Название | Und wer hilft ihr? |
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Автор произведения | Lennart Frick |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788711446782 |
Das ist die reinste Parodie, dachte sie zuweilen. Es ist zuviel von allem, die Geschichte ist gar zu deutlich!
Nach zwei Stunden war er mit dem chronologischen Bericht fertig, seine Stimme war immer lauter, seine Bewegungen immer eckiger und nervöser geworden, und als er dann sofort dazu überging, die Darstellung zu wiederholen, diesmal aber, um die Fakten zu deuten, um zu zeigen, was sich hinter dem Geschehen tatsächlich verbarg, konnte er nicht mehr stillsitzen. Er wanderte im Zimmer auf und ab, und sie folgte ihm mit den Blicken, fasziniert von seiner Ausstrahlung und erschreckt von seiner Heftigkeit. Immer mehr verwischte der krankhafte Zug an ihm die anfangs vorhandene versierte Eleganz und Gewandtheit seiner Ausdrucksweise. Er flößte ihr Angst ein, zugleich aber empfand sie auch starke Zärtlichkeit für ihn, und sie wußte nicht, wie sie die Geschichte zu Ende bringen sollte.
Als er voller Verbissenheit und Entrüstung vor ihr ausbreitete, welche Rolle die Schwägerin bei all seinen Mißerfolgen gespielt hatte – daß sie gegen ihn intrigiert und Gerüchte über ihn auf seinen Arbeitsstellen verbreitet, daß sie ihren Mann verleitet hatte, bei dem Komplott mitzumachen, daß es ihr auch gelungen war, die Nachbarn, die Behörden, die Polizei, die Geschäftsleute und die Kinder für diese gigantische Verschwörung zu gewinnen –, da entglitt er ihr jedoch völlig. Es war nicht möglich, mit Fragen oder Einwänden zu ihm vorzudringen, er schob jeden Einwand beiseite, duldete keinen Widerspruch, nichts mehr durfte seine Konstruktion erschüttern.
Fünf Jahre lang habe er eingesperrt in einer dürftig möblierten Wohnung gelebt und über seine Mißerfolge nachgegrübelt, nun habe er die Gründe herausgefunden, nun wisse er, was geschehen werde. Nachts höre er das Knacken in den Wänden, er wisse genau, was das Gerenne auf den Treppen bedeute, er habe weiß Gott die heuchlerische Freundlichkeit der Schwägerin durchschaut, die ihn immer wieder aufsuche und ihm empfehle, einen Arzt zu konsultieren, er wisse auch, warum sie die Dosen und Fläschchen mit Tropfen und Tabletten zu ihm hineinschmuggele, sie wolle ihn aus dem Gleichgewicht bringen, ihn aus dem Wege räumen, sie möge ihn nicht, habe ihn noch nie gemocht. Und die Nachbarn! Sie solle nur mal sehen, wie die sich aufführten, dann würde sie verstehen, was sie vorhaben!
Er ist krank, sehr krank, dachte sie, er ist ein Opfer seiner Wahnvorstellungen, er kann nichts dafür, er ist einfach von ihnen besessen.
Aber ich, überlegte sie weiter, ich muß versuchen, etwas zu tun, mir vertraut er ja, er ist doch von selbst zu mir gekommen. Sie stand auf, und es gelang ihr, seinen Redefluß einen Augenblick zu unterbrechen und einen Einwand vorzubringen.
Kurz nach elf klingelte das Telefon noch einmal, und als sie ins Schlafzimmer flüchtete, um zu antworten, schloß sie sorgfältig die Tür hinter sich. Vor Müdigkeit und Anspannung war ihr beinahe übel. Sie war in der letzten Stunde ständig bemüht gewesen, das Gespräch in die Hand zu bekommen, ihm seine Verfolgungsideen auszureden, ihm klarzumachen, daß seine perfekt gebaute Pyramide auf unbegründeten, im nachhinein konstruierten Erklärungen beruhte. Doch jeder Versuch, seinen Redefluß zu bändigen, war fehlgeschlagen, und seine Ungeduld hatte ihn immer heftiger und aggressiver werden lassen.
»Ich habe doch gesagt, daß Sie solche psychiatrischen Termini nicht benutzen dürfen«, hatte er ein ums andere Mal wiederholt, und sie hatte auf seiner Oberlippe einen leichten Schaumrand bemerkt. »Sie legen mich damit nur fest, Sie sehen mich nicht, wenn Sie diese Bezeichnungen anwenden, dann bin ich für Sie doch nur ein ganz gewöhnlicher Patient!«
Er war in der Wohnung hin- und hergelaufen, vom Wohnzimmerfenster hinaus auf den Korridor und wieder zurück, und hatte versucht, seine Worte zu unterstreichen, indem er mit der rechten Hand hart und energisch auf die linke Handfläche einschlug. Sie hatte ihm mehrere Male vergebens zugeredet, sich hinzusetzen, sich ein wenig zu beruhigen, doch er hatte sich heftig dagegen gewehrt, und bei dem Gedanken, er könne seine Aggressivität gegen sie richten, war ihr angst geworden.
