Название | Der Adjutant |
---|---|
Автор произведения | Jørgen Norheim |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788711449318 |
Derselbe Ort, am Abend des nächsten Tages
Was nicht alles geschehen ist, seit ich das letzte Mal zum Schreiben gekommen bin! Gestern hatte ich nicht für ein einziges Wort Zeit. Ich habe ich mit Herrn Güssmann angefreundet. Als ich vorgestern abbrechen musste, packte Herr Güssmann gerade seine Sachen für einen Landgang, weshalb ich ihm anbot, die schweren Glasplatten zu tragen.
Da er schon den großen Fotoapparat und das Stativ trug, freute er sich über die Hilfe. Die meisten der Platten sind 16 × 12 cm groß, manche auch 9 × 12 cm. Die kleineren sind ideal für unterwegs. Sie sind den neuen, leichten Apparaten angepasst, die man freihändig halten kann. Aber natürlich wird die Qualität besser, wenn man ein Stativ benutzt, und mit meiner Hilfe konnte Herr Güssmann beide Apparate mitnehmen.
Kürzlich hat er einen ehrenvollen Auftrag bekommen. Der Kaiser persönlich hat ihn beordert, ein Buch über die Seereise hier im Norden zu schreiben, damit das gebildete Volk daheim daran teilhaben kann. Stolz und ernst hatte er es mir erzählt. Umso wichtiger, ihm zu helfen. Erstaunlich, was uns der Fortschritt bringt. Wir müssen nur einen Apparat aufstellen und eine Glasplatte hineinschieben, und schon haben wir die Landschaft so festgehalten, dass die Menschen in Bergen oder Berlin später genau dasselbe wie wir sehen.
Ich selbst zeichne immer Bleistiftskizzen in mein kleines schwarzes Notizbuch. Heute Vormittag hatten Herr Güssmann und ich eine angeregte Diskussion darüber, was das bessere Medium ist, die Fotografie oder die Zeichnung. Herr Güssmann war für die Fotografie und ich für die Zeichnung. Ein Foto friert den Augenblick ein, aber ist ein Augenblick wahrer als etwas, das länger dauert? Ein Augenblick kann zufällig sein, und sollen wir den Zufall die Wahrheit eines Ganzen bestimmen lassen? Wenn ein Mensch in dem Moment, wenn der Fotograf die Linse öffnet, eine Grimasse zieht, können wir dann von der Fotografie auf seinen Charakter schließen? Der Zeichner dagegen interpretiert Gesichtsausdrücke, Bewegungen und Naturphänomene und gibt dem Bild eines Menschen oder einer Landschaft einen durchdachten Ausdruck.
Wir waren uns uneinig, aber zum Glück war Herr Güssmann nicht verärgert. »Wer behauptet denn, dass Fotografie die Wahrheit vermittelt?«, sagte er. »Fotografie ist Kunst! Der Fotograf wählt Motiv, Hintergrund und Standort. Zwar ist eine Fotografie die Abbildung einer bestimmten Situation, aber sie ist komponiert und drückt den Willen des Fotografen aus.«
So diskutierten wir, der Fotograf Güssmann und ich.
Jetzt muss ich mein Schreibzeug weglegen und mich für den morgigen Ausflug fertig machen: Nærøyfjord – Gudvangen – Stalheim.
»Hohenzollern«, Samstag 13. Juli 1889
Hier bin ich wieder! Wo soll ich anfangen? Mit dem Ende, oder soll ich von vorn beginnen? Heute schreibt nämlich ein anderer als vor zwei Tagen. Bis zum Ausflug nach Stalheim war ich, der Jüngste an Bord, nur unter dem Namen »Der Junge aus Königsberg« bekannt. Ich musste alle grüßen und für alle Dienste tun, aber jetzt! Der Verfasser dieser Zeilen steht im Dienste des Kaisers!
Es geschah, als wir in den Nærøyfjord einfuhren. So etwas hatte ich noch nie gesehen. Der Fjord schnürte sich zu, die Felswände kamen immer näher und fielen direkt ins Wasser ab. Kaum zu glauben, aber über den Abgründen klammerten sich Höfe an die Berghänge. Ich sah kleine Punkte: Menschen beim Mähen der Steilhänge. Ab und zu streckten sie den Rücken und winkten uns zu. Stolze Germanen. Und die Ziegen! Vielleicht war es Einbildung, aber ich glaubte, ihr Blöken durch das rhythmische Stampfen der Dampfmotoren hindurch zu hören. Auf einem Hof sah ich sogar Kühe. Wie kamen die großen, schweren Tiere dorthin? Wahrscheinlich trugen die Bauern sie als Kälber hinauf und ließen sie dort wachsen. Welch ein Kontrast zum ostpreußischen Flachland!
17 Kilometer lang ist der Fjord und an der schmalsten Stelle nur 820 Fuß breit. Alle standen fasziniert an Deck, die Sinne weit geöffnet. Die Felsen waren zum Greifen nah. Wir bewunderten die Steilwände, Wasserfälle und schneebedeckten Gipfel, schauten den Menschen bei der Arbeit in den Hängen zu, rochen den Duft der See und hörten eine Sinfonie aus Vogelschreien, rauschenden Wasserfällen, blökenden Ziegen und einem Geröllsturz, der in der Ferne grollte.
