Название | Vorspiele |
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Автор произведения | Markus A. Sutter |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783906907468 |
Ich rückte die Truhe an die Wand zur Ofenkammer, wo sie mir als Schrank für Wäsche und Kleider diente. Sie wirkte wie ein Sarkophag. Ich war von ihr gefesselt. Auch mit hingestrecktem Leib hätte ich darin Platz gefunden und aufgrund ihres raumbesetzenden Ausmasses feierlich aufgebahrt werden können. Wenn ich im Halbdunkel den Truhendeckel hob, lockte sie mich in ihren Abgrund. Sie lud mich ein, mich hinzubetten und für immer einzuschlafen.
Meine Welt war der Raum zwischen dem Durchgang zur Mittelkammer, wo die blaue Flamme des neu gesetzten Ölofens simmerte, und dem Ausgang in der gegenüberliegenden Wand, der auf die Laube und die Aussentreppe führte. Mit dem Kopf unter den Fenstern liegend, befand ich mich im Bannkreis der Truhe und hatte Blick in die dunkle Ecke, wo mein Klavier an der Scheunenwand stand. Von der anderen Matratzenkante her sah ich aus den Sprossenfenstern auf die Abhänge und den Saum des Waldes, wo die herbstgrelle Sonne die noch tropfende Wiese giftgrün aufflackern liess. Aus dem Hintergrund drangen das Grunzen und Schnorren der Schweine und die quietschende Karrette Mattenhofers, der um das Haus seine Arbeit verrichtete. Den Ausbau des Kellers nahmen wir gemeinsam in Angriff. Es brauchte Überwindung. Neben alten Gerätschaften, die hinauszubefördern waren, fanden wir verendete Ratten und Mäuse in verrosteten Fallen. Der Lichtschacht war von aussen mit Brettern abgedeckt. Wenn die Lampe nicht brannte, sahen wir die Hand vor den Augen nicht. Wir legten einen Riemenboden über den gepressten Lehmgrund. Die Fundamentwände aus schweren Feldsteinen verkleideten wir mit Pressholzplatten und strichen sie mit Weiss. Dass es ein unterirdischer Raum war, konnten wir trotzdem nicht überdecken. Die Kälte drang herauf und nistete in den Fugen der neuen Bretter. Am Anfang unserer Proben schalteten wir einen elektrischen Heizkörper an und spielten den ersten Blues mit steifen Fingern. Zum Ende lief das Gerät heiss, die Füsse aber blieben kalt. Unsere Musik klang in diesen Tagen, als würden sich die uralten Schatten des Grabens über die Töne legen und sie ihrer Lebenskraft berauben.
Die Suche nach dem Haus hatte uns nähergebracht, zugleich aber erschöpft. Alles war bereit, um loszulegen, und wir waren schon müde. Zudem nahmen Troller, Stüten und Wanner lange Arbeitswege auf sich. Trotz Halbtagstelle kehrten sie erst am späten Nachmittag zurück. Meistens wurde dann in der Küche gegessen und der Tag beredet. Wir fühlten uns entlastet, weil wir ein Haus hatten. Waren aufgeräumt, weil wir noch an eine gemeinsame Zukunft glaubten. Wir bemerkten nicht, wie die Dunkelheit sich ausbreitete. Die Gespräche sich verirrten. Wie mit dem Anrücken des Winters die Kälte bei uns einzog. Der geheizte Herd war nur noch ein Strohfeuer, wenn er nicht den ganzen Tag brannte. War wie ein kurzes Aufflackern in den eisigen Winden, die über die schwarzen Fliesen zogen. Wir kamen nicht auf die Idee, die gute Stube mit dem Kachelofen für unsere Mahlzeiten zu verwenden. Wir hatten sie Stüten zugestanden. Daran gab es nichts zu rütteln. Unser gemeinsamer Tisch stand so sicher in der Küche, als wäre er bereits festgefroren. Tagelang war ich allein. Stieg schon gar nicht in den Proberaum, sondern blieb im Umkreis meiner Truhe und meines Klaviers. Ich war der Einzige, der die Musik als Studium an der Berufsschule für Jazz betrieb. Ich fing an, mich auf die dort üblichen Experimente einzulassen. Befreite mich von Schemen und Formen. Entfremdete mich vom Blues und meinte, die grosse Freiheit zu entdecken. Auf den Austausch mit einigen Lehrkräften beschränkt, die von der gefilterten Luft der Konzertkeller lebten, registrierte ich nicht, wie ich mich verstrickte und in mir selbst vergrub. Ich war es, der die anderen puschte, sich auf musikalische Grenzerfahrungen einzulassen. Sie zu neuen Klangbildern drängte. Je kryptischer unsere Tonsprache, umso enthusiastischer wurde ich. Nichts Anschmiegsames sollte erlaubt sein, keine Konventionen befolgt oder bewahrt werden. So wurde es an der Schule gelehrt. Die anderen gingen darauf ein, wehrten sich aber gegen die Absolutheit meiner Forderungen und den Zwang zur andauernden Grenzenlosigkeit. Sie seien nicht hergezogen, um an Tönen zu laborieren und die Klangkörper zu sezieren, sie wollten spielen, sich