Vorspiele. Markus A. Sutter

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Название Vorspiele
Автор произведения Markus A. Sutter
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783906907468



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       Das Angebot

      Es lag im Graben zwischen zwei Hügelflanken. Die eine Seite war der Beginn eines Anstiegs, der zu einer Erhöhung mit Sicht auf das Flusstal führte. Auf der anderen Seite streckte eine auslaufende Moräne ihre von Ranken und Buschwerk belegte Zunge in die Ebene und trennte den Grabengrund von einer tiefen Furche. Das Brunnenhaus war von den steilen Flanken mit ihrem in der höheren Lage beginnenden Nadelwald beschützt und bedrängt zugleich. Von den Sprossenfenstern des Hauses ging der Blick auf einen weiten Bogen des Bahntrassees. Das Dorf lag dahinter, die Häuser an der Schnur der Hauptstrasse aufgefädelt wie Perlen. Die Signalpfiffe der Züge liessen Verbindungen zu den Stadtbahnhöfen vermuten, ebenso Beziehungen zu den einzelnen Gliedern des Dorfes. Eine Schmiede, ein Lebensmittelladen, eine Tankstelle und eine Molkerei boten verlockende Alltagsattraktionen, wo sich alles traf, vom jungen Volk auf Motorrädern über Bäuerinnen an der Deichsel ihrer Einkaufswagen bis zu Greisen und Witwen. Sie rauchten und kauften, schwatzten und tratschten, schmiedeten Ränke und inszenierten Schwänke. Zeitgleich fuhren die Bauernkönige in ihren röhrenden Traktoren beim Kreuz oder bei der Brücke vor und hockten sich zum Fluchen, Stumpenrauchen und Politisieren an den Stammtisch.

      Nein, das Brunnenhaus war nicht Teil dieser sorgfältig aufgegliederten Ordnung. Es besetzte und bewohnte sein eigenes Schattenreich. Seit Jahren war es durch eine imaginäre Grenze, die diejenigen von drüben nicht so leicht nach hüben kommen liess, abgeschottet. Einer der Gründe lag auf der Hand. Schon früh tauchte die Sonne hinter den breiten Hügelkämmen unter, so dass frostige Schattenfänge das Brunnenhaus krallten, es hart des besonnten Landes verwiesen und der menschlichen Gemeinschaft entzogen. Vom Ertrag der Felder konnte hier keiner mehr leben. Seit Menschengedenken war das Haus nicht mehr von der Familie eines besitzenden Bauern bewohnt. Wenn die glänzend lackierten Karosserien der Traktoren draussen in der Nachmittagshitze noch glühten und sowohl Stalltüren als auch Stubenfenster der grossen Gehöfte offenstanden, wenn die Hunde jaulten, die Mägde eilten, Hühner flatterten und Säue schnorchelten, wurde hinten im Brunnenhaus schon der Herd eingeheizt, zogen sich die Bewohner bereits unter den Schutz des ausladenden Daches zurück, lagen die Schweine schon still in den Koben und die Vögel zu einer Kugel geplustert im schwarzen Schatten der Bäume, als ob die Scham, ausgegrenzt zu sein, sie zu Schüchternheit und Scheu erzogen hätte.

      Das Haus war von einer geheimnisvollen Magie umgeben, eine verführerische Anziehungskraft ging von ihm aus. Als würde zu Zeiten ein verlockender Sirenengesang aus seinem dichten Dunkel dringen und bis in das Dorf hinüberschallen. Mit einer Vorplatzlinde, deren Äste auch das Nebengebäude überragten, den tiefliegenden Traufen des Gebäudes, dem mächtigen Giebelbogen, den zwei Fensterreihen und den wohl erst später weiss gestrichenen Fensterrahmen verzauberte das Anwesen die Augen der Sommerwanderer. Nicht nur der feuchte Grabenschatten und die fächelnden Blätter der alten Lindenkrone boten bei Hitze und Trockenheit Erfrischung, sondern auch jener Lebensstrom, der namensgebend und unverbrüchlich mit dem Haus verbunden war: der Brunnen. In einem vom Steinmetz einfach behauenen senkrechten Block war eine gewöhnliche Röhre eingelassen, aus der das Wasser in ein Sandsteinbecken gurgelte. Die Jahreszahl 1797 war darauf eingemeisselt. Unablässig plätscherte es. Manchmal brach das Wasser stossweise speiend aus der Röhre, so dass der Brunnen mehr fauchte als sprudelte. Dann floss es wieder über Tage in Form eines ruhigen glitzernden Schweifs und sang seine verstörenden Melodien in die Tag- und Nachtträume der Brunnenhausbewohner. Du hättest Gefallen an dem Haus und an dem kleinen Dorf gefunden. Mit dir zusammen wäre die verschattete Schlagseite auszubalancieren gewesen.

      Der Mattenhofer, wie der Landwirt genannt wurde, hatte unsere Anzeige in der Bauernzeitung entdeckt. Vielleicht wäre das etwas, habe er zu seiner Frau gesagt, als sie ihm einen Kaffee im Glas hinstellte. Nach dem Telefonat wurden Troller und ich bestimmt, in das stadtferne Flusstal zu fahren. Unsere Aufgabe war es, einen respektablen Eindruck von unserer Gruppe zu vermitteln.

