Название | Der Adjutant |
---|---|
Автор произведения | Jørgen Norheim |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788711449318 |
Das Stalheim Hotel: welche Oase, welcher Luxus! Ich habe nicht viel Erfahrung mit Hotels, denn von Luxus wollten Mutter und Vater nichts wissen. Elektrisches Licht, Wasserklosett auf allen Zimmern. Ein volles Büfett, das in den Hotels der Alpen seinesgleichen sucht, sagten die Reiseerfahrenen. Obwohl wir mitten in den norwegischen Bergen waren, fehlte es uns an nichts. Herr Güssmann meinte, er sei noch nie so gut versorgt gewesen, und er ist schon viel gereist.
Am Nachmittag verbreitete sich Aufbruchsstimmung. Der größte Teil des Gefolges fuhr mit der Kutsche zurück nach Gudvangen, um an Bord der »Hohenzollern« zu übernachten. Ich war unsicher, weil mich der Kaiser noch nicht zu sich gerufen hatte. Hatte er mich vergessen? Oder hatte ich geträumt?
Es war kein Traum!
»Mein Herr!« Es war der Adjutant des Kaisers. »Mein Herr, kommen Sie mit. Sie werden mit dem engsten Kreis des Kaisers hier übernachten.« (Er hatte wirklich »mein Herr« gesagt!)
Er führte mich zur Rezeption. »Der Herr bekommt ein Zimmer mit Talblick«, sagte der Adjutant. Mit einer eleganten Bewegung nahm der Rezeptionist einen Schlüssel vom Haken, verbeugte sich und zeigte uns den Weg zur Treppe. »Bitte schön, gnädiger Herr«, sagte er zum Adjutanten. »Bitte schön, mein Herr«, sagte er zu mir.
»Ich hole Sie, wenn es so weit ist«, sagte der Adjutant und schloss die Tür hinter sich. Dann war ich allein. Allein in einem Hotelzimmer! Als Gast des Kaisers!
Am Abend holte mich der Adjutant. Mit einer Verbeugung führte er mich über Treppen und Korridore zur kaiserlichen Suite. Dann überließ er mich dem Kaiser.
»Da bist du ja, mein Junge!« Der Kaiser schien nachdenklich. Er wandte mir halb den Rücken zu und schaute über Nærøydalen.
»Reisen bedeutet viel mehr, als sich von Punkt A nach Punkt B zu bewegen. Durchs Reisen gewinnt man Abstand vom Alltäglichen. Und so merkwürdig es klingen mag, aus der Ferne kann man es besser beurteilen. Ich muss täglich schicksalsschwere Entscheidungen treffen, die das Leben aller Untertanen angehen, ob arm oder reich. Deshalb ist es besonders wichtig für mich, genügend Abstand zu haben, damit ich die richtigen Entscheidungen treffe. Auf einer Seereise wie dieser sind wir vom Irdischen befreit – um uns unendliches Meer, über uns der Himmel des Herrn. Wenn man den Urkräften des Universums so nah ist, sieht man die täglichen Angelegenheiten in Berlin aus der richtigen Perspektive. Reisen und regieren, darum geht es.«
Der Kaiser drehte sich zu mir um. »Schau!«, sagte er und zeigte über das Tal. »Frei wie ein Adler«, sagte er verträumt. »Alles dort unten ist klein. Nicht unwichtig, aber klein. Dort unten sieht man nur sich selbst und das Seine. Hier oben aber hat man den Überblick. Lass uns annehmen, ein Bauer hätte ein Schaf verloren. Er sucht und sucht, aber findet es nicht. Nur von hier oben, aus der Vogelperspektive, da sieht man das Schaf. So geht es auch mit mir und den schicksalsschweren Entscheidungen. Wenn man alles nur vom Schreibtisch in Berlin aus betrachtet, wird man kurzsichtig. Auf Reisen sehe ich alles mit Abstand, aus der Vogelperspektive. Da wird jede einzelne Sache klein – aber nicht unwichtig. Vom Deck der ›Hohenzollern‹, draußen auf hoher See, oder hier oben in den Bergen sieht man alle kleinen Dinge im rechten Zusammenhang. Das missverstehen viele und denken, ich sei faul! Sie sagen, ich würde mich nur amüsieren und anderen das Regieren überlassen. ›Reisekaiser‹ nennen sie mich hinter meinem Rücken. Falscher könnten sie nicht liegen! Reisen und regieren, darum geht es.«
Der Kaiser setzte sich. Er hatte sich umgezogen. Ja, es stimmte, der linke Arm war etwas kürzer, aber die Jacke saß wie angegossen, der Schneider beherrschte sein Handwerk.