einen Namen verschaffen, Auftritte planen. Ich bestand auf einem Konzertrahmen, die anderen waren bereit, in einem herkömmlichen Keller mit Restauration oder im Saal eines Landgasthofes zu spielen. Es wurde jeweils spät, bis wir uns endlich zum Proben aufmachten. Wie Grubenarbeiter fuhren wir in die Unterwelt und versuchten Rhythmen, Akkorde und Melodien zu finden. Als der Winter draussen das Land mit kalter Pranke packte und mit Schnee beschwerte, hatten sich die Klänge gewandelt. Was der Mattenhofer hörte, wenn er an den vereisten Stufen des Kellers vorbei zu den Säuen ging, waren Töne aus dem Schattenreich. Die Gitarre mimte heulende Fliegerangriffe, die im krachenden Getöse der ganzen Verstärkeranlage endeten. Troller schoss gezielte Maschinengewehrsalven mit tödlicher Präzision in die Pfeif- und Sirenentöne und liess seine berstenden Becken dazu explodieren. Ich experimentierte mit überlagerten Tonleitern. Legte schrille Cluster und sich spiralig hinauf- und herunterwindende Läufe über die dunklen Klangfelder wie das Flimmern von Nordlichtern. Wenn sich alles auflöste und in dröhnenden Trümmern endete, war ich begeistert. Hier war der Kompass, dachte ich. Wir befanden uns auf dem richtigen Weg. Wanner und Stüten hielten sich mit dem Urteil zurück. Auch Troller, der mir noch am ehesten folgte, enthielt sich eines Kommentars. Wenn sie mitmachten, war es für sie eine Übung. Kein ernstes Bestreben. Sie teilten es mir zwar nicht mit. Dachten es aber. Ich konnte ihre Gedanken lesen.
Der Brunnenstrahl gefror zu einem Fächer. Das Wasser züngelte und lispelte durch die Verliese eines Schlosses aus Eis. Unter der erstarrten Form meinte ich, Vögel zwitschern zu hören. Während sich draussen vor Kälte alles zusammenzog, das Land zu einem einzigen Stein verkühlte, brach bei uns die tragende Schicht ein. Es entstanden zuerst Fadenrisse, dann Spalte. Sie begannen zu klaffen und wurden zum Abgrund. Kaum hatten wir uns eingerichtet im Brunnenhaus, drohte sich unser gemeinsames Ziel in nichts aufzulösen.
Noch retteten wir uns aus der Not und flüchteten nach misslungener Probe die Kellertreppe hoch. Draussen ein schwaches Hoflicht unter einem weissen Blechschirm. Aus den Lindenästen fielen Eissplitter auf die Schneedecke. Einige Wolkenfetzen am kalten Himmel. Sie sahen aus wie Schwäne mit vorgestrecktem Hals. Wir verdrückten uns ins Haus. In die von Rauch geschwärzte Küche. An den tresorschweren Herd. Entschieden uns dann für die heissen Kacheln am Ofen in Stütens guter Stube. Und ein überbordendes Kichern drang bald durch Wände und Türen, als ein Besucher die Pfanne einer Wasserpfeife gefüllt und sie zum Glühen gebracht hatte, und die ganze Nacht kreisen und knistern liess.
Ich stapfte dem Grabenbach entlang, der noch als schwarzer Riss zwischen zwei Schneewällen sichtbar war. Harte kleine Flocken brannten sich mir ins Gesicht und rieselten über meinen Jackenstoff. Den Kopf hatte ich in meine schmalen Kragenwürfe gedrückt. Die Arme eng an den Leib gepresst. Die seitlichen Hänge rückten näher. In einer eingekeilten Mulde stolperte ich schliesslich über schneebehangenes Busch- und Rankenwerk in den Wald. Mit jedem Schritt sank ich tiefer in eine unberührte Welt. Aus den Baumkronen drang winterliches Tschilpen. Schneestaub nebelte herab. Schneedecken krachten von überladenen Ästen. Ich erreichte den Ort, wo die Quelle des Brunnenhauses gefasst war. Aus der eingeschneiten Senke drang ein untergründiges Rauschen herauf. Ich stand vor der aus der Erde ragenden Steinmauer der Brunnenstube und meinte, das einströmende Wasser hinter der eisernen Türe wie von hohen Gewölben widerhallen zu hören. Das Aufheulen einer Kettensäge entzweite den winterfrostigen Tag. Weckte die Gegend aus dem Schlaf. Die Bauern waren beim Holzen und bemächtigten sich des umliegenden Waldes. Seit den Kämpfen gegen das einst reiche Brunnenhaus war ein gutes Jahrhundert vergangen. Damals erstreckten sich seine Ländereien bis in die sonnenbeschienenen Felder. Einen Mattenhof gab es damals noch nicht. Wohl aber gierige Nachbarn, die es auf die Quelle, auf das fruchtbare Land und den Wald abgesehen hatten. Es brauchte nur eine schwache Generation, bis die Wasserrechte verloren gegangen und ein grosser Teil der ertragreichen Äcker zwangsweise veräussert waren. Am Hofbrunnen, sagten sie im Kreuz oder in der Brücke, habe man früher das Trinkwasser geholt. Heute werde er nur noch vom Grabenbach gespeist. Ich spurte mir einen Weg durch die