Der Anruf gab ihr die lang ersehnte Möglichkeit, wenigstens für kurze Zeit nicht so angespannt aufmerksam sein zu müssen. Es war Clas.
»Bist du jetzt allein? Oder ist er immer noch da?«
Clas sprach sehr leise, und im Hintergrund hörte sie fröhliches Geplauder, Gelächter und Gläserklirren.
»Nein, er ist noch hier«, antwortete sie flüsternd. »Doch ich glaube, ich kann ihn jetzt bald wegschicken. Ich habe nicht mehr die Kraft, ihm noch länger zuzuhören. Man dringt einfach nicht zu ihm vor, es nützt nichts, wenn man etwas sagt, er hat sich völlig eingekapselt.« Lauter sagte sie dann: »Wunderbar! Selbstverständlich kannst du hier übernachten. In einer halben Stunde sagst du? Gut! Ich werde aufpassen, damit ich dir die Haustür aufschließen kann.«
»Mir gefällt das nicht«, sagte Clas. »Bist du wirklich sicher, daß du mit ihm fertig wirst?«
»Das geht schon in Ordnung«, antwortete sie mit gespielter Begeisterung und fügte dann flüsternd hinzu: »Aber du kannst mir glauben, daß es anstrengend ist. Ich komme nicht an ihn heran, er sitzt mitten in einer perfekt gebauten Pyramide. Falls du Gelegenheit hast, rufe mich doch etwas später noch einmal an.«
»Ich weiß nicht, ob es gehen wird. Wir haben das Haus voller Gäste, und das Telefon steht im Korridor. Auf alle Fälle lasse ich morgen von mir hören. Sei bloß vorsichtig!«
Er sorgt sich um mich, dachte sie und fühlte sich von seiner Fürsorge erwärmt.
Als sie wieder in den Korridor hinaustrat, wäre sie beinahe mit dem Mann zusammengestoßen. Er mußte an der Tür gestanden und gelauscht haben, und diese Erkenntnis jagte ihr Angst ein.
Nun glaubt er vielleicht, auch ich konspiriere gegen ihn! dachte sie, und ihr fiel auf, daß der weiße Kragen seines Hemdes von den heftigen Schweißausbrüchen und weil er die Angewohnheit hatte, mit den Fingerspitzen den Druck des Kragens gegen den Kehlkopf zu lindern, allmählich schmutzig geworden war.
»Sie müssen mich entschuldigen«, sagte sie ein wenig gezwungen und stellte sich in die Küchentür. »Das war ein Bekannter von mir, besser gesagt, mein Freund. Er ist gerade mit dem Zug aus Malmö angekommen und wird heute hier übernachten. Deshalb müssen wir dieses Gespräch nun wohl beenden. Es sind ja bereits einige Stunden vergangen.«
»Ja, ich weiß, vier Stunden«, sagte er und ging ins Wohnzimmer zurück. »Aber daran sind allein Sie schuld. Sie wollen mich ja nicht verstehen, Sie widersprechen mir dauernd, Sie versuchen alles, um mich einzuwickeln. Wenn Sie mir nur glauben wollten, dann wäre alles viel einfacher.«
»Das ist es nicht«, entgegnete sie. »Ich verstehe sehr gut, daß Sie Ihre Situation so erleben, wie Sie sie schildern. Doch Sie legen sie falsch aus, Sie sehen zwischen den Ereignissen Zusammenhänge, die ganz unwahrscheinlich sind. Sie können sicher sein, daß Ihre Vorstellungen von einer Verschwörung gegen Sie absurd sind. Daß Ihre Nachbarn in solch phantastische Komplotte verwickelt sein sollen, ist wirklich nicht anzunehmen.«
»Und das müssen Sie sagen«, erwiderte er und ballte die Hände mit solcher Kraft, daß die Knöchel weiß hervortraten. »Sie kennen sie doch gar nicht. Ich aber habe gesehen, wie sie sich aufführen, sie sind schon lange hinter mir her, und ich weiß, daß meine Schwägerin dahintersteckt, daß sie jetzt ...«
»Nein, nein, nein«, unterbrach sie ihn, »genau das ist Ihr ständiger Fehlschluß. Ich bin völlig sicher, daß kein Psychiater ...«
»Psychiater«,