»Wie sehr wünschte ich, mein Volk könnte Anteil an all dem nehmen. Ich will das erhabene Gefühl teilen, auf dem Meer unterwegs zu sein, unbekannte Länder zu entdecken und neue Menschen zu treffen. Ich will, dass sie die Fjorde und Berge und die edle Rasse hier oben kennenlernen, die Urgermanen, die aufrechten Nordländer. Und ich will, dass sie meine Gedanken über das Reisen teilen.«
Der Kaiser stand wieder auf und schaute durchs Fenster ins Tal.
»Mein Junge! Ich habe dich nicht gerufen, um dir ein Loch in den Bauch zu reden. Setz dich dort drüben hin und schreib auf, was ich zu sagen habe.«
Der Kaiser zeigte auf einen Sekretär, drehte sich wieder halb um und schaute über das Tal.
Ich setzte mich vor die aufgeklappte Schreibplatte, legte mein Buch zurecht und schrieb:
Bei Meinen Reisen habe Ich nicht allein den Zweck verfolgt, fremde Länder und Staatseinrichtungen kennenzulernen und mit den Herrschern benachbarter Reiche freundschaftliche Beziehungen zu pflegen, sondern diese Reisen, die ja vielfach Missdeutungen ausgesetzt waren, haben für Mich den hohen Wert gehabt, dass Ich, entrückt dem Parteigetriebe des Tages, die heimischen Verhältnisse aus der Ferne beobachten und in Ruhe einer Prüfung unterziehen konnte. Wer jemals einsam auf hoher See, auf der Schiffsbrücke stehend, nur Gottes Sternenhimmel über sich, Einkehr in sich selbst gehalten hat, der wird den Wert einer solchen Fahrt nicht verkennen. Manchem von Meinen Landsleuten möchte ich wünschen, solche Stunden zu erleben, in denen der Mensch sich Rechenschaft ablegen kann über das, was er erstrebt und was er geleistet hat. Da kann man geheilt werden von Selbstüberschätzungen, und das tut uns allen Not.
Ich schrieb um mein Leben. Bemerkte plötzlich, dass mir die Zunge aus dem Mundwinkel hing. Ich schloss den Mund und schrieb weiter. Dann räusperte er sich, um zu bekunden, dass das Diktat zu Ende war, wechselte den Tonfall und sagte: »Hiermit bist du beordert, dem Fotografen und Landvermesser Güssmann bei seiner Arbeit mit dem Reisebuch zu helfen. Er ist ein guter Fotograf, aber zeichnen kann er nicht. Der Fotografie gehört die Zukunft, aber in ein ordentliches Buch gehören auch Zeichnungen und Holzschnitte! Deine Skizzen werden eine Bereicherung sein. Weil Güssmann der Ältere ist, ist er für den Inhalt verantwortlich, aber du sollst ihm helfen. Herr Güssmann wird dich in die Arbeit einführen.« Dann fügte er wie nebenbei hinzu: »Was ich gerade diktiert habe, könnte als Vorwort dienen.«
Ich stand auf, stotterte, errötete und suchte nach Worten. »Danke, Euer Majestät ... aber ...«
»Aber was?«
»Ich ... ich bin so jung.«
»Wenn’s weiter nichts ist!« Der Kaiser klopfte mir kameradschaftlich auf die Schulter. »Karl XII. war nur 15 Jahre alt, als er König wurde. Und Alexander der Große war 20, als er den Hellespont überquerte. Das mit der Jugend geht schnell vorüber. Sei jung, solange du kannst!«
Ich weiß nicht mehr, wie ich den Weg zurück fand. Wie durch einen Nebel erinnere ich mich, dass der Kaiser über dies und das redete, während er mich aus dem Zimmer geleitete und mich seinem Adjutanten überließ. So ist er, unser Kaiser!
Der Verfasser dieser Zeilen steht im Dienste des Kaisers!
Der Auftrag
und die Kälte, die mit ihm kam
Draußen wird es hell, ich sollte längst im Bett liegen. Aber wer von aufgeweckten Hunden umzingelt ist, kann sowieso nicht schlafen, also bleibe ich auf, breite alte Tagebücher und Briefe auf dem Tisch aus und denke an den Auftrag zurück, der mein Leben bestimmen sollte.
Mein erster Gedanke war, dass Mutter von dem großen Ereignis erfahren sollte. Solange sie lebte, war sie es, mit der ich Freud und Leid teilte. Mein Vater, Pastor in Kants Taufkirche in Königsberg, stand im Hintergrund. Aber Mutter war immer für mich da, sie gab mir Rat, ermahnte mich, spornte mich an – und tadelte. Ich habe immer noch Mutters Briefe. Und meine Briefe an sie, die sie mir kurz vor ihrem Tod schickte. Ich sollte sie haben, meinte sie.
Aber ohne den Auftrag, den Vater und Mutter mir gegeben hatten, hätte es auch keinen kaiserlichen Auftrag gegeben, und das Leben mit seinen Umwegen und Sackgassen hätte mich nicht nach Hylla geführt, wo ich jetzt sitze.
Königsberg, Oktober 1888
»Lass