Der Adjutant. Jørgen Norheim

Читать онлайн.
Название Der Adjutant
Автор произведения Jørgen Norheim
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788711449318



Скачать книгу

kam mit der Yacht ›Hohenzollern‹, und ich war dabei.«

      »Was hast du hier gemacht?«

      »Ich war Gast an Bord. War kaum trocken hinter den Ohren und trotzdem Gast beim mächtigsten Mann der Welt.«

      »Wie bist du dort gelandet?«

      »Das monarchische Prinzip«, sage ich und lache. »Paradoxerweise aufgrund der willkürlichen Machtausübung des Kaisers. Der Sonnenkönig hatte eine Idee. Mein Onkel war Kaufmann in Christiania, er exportierte Holz und importierte Maschinen. Auf einem Empfang in Berlin kam er mit dem Kaiser ins Gespräch. Als der Kaiser hörte, dass er in Christiania wohnte, nahm er meinen Onkel zur Seite. Liebe macht blind, und der Kaiser war in Norwegen verliebt. Er wollte unbedingt mit meinem Onkel über die Verhältnisse dort oben reden. Nicht über Politik. Von der skandinavischen Krise oder den ungezogenen Norwegern, die aus der Doppelmonarchie mit Schweden ausbrechen wollten, wollte er nichts hören. Nein, er wollte über das Licht reden, über den Himmel und die Farben! Stimmte es, dass man dort oben nachts ohne Brille lesen konnte? Dass der Himmel viel blauer als hier unten war? Und Blauwale – diese herrlichen Tiere. Ob mein Onkel wohl eine Waljagd arrangieren könne? Und das Nordlicht! Erzählen Sie!

      Damals plante der Kaiser seine erste Sommerreise nach Norwegen. Mein Onkel erwähnte nebenbei, dass er einen Neffen im Heer hatte, einen jungen Mann, der sein Leben mit aller Kraft Deutschland und dem Kaiser widmen wollte. ›Gut!‹, sagte der Kaiser, ›aber der Junge braucht Seeluft! Deutschlands Zukunft liegt auf dem Wasser. Schicken Sie ihn mit nach Norwegen!‹

      So landete ich an Bord der ›Hohenzollern‹. Was für ein Privileg! Stell dir vor, ein Junge, der mit dem Kaiser reisen darf!«

      »Ich rieche einen fetten Braten«, sagt der Gärtner. »Bis jetzt habe ich mich nie gefragt, warum die Leute dich den ›Adjutanten‹ nennen. Hattest du persönlichen Kontakt zum Kaiser?«

      »Kontakt, ja, aber keine Macht. Ich war ja bloß ein Junge. Aber viele Mächtige konnten nur davon träumen, dem Kaiser so nahe zu kommen wie ich. Wenn wir unten sind, zeige ich dir etwas.«

      In Hylla gehe ich zu dem Regal, in dem meine Tagebücher stehen. »Hier ist die Quellensammlung«, sage ich, zeige auf die Reihen von Kladden und ziehe eine heraus. Auf dem Rücken steht in zierlicher Schrift: 1889. Ich lese laut auf Deutsch:

      »Hohenzollern«, ultimo Juni / primo Juli 1889

      Sonntag 30. Juni

      Seine Majestät der Kaiser fährt von Potsdam nach Spandau.

      Um 23.45 Uhr bricht das Gefolge Richtung Kiel auf.

      Montag 1. Juli

      1 8.00 Ankunft in Kiel.

      2 10.45 Die »Hohenzollern« wird beladen.

      3 12.00 Regatta.

      4 17.00 Abreise von Kiel.

      Dienstag 2. Juli

      Um 6 Uhr morgens passieren wir Kopenhagen.

      Weiterfahrt durch Kattegat und Skagerrak.

      Mittwoch 3. Juli

      Die norwegische Küste kommt in Sicht.

      Abendessen in Stavanger.

      Abends Einfahrt in den Hardangerfjord.

      Der Kaiser promeniert an Deck und grüßt mich!

      »Hast du ihn kennengelernt? Wie war er? War er wirklich verrückt, oder hat das bloß die Nachwelt erfunden?«

      Diesmal ziehe ich mich zurück. Es reicht für heute, also sage ich: »Verrückt im eigentlichen Sinne war er wohl nicht. Aber ziemlich exzentrisch, sogar für einen Adligen. Er war schließlich Kaiser. Viele sind aus wesentlich geringerem Anlass größenwahnsinnig geworden. Aber wenn man die Lebensweise des Adels generell als Wahnsinn betrachtet, dann war er der Verrückteste unter seinesgleichen.«

      »Einen ganz fetten Braten«, wiederholte der Obstgärtner.

