Vorspiele. Markus A. Sutter

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Название Vorspiele
Автор произведения Markus A. Sutter
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783906907468



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hämmerten uns die Ellbogen in die Seiten, ballten die Fäuste und pufften in die Luft.

      »Das Haus ist eine Wucht. Für jeden von uns ein eigenes Zimmer«, flüsterte ich. »An die Dunkelheit in der Küche werden wir uns gewöhnen. In die Zimmer dringt ja Sonnenlicht.«

      Mit verdeckten Zeichen und Gesten einigten wir uns auf eine Strategie. Den alten Mietzins wollten wir verdoppeln und unsere Musik nicht allzu früh erwähnen. Troller sollte der Sprecher sein. Wir sassen am Stubentisch. Troller und ich auf der Eckbank. Mattenhofer strich mit beiden Händen das Tuch flach. Seine Frau kam aus der Küche und brachte eine Schale Obst und einige frische Baumnüsse.

      »Der letzte Mieter hat mich hintergangen«, begann er mit sanfter Stimme. »Holzwellen hat er von der Hinterwand des Stöcklis entwendet, ohne sie anzuschreiben, Strom im Stall abgezapft, um ein paar lumpige Rappen zu sparen. Als ich dann feststellte, dass er die Milch nicht ehrlich abrechnet, hatte ich genug. Es ging um lächerliche Summen. Ein Bierdeckel wäre für die Fakturierung noch zu schade. Aber er war halt ein Geizhund. Ich habe ihm gekündigt und möchte nun einen Strich unter die letzten Jahre des Brunnenhauses ziehen. Seit einem Monat steht es leer. Knechte muss ich keine mehr einstellen. Der Sohn ist bereits an der landwirtschaftlichen Schule.«

      Bei Mattenhofers fühlte ich mich heimisch. Erinnerungen an deine verwinkelte Stube wurden wach. So wie die Frau sich bewegte und wirkte, hätte sie deine Mutter sein können. Auch sie war jeweils aus der Küche gekommen, wenn wir Früchte oder Gemüse in der Stube rüsteten. Im prallrunden Mattenhofer erkannte ich deinen schlanken athletischen Vater. Die praktische, direkte und ehrliche Art. Wenn seine weiche Stimme einsetzte, war ich aufgeregt, als ob ich bei ihm um deine Hand anzuhalten hätte. Seine Frau schenkte Kaffee in hohe Gläser. Es krachte, als der Mattenhofer zwei Nüsse in den blossen Händen aufknackte. Ich schaute, wie er die halbierten Kerne mit breiten Fingern und stumpfen Nägeln geduldig häutete, bevor er die Früchte genüsslich in die weichen Lippen drückte. Als er meinen Blick bemerkte, zeigte er mir kauend, wie ich zwei Nussschalen aufeinanderzusetzen hatte, damit ich sie mit der blossen Kraft meiner Hände aufbrechen konnte. Frische Nüsse seien die besten, meinte er. Die Haut allerdings, die wie ein zarter Flor den Kern umgibt, müsse abgelöst werden. Solange sie noch jung und feucht sei, schmecke sie bitter. Er tippte mit der Fingerkuppe Nussreste auf und stellte die Frage nach unserem Verdienst wie nebenher.

      »Zwei von uns sind Schriftsetzer, selber bin ich bei einer Bank angestellt«, antwortete Troller. »Wir arbeiten Teilzeit.«

      »Und was machen Sie?«

      »Ich vertrete Lehrkräfte, die wegen Krankheit oder Wehrdienst ausfallen, zudem erhalte ich ein Stipendium.«

      Der Mattenhofer rief in die Küche: »Frau, bringst Du noch ein paar Nüsse?« Und wandte sich wieder uns zu, um die Gretchenfrage nach der im Inserat erwähnten Musik zu stellen. Troller reagierte zögerlich. Wahrscheinlich meinte er, an unserer Strategie festhalten zu müssen. Endlich rückte er mit seiner Antwort heraus. Danach lehnte er sich zufrieden zurück.

      »Ich spiele auch die Handorgel.«

      Selbstsicher setzte er die Ellbogen auf die Eckbanklehne und schien überzeugt zu sein, den Ton genau getroffen zu haben. Er registrierte nicht, wie falsch er damit lag. Eine Anbiederung, schlimmer als Sandelholz und Bergamotte. Noch hatten wir beide keine Ahnung, wie wir den Mattenhofer unterschätzten. Gemächlich wendete dieser jetzt seinen Kopf, schaute schräg und flatterte mit den Wimpern des einen Auges. Er sah aus, als ob er Troller durchleuchten könnte und ihm zugleich die Möglichkeit geben wollte, die Ellbogen rechtzeitig herunterzunehmen. In seiner verschatteten Kinnkerbe zuckte es. Die Reaktion kam bäurisch direkt und liess uns wie begossene Pudel dasitzen.

      »Ich höre am liebsten«, bekannte er selbstzufrieden, »James Last.« Die Sache ist gelaufen, dachten wir.

      Der Mattenhofer dachte anders. Er wusste schon mehr. Die Frage nach der Musik war ein Köder, ausgelegt, um zu testen, ob wir uns in Ausflüchte retteten. Obwohl wir ungeschützt in seine Falle getappt waren, enthielt er sich grosszügig eines weiteren Kommentars, hustete nur zweimal trocken und nahm den Gesprächsfaden wieder auf.

