenende hin wieder wehten und seine Wangen glänzten. Wanner dagegen hörte sich in einem der oberen Küngelhauszimmer unzählige Male die ewig selbe Schallplatte an, um an seinem Instrument die Basslinien nachzuspielen. Ich selber verschwand im Höhlendunkel des Proberaums und kletterte im Lichtspalt des Spotlichts penetrant die immer gleichen Bluestonleitern hinauf und hinab.
Jetzt stand der Tisch unter dem Pflaumenbaum bereit. Barbara, Danielle und Freunde waren angekommen. Meret hatte Kuchen mitgebracht. Wir tranken Kaffee. Reichten Gitarren herum. Holten Schlaginstrumente. Es wurde gejammt, gesungen, gequatscht, gelacht und gekocht. Als Wanner eine Basslinie zu summen anfing, stimmten alle ein. Abwechselnd übernahmen wir die Soli, eine Gitarre oder ein Saxofon imitierend. Applaus nach jedem Einsatz. Troller schüttelte ein wildes Zwischenspiel auf die Bongos.
Für mich war der Moment gekommen. Den Gesang auf den Lippen, verdrückte ich mich ins obere Zimmer, legte die Kleider ab und zog den Bademantel über. Eben schwoll der Chorus in voller Stärke durch die Eingangstür, als ich ungesehen vorbeiglitt und die Kellertreppe hinunterstieg. Die Tür zur alten Waschküche stand halb offen. Das spärliche Licht, das durch einen vergitterten Schacht sickerte, liess die Wände, den Waschtrog, die Abdeckung des Abflusses zementgrau erscheinen. Hinter der Tür stand die milchweisse Badewanne, am Kopfende bewacht von der dunklen Säule eines Kupferkessels. Ich hatte am frühen Morgen Wasser eingefüllt und Feuer gemacht. Jetzt öffnete ich den Schwenkhahn, liess heisses Wasser in die Wanne strömen und goss Badeessenz nach. Weisser Schaum quoll auf und erklomm die Wannenwände. Als ich einstieg, schwappte das Wasser über, spritzte über den Holzrost und überschwemmte einen Teil des Bodens, der dunkel eingefärbt wurde. Der überschüttete Schaum zeichnete flüchtig fliessende Figuren in den Grund. Ich schmiegte mich in die Wannenwölbung. Die Beschichtung war an einigen Stellen abgeplatzt und kratzte. Ich legte den Nacken in den weichen Bogen der Umrandung und spürte am Hinterkopf die Wärme des Kupferkessels. Ich schloss die Augen, hörte das Knittern von Schaumblasen und hinter dem Knistern das ferne Klirren von Geschirr, die gezupften Töne der Gitarren, die wie durch einen Schleier gedämpften Stimmen der Küngelhäusler und Gäste, das Summen der Gasleitung und das stete Pochen von Schritten in der Küche.
Ich musste einige Momente dösend im Dämmer gelegen haben. Als ich den Blick wieder schweifen liess, meinte ich den Augen nicht trauen zu können. In der hintersten Ecke der Waschküche bemerkte ich drei Schlachtkörper von Küngeln. In der Geschäftigkeit des Feuerns und des Wassereinlassens hatte ich sie offenbar übersehen. Ich stierte entsetzt über den Wannenrand auf die zerschlagenen Schädel, auf die von der Wäscheleine hängenden blauen Leiber, das geäderte, glänzende Fleisch, die schwarzen Lachen und Rinnsale am Boden. Gespenstisch schienen sie noch zu baumeln. Offensichtlich hatte der Vermieter drei Küngel für einen Festtagsbraten veräussern können und liess sie in der Waschküche abhängen. Ich hatte gemeint, in ein Badehaus gestiegen zu sein und war in Wirklichkeit im dampfenden Bottich eines Schlachthauses gelandet. Schnell wusch ich mir die schulterlangen, verknoteten Haare, tauchte der Länge nach unter, spähte in einer Art makabrer Lust über den Rand, ob sie noch da waren. Ich spülte Schaum und Seife unter dem Schwenkhahn heraus und zog den Spund. Während sich das Wasser über den Boden ergoss und durch die Ritzen des Schachtes strudelte, frottierte ich mich, warf mich in den Bademantel und glitt in die Hausschuhe. Noch einmal zwang mich eine gruslige Gier, sie zu sehen. Sie baumelten noch immer. Es schauderte mich. Ob vor Kälte oder vor Abneigung, dass ich hier gebadet hatte, wusste ich nicht. Ich rannte die Treppe hoch,