      Kaiser Wilhelms Lustyacht »Hohenzollern«

      Drei Generationen Schiffe haben den Namen »Hohenzollern« getragen. S.M.Y. »Hohenzollern« (I) war die Staatsyacht des Kaisers und wurde auf den ersten fünf Nordlandreisen benutzt. 1876–1878 in Kiel gebaut, 1892 umgetauft in »Kaiseradler« und 1912 abgewrackt. Das Schiff galt als veraltet. S.M.Y. »Hohenzollern« (II) wurde 1892 nach dem Geschmack und den Bedürfnissen des Kaisers gebaut. S.M.Y. »Hohenzollern« (III), 1914 in Stettin gebaut, wurde aufgrund des Krieges nie in Gebrauch genommen.

      S.M.Y. »Hohenzollern« (II)

      Gebaut 1891 in Stettin.

      Länge: 120 m, Breite: 14 m.

      Motorenleistung: 9000 PS, verteilt auf zwei große Dreifachexpansions-Dampfmaschinen.

      Brennstoffvorrat: 500 Tonnen Kohle.

      Besatzung: 350 Matrosen und Marineoffiziere. Bedingungen: Gutes Aussehen, Umgänglichkeit, Beherrschung mindestens eines Instrumentes, um ein eigenes Sinfonieorchester, Blasmusik und ein Tanzorchester zu gewährleisten.

      Kapazität: ausgerüstet für die Unterbringung und Bewirtung von 80 Gästen.

      Kaiser Wilhelms 25 Nordlandreisen

      Von 1889 bis 1914 bereiste der Kaiser in 25 Sommern die norwegischen Fjorde. Er nannte diese Fahrten »Nordlandreisen«. Es waren immer ca. 80 Gäste an Bord, ca. 40 »Ästheten« und 40 Militärs. Die »Ästheten« waren Wissenschaftler, Künstler und Ärzte. Alle Gäste trugen dunkelblaue Matrosenanzüge. Keine Frauen an Bord.

      Tagesrhythmus auf den Nordlandreisen

      8.00 Uhr Hissen der Flagge mit Blasmusik.

      Nach dem Hissen Turnen an Deck.

      Frühstück, das oft zwei Stunden dauerte.

      Nach dem Frühstück promenierte der Kaiser mit seinen engsten Ratgebern auf Deck.

      Jeden Sonntag um 10.00 Uhr hielt der Kaiser evangelisch-lutherischen Gottesdienst, las selbst die Texte und schloss mit dem Vaterunser und dem Segen ab.

      Nach Norwegen!

      Es war 1889. Oh Jugend, Jugend!

      »Hohenzollern«, Dienstag 9. Juli 1889

      Norwegen! Ich darf auf der Yacht des Kaisers nach Norwegen fahren! Es gibt so viel zu sehen und erleben, dass ich kaum alles aufschreiben kann. Aber heute Morgen habe ich endlich ein wenig Zeit ohne offizielles Programm.

      Inzwischen habe ich meinen Kabinenkameraden besser kennengelernt. Es ist Herr Paul Carl Güssmann, der Bordfotograf. Ich beanspruche nur eine kleine Ecke in der Kabine. Es ist angemessen, dass Herr Güssmann mehr Platz hat, er ist der Ältere und zudem Fotograf und Landvermesser. Er wirkt etwas verdrießlich, vielleicht weil er glaubt, es sei unter seiner Würde, die Kabine mit dem Jüngsten an Bord teilen zu müssen. Aber ich antworte immer höflich, wenn er mich anspricht, und bin so still wie möglich, wenn ich glaube, dass er seine Ruhe haben will. So werde ich bestimmt sein Vertrauen gewinnen.

      »Das ist eine Prüfung für dich als zukünftiger Offizier!«, hat einer der älteren Offiziere an Bord zu mir gesagt. »Immer unterwegs, immer im Aufbruch, in jeder Ecke des Kaiserreiches zu Hause.« Ich wusste nicht, woraus diese Prüfung bestand, hier ging es mir ja wie der Made im Speck, schließlich fuhr ich mit dem Kaiser nach Norwegen!

      »Aber«, fügte er hinzu und lachte, »der Vorteil ist, dass man keine Verantwortung für Haus und Heim übernehmen muss. Frei wie ein Vogel! Solange das Vögelchen tut, was der deutsche Adler sagt. Ha, ha!«

      Was meinte er? Werden alle Offiziere im Alter so zynisch? Was wird aus dem hohen Gedanken, dem Staat zu dienen? So will ich nicht werden.

      Die »Hohenzollern« ist kein reiner Vergnügungsdampfer,