      »Als Grossrat der Bauernpartei«, sagte er bedächtig, »habe ich Freunde in der Stadt, die ich zu Sessionszeiten regelmässig treffe. Zufällig wohnt ein Ratskollege in der Nachbarschaft des Küngelhauses. Ich habe ihn über Sie ausgefragt. Er sagte mir, die jungen Leute hätten ihm gut in die Augen geschienen. Sie seien freundlich und umgänglich. Sie, Herr Troller, seien ihm einmal behilflich gewesen, einen massiven Schrank und schweres Mobiliar von der Strasse in sein Haus hochzuschleppen.«

      »Das ist so«, bestätigte Troller.

      »Beinahe einen Nachmittag lang habe die Fuhre über die steilen Treppen in Anspruch genommen, Kaffee und Kuchen mit seiner Frau inbegriffen. Erst als alles gestellt und geschraubt war, seien Sie gegangen. Das habe ihn mächtig beeindruckt, zudem habe er schon lange nicht mehr so gelacht. Die Musik sei zwar laut und nicht leicht verständlich, die Läden seien aber immer geschlossen und um zehn Uhr abends sei Schluss. Er hat Sie ohne Wenn und Aber empfohlen.«

      Wir kannten den Nachbarn. Nicht nur er war uns zugetan, sondern auch seine Frau. Dies vornehmlich dank Troller. Ältere Frauen fühlten sich umworben und wie in seidene Tücher gewickelt, wenn er seine Ohren in ihre auf der Türschwelle geflüsterten Geschichten neigte, ohne dabei je einen Kommentar abzugeben. Die persönlichsten Bekenntnisse quittierte er einzig mit einem überraschten »Jawas« oder einem melodiösen »Jaso«. Wenn es brenzlig oder gar intim wurde, fügte er ein langgezogenes »Ui« an. Drei oder vier Wörter und zwei schöne Augen genügten Troller, um Frauen in der Gewissheit zu wiegen, dass sie sich auf seiner Couch niederlassen und verstanden fühlen durften. Wenn wir Küngelhäusler Zucker brauchten, schickten wir Troller zur Nachbarin. Er brachte immer mehr als nur Zucker zurück, allerdings dauerte es manchmal Stunden, bis er wieder auftauchte. Für die Miete des Brunnenhauses stellten sich seine fürsorglichen Einsätze jetzt als unbezahlbar heraus. Der Mattenhofbauer nämlich, der am liebsten einen James Last auf den Teller seines Grammofons legte, schlug tatsächlich zu einem Vertrag ein. Einzige Bedingung war, dass wir nicht zu viert mieteten, sondern einer die Verantwortung tragen sollte. Den Kellerausbau für einen Proberaum mussten wir selber übernehmen, einen Ofen für die oberen Räume werde er, versicherte der Mattenhofer, vom Hafner des Dorfes setzen lassen. Der Kontrakt war perfekt. Wir hatten die Lösung für die Zeit nach dem Küngelhaus gefunden.

      Es war Herbst, als wir ins Brunnenhaus einzogen. Die Blätter stoben quer über die Schattenenge des Grabens und wirbelten in Staffeln über die Wiesen. Tagelang trommelte der Regen an die Vorfenster. Windstösse rissen an den Brettertüren. Es pfiff durch die mit Mist ausgefugten Bohlenwände bis in die Gadenräume. Ich ging daran, mein Zimmer einzurichten. Mir schwebten die Privaträume eines exzentrischen Arztes vor, der mir geholfen hatte, vom Militärdienst loszukommen. Einmal waren wir bei ihm zu Besuch. Wir wateten in seinen Korridoren und Zimmern durch den überlangen Flor eines phosphorgrünen Teppichs wie durch eine Wiese. Die Wände, mit reiner Mischfarbe violett gestrichen, glänzten, als wären sie noch feucht und eben erst aufgetragen. Er lebte mit seiner Freundin vornehmlich auf den Wellen eines ausgedehnten Wasserbettes. Ich hatte mich seiner radikalen Einstellung nie ganz zu entziehen vermocht. Die Gestaltungsversuche in meinem Gaden waren immer noch Nachbeben seines Einflusses. Ich färbte den Klavierstuhl und einen Sessel moosgrün ein. In einem Warenhaus kaufte ich Stoffbahnen, rot wie Granatäpfel, und liess daraus Vorhänge nähen, die ich an dünnen Eisenstangen mit kleinen Eisenringen befestigte. Von einem Fachgeschäft liess ich mir eine grosse quadratische Matratze anliefern. Gegen einen Lattenrost und einen Bettrahmen hatte ich mich gewehrt. Der Verkäufer konnte sich nicht vorstellen, dass ich sein hochwertiges Fabrikat einfach auf einen Riemenboden legen wollte. Wir bekamen sie kaum die Aussentreppe hoch, mussten sie stauchen, um sie durch den niedrigen Türrahmen zu quetschen. Ich schob sie an die Fensterfront, so dass sie in den Raum ragte und mir auch als Sofa, Fauteuil und Leseplatz diente. Zwei Kamelhaardecken, die ich in einem Orientladen erstand, dienten als Tagesüberzug. Es sah gut aus. Aber etwas fehlte noch.

      Auf meinen Streifzügen durch das Haus entdeckte ich eine eichene Bauerntruhe auf dem Kornboden. Das ist es, dachte ich. Am nächsten Tag fragte ich Troller, ob er mir behilflich sei, sie herunterzuholen.