      Troller wickelte zu diesem Zweck ein zigarrenförmiges Seifenstück aus einer silbernen Folie und löste einige Flocken in einen emaillierten Tiegel, um daraus mit dem Dachshaarpinsel weissen Schaum für eine festtagswürdige Rasur zu schlagen. Er setzte sich am Küngelhaustisch vor einen himmelblau gerahmten Standspiegel mit aufklappbarer Stütze und ging daran, sich – wie er sagte – wieder einmal aufzupolieren. Glatt wie ein Säugling wolle er sich präsentieren. Dazu klickte er zuerst eine neue Klinge in den Rasierer, spannte sie mit der Schraube am Stiel und hobelte dann scharf sich abgrenzende rosa Bahnen aus den weiss eingeschäumten Wangen. Gewaschen und frottiert, öffnete er ein likörbraunes Flacon, besprühte seine Handflächen mehrmals mit Duftwasser und massierte damit nicht nur Kinn und Nacken ein, sondern auch Brustbein und Achselhöhlen. Als er in der Folge wie eine überreife Frucht nach Sandelholz und Bergamotte roch, begehrte Stüten auf, das stinke ja, als ob er den Bauern in seiner Tenne verführen wollte. Der Einwand tat seine Wirkung. Troller hielt in den allzu feierlichen Vorbereitungen inne und versuchte der Sache noch eine werktäglichere Wendung zu geben. Er holte, statt ein Paar ordentliche Lederschuhe zu schnüren, seine Clogs aus dem Lagerraum, wo sie hinter der Fahrradfelge verstaubten, und war mit sich zufrieden, als er das altvertraute Klappern und Aufschlagen beim Gehen hörte.

      Ich suchte mir derweil das beste Stück Hemd aus einem Wäscheballen, stieg in ein Paar fransenlose Jeans und schlüpfte in Ermangelung einer Alternative in die vorher am Schüttstein säuberlich gespülten Turnschuhe.

      Wir überquerten den Bahnübergang. Unser Wagen schlug donnernd in die Wasserlöcher des Feldweges und zog eine Schleppe von Staubwolken hinter sich her. Aus einem der Äcker stieg der Mattenhofer mit nacktem Oberkörper. Als er den Motor hörte und den Wagen heranrütteln sah, blieb er auf der Grasnarbe stehen. In seine Weltkugel von Bauch hatte er das ganze vor ihm ausgebreitete Land einverleibt und auf der glänzenden Kuppel seines Glatzkopfes spiegelte sich der Himmel. Er stand da wie einer, der zwar das Goldene Buch gelesen hatte, das Leben aber, anders als die Lilien des Feldes und die Vögel des Himmels, selber in die Hand nahm. Er gab dem Acker, was des Ackers ist, und dem Vieh, was des Viehs. Gedrungen wie ein Stier und braun wie ein von der Sonne gegerbtes Stück Holz war alles prall an ihm und bis an den Rand der straffen Haut mit Leben gefüllt. Einzig zwei Falten, wie mit dem Zirkel in die Wangen geritzt, umspielten die Mundwinkel in einem grossen Halbbogen und trafen sich an der Kinnspitze, wo sich Witz und Bauernschläue in einem tiefen Einschnitt, einer verschatteten Kerbe, bündelten und im Hinterhalt versteckten.

      Er hole sich noch eben ein Hemd in der Stube, rief er ohne formelle Begrüssung durch das offene Wagenfenster. Parkieren sollen wir auf dem Wiesenstreifen vor dem Grabenbach. Die Tür liess er offen, kam auch gleich wieder zurück, zog im Gehen seinen Gürtel durch die Schlaufen und kraulte dem zuspringenden Sennenhund den Hals. Wir standen unter der Linde. Hinter uns gurgelte der Brunnen. Vor uns neigte sich eine Dachfläche herunter, deren Fall von einer tief liegenden Traufe abgefangen wurde. Unter ihrem Schatten lag die Seitenfront des Hauses. Mattenhofer hatte sein Hemd inzwischen straff über den Nabel gezogen und den Riemen sauber zugeschnallt.

      »Es gibt sechs Zimmer«, sagte er. »Die beiden mittleren kann man nicht wirklich zählen. Sie sind nur über die anderen zugänglich. Bitte.«

      Er folgte als Letzter. Die Türe glitt ihm aus der Hand und schlug zu. Es wurde dunkel wie in einer Grube.

      »Entschuldigen Sie. Ohne Beleuchtung geht hier nichts.«

      Eine Neonröhre flackerte mehrere Male auf, bis ein sprödes Licht auf die speckigen Steinfliesen der Küche fiel. Die Brandmauer war verrusst, die Bohlen zum Stall in einem schmutzigen Mattgrün gestrichen. In der hinteren Ecke, wo der Lampenschein nicht hinreichte, standen eine Waschmaschine und eine Duschkabine.

      Er zeigte uns die gute Stube, wie er sie nannte, mit dem Kachelofen. Dann stiegen wir über eine Aussentreppe in die kalten Räume hoch und warfen zuletzt einen Blick in den Keller mit seinem gestampften Erdboden.

      »Ein Wasserklosett gibt es nicht. Für solche Geschäfte ist das Plumpsklo zuständig«, bemerkte Mattenhofer. »Wenn Sie aus der hinteren Türe treten, finden Sie den Abort auch in der Nacht. Sie müssen nur der Nase nachgehen.« Er kniff seine Augen zusammen und deutete mit einem Zucken seines Kinns in die Richtung. Anstalten, den Ort zu besichtigen, machte er keine. Er wollte zu anderen Geschäften