Der Kaiser promenierte zwischen Steuerbord und Backbord hin und her, es herrschte andächtige Stimmung. Als erlebten wir eine Offenbarung. Ich fühlte ein starkes Bedürfnis, dieses Erlebnis mit anderen zu teilen, fast wie Paulus vor Damaskus. Das konnte ich nicht für mich behalten, die Leute sollten darüber lesen!
Wie meistens hielt ich mein Notizbuch in der Hand. Die Ziegen in den Steilhängen faszinierten mich so sehr, dass ich gar nicht bemerkte, wie jemand auf mich zukam und meinen Arm ergriff. Der Kaiser!
»Zeig mal!«, sagte er und nahm das Notizbuch. Nein! dachte ich, denn gestern hatte ich den Kaiser ohne sein Wissen gezeichnet, und das in einer wenig kaiserlichen Positur: beim Morgenbad. Direkt von der »Hohenzollern« in den Sognefjord. Der Kaiser zittert im Bademantel, während einer seiner Generäle noch im eiskalten Wasser schwimmt.
»Bin ich das? Großartig! Ha, ha! Und der da, soll das ein General sein? Der ist ja noch nass hinter den Ohren! Ha, ha!« Dann gab er mir das Buch zurück und verschwand.
Ehrfurchtsvoll nahm ich es entgegen. Der Kaiser hatte mein Buch berührt, er hat dieses Buch in seinen Händen gehalten! Der Kaiser hat mit mir gesprochen! Und er hat über sich selbst in meiner Zeichnung gelacht!
Ziegen, Wasserfälle, winkende Bauern – ich weiß gar nicht, wie mir geschah und ob dies alles Traum oder Wirklichkeit war, denn ich dachte nur eins: Der Kaiser hat mit mir gesprochen!
Als wir uns zum Landgang bereit machten, kam er wieder auf mich zu.
»Mein Junge! Du hast eine geschickte Hand. Und von deinem Onkel weiß ich, dass du auch schreiben kannst. Und du kommst aus Königsberg. Das ist ein Vorteil, denn du kennst die See. Ich will, dass du alles aufschreibst, was wir auf der Reise erleben, damit mein Volk daran teilhaben kann! Wenn wir nach Stalheim kommen, reden wir näher darüber.«
Er klopfte mir mit dem gesunden Arm auf die Schulter und ging. Ist es möglich? Der Kaiser will mir einen Auftrag geben? Ich erinnere mich nicht, wie ich an Land kam, und die Reise nach Stalheim kommt mir wie ein Theaterstück vor, bei dem ich im Zuschauerraum saß.
Im Innern des Nærøyfjord liegt der pittoreske Fährort Gudvangen. Dort warten Kutschen auf die Reisenden, um sie in das noch engere Nærøydal zu befördern. Das kaiserliche Gefolge nahm in den Karriolen Platz, und los ging es. Wir tauchten in die Landschaft ein. Hinter Gudvangen begann ein grünes Tal. Es sah aus wie ein einziges Feld, das auf beiden Seiten von senkrechten Felswänden begrenzt wird. In der Mitte schlängelte sich ein Fluss, an dessen Ufern vereinzelte Höfe lagen. Ich kann verstehen, dass es einfacher ist, hier unten im Tal zu wohnen als oben in den Berghängen, aber wann sehen die Menschen hier unten die Sonne? Nach ein paar Kilometern sahen wir unser Ziel: das Stalheim Hotel. Wie ein Adlerhorst in der Felswand. Wie würden wir dort hinaufgelangen? Nach ungefähr zehn Kilometern bekamen wir die Antwort: Stalheimskleiva. Die Alpen habe ich noch nicht gesehen, aber selbst die weltgewandten Adligen, die schon jede Ecke der Welt besucht haben, machten große Augen, als sie sahen, was uns bevorstand. Über 13 Serpentinen windet sich der Weg nach oben. Er ist so steil, dass wir ihn zu Fuß erklimmen mussten. Nur der Kaiser durfte im Wagen sitzen bleiben. Nicht weil er zu schwach gewesen wäre, sondern um ihn vor den englischen Touristen abzuschirmen, die ebenfalls nach Stalheim wollten. Aber auch der Wagen half nicht gegen die neugierigen Briten. Es hatte sich schnell herumgesprochen, dass der Kaiser in der Nähe war. »Long live Your Majesty!«, rief ein Herr und schwenkte seinen Hut.
Wer hinauf nach Stalheim will, muss gut zu Fuß sein, was unserem Gefolge aus Offizieren und Adligen des mächtigsten Reiches Europas keine Probleme bereitete. Aber selbst wir gut Trainierten freuten uns, dass die freundlichen Norweger es dem erschöpften Touristen so bequem wie möglich machen. Am Fuß des