Der Adjutant. Jørgen Norheim

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Название Der Adjutant
Автор произведения Jørgen Norheim
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788711449318



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ins Bett. Ich erkannte einen Baron und zwei Generäle. Sie schienen es nicht besonders zu mögen, aber sie spielten mit.

      Jeden Morgen lässt der Kaiser alle Gäste zur Morgengymnastik an Bord antreten. Die ehrwürdigen Alten werden zu Kniebeugen gezwungen, während der Kaiser zuschaut und vor Lachen wiehert. Manchmal schubst er die alten Herren, dass sie die Balance verlieren. Gestern schlich er sich von hinten an eine der Exzellenzen an, zog sein Taschenmesser und schnitt ihr die Hosenträger durch, so dass der Mann in einer ziemlich unwürdigen Stellung die Hose verlor. Der Kaiser brüllte vor Lachen und klatschte in die Hände. Ich selbst musste mich vor Lachen setzen.

      Ja, so geht es hier an Bord zu. Zu mir ist der Kaiser immer höflich, fast wie ein Onkel. Bestimmt möchte er, dass mein Buch so gut wie möglich wird.

      Grüße an alle zu Hause

      Der »Junge aus Königsberg«, der im Dienste des Kaisers steht!

      Mutters Antwort war wie eine Gewehrsalve, eine kalte Dusche. Als hätte man ein Luftschiff angestochen. Ich musste ihren Brief zweimal lesen – wollte sie, dass ich das Schiff verließ? Was hatte sie dagegen, dass erwachsene Männer spielten?

      Königsberg ultimo Juli 1889

      Mein lieber Sohn!

      Danke für Deinen Brief. Ich freue mich mit Dir über Gottes schöne Natur, die Du im Norden erleben darfst, und über die große Verantwortung, die der Kaiser Dir gegeben hat.

      Was Du über die Verhältnisse an Bord berichtest, hat Deinen Vater und mich sehr betrübt. Einige mögen sagen: »Lass den Kaiser privat so kindlich und boshaft sein, wie er will, solange er ein guter Kaiser ist.« Aber leider ist diese Trennung nicht angebracht. Wilhelm war nie unsere Wahl gewesen. Bestenfalls hatten wir gehofft, dass der Herr demjenigen, dem er ein Amt gibt, auch Verstand dazu mitgibt. Nach Deinem Bericht zu urteilen, war diese Hoffnung vergeblich. Vielleicht ist Wilhelm doch nicht die Wahl des Herrn? Wenn wir glauben, dass der Mensch einen freien Willen besitzt, müssen wir damit rechnen, dass auch Menschen, die nicht den Weg des Herrn beschreiten, an die Macht gelangen.

      Die persönliche Monarchie stellt unmenschliche Ansprüche an den Fürsten. Sie sind so hoch, dass kein sterblicher Sünder sie erfüllen kann. Deshalb ist die persönliche Monarchie ein Fehler. Wer etwas anderes glaubt, betrügt sich selbst. Die Monarchie ist ein Widerspruch in sich: Der Sünder wird für vollkommen erklärt! Der einzig mögliche Schluss aus diesem Widerspruch heißt: Republik! Der allein herrschende Fürst hat kein äußeres Korrektiv, weshalb das Korrektiv von innen kommen muss. Die persönliche Monarchie setzt die Vollkommenheit eines Menschen voraus, aber nur einer ist vollkommen: Christus. So zu tun, als sei man vollkommen, ist Blasphemie – die allergrößte Sünde. Eine Republik kann besser mit uns, wie wir sind, existieren. Sie baut auf einem realistischen Menschenbild auf, nämlich dass wir alle Sünder sind. Deswegen gibt es in einer Republik Gewaltenteilung und die Kontrolle der Macht. Taugt ein Minister nichts, kann das Parlament ihn absetzen. Ist der Präsident ein schlechter Mensch, kann das Volk einen neuen wählen. Die Gerichte können jeden Menschen freisprechen, auch wenn der Präsident ihn verurteilen möchte. Es herrscht Gewaltenteilung und Machtkontrolle. Anders in der persönlichen Monarchie. Dort ist der Fürst alles. Aber wenn wir erst einmal einen Fürsten haben, müssen wir ihn in Zaum halten.

      Dein Vater und ich erkennen die Gefahren eines Lebens dicht an der Macht, aber gleichzeitig sehen wir, wie richtig es ist, dass Du ein Leben im Dienste des Staates gewählt hast. Der Staat braucht Diener mit einer Lebensweise, die vor dem höchsten Gericht standhält. Staat und Kriegsmacht brauchen Diener.

      Wer dem Staat dienen will, sollte sich gut überlegen, ob er jeden Sommer Zeit hat, seinen Pflichten so lange fernzubleiben. Der Kaiser reist allzu viel. Im Heer dagegen warten große Aufgaben. Dein Onkel hat kürzlich sehr begeistert vom Bau der großen Eisenbahnlinien erzählt. Er will Dich in Wilhelmshaven treffen, wenn Du zurückkommst. Er wird Dir erzählen, welche Herausforderungen und Freuden die neue Zeit uns bringt.

      Gestern wurde Dein Vater ans Sterbebett des alten Emanuel gerufen, der uns jeden Winter mit dem Holz geholfen hat. Der treue Alte hat wohl zum letzten Mal die Axt geschwungen. Marion ist für ein paar Tage von der Schule nach Hause geschickt worden, sie war frech zur Lehrerin – das geht bestimmt vorüber. Ansonsten geht es Deinen kleinen Geschwistern gut. Ich hoffe, der Kaiser kann Dich entbehren, damit Du uns bald besuchen kommst!

      Dein Vater und alle Deine Geschwister lassen Dich grüßen. Du bist jeden Tag in unseren Gebeten.

      Liebe Grüße, Mutter

      Wie eine Gewehrsalve. Was sollte ich davon halten? Musste ich auf den Auftrag verzichten? War dies das Ende meiner Sommer auf der »Hohenzollern«?

      Wilhelmshaven 1889

      wo Onkel mich wie einen Erwachsenen behandelt

      Wie gut, meinen Onkel in Wilhelmshaven zu treffen. Im Gegensatz zu Mutter ist er einfach und direkt. Er nahm meinen Seesack und winkte eine Droschke herbei. Er sagte dem Kutscher den Namen des Hotels, und los ging es.

      »Heute Nacht schläfst du im Hotel. Es wird dir sicher gut tun, dich auszustrecken und nicht dauernd Wellen um dich herum zu hören. Ein bisschen anständiger Stadtlärm gehört auch dazu, obwohl Wilhelmshaven nicht gerade eine Metropole ist.«

      In Onkels Gesellschaft kann es einem nur gut gehen. Immer gut gelaunt, immer schlagfertig. Abends ein fünfgängiges Essen, Dessert, Kaffee und Cognac. Solchen Luxus war ich nicht von daheim gewohnt.

      »Cognac für uns Männer. Aber erzähl es nicht deiner Mutter! Sie ist ein bisschen streng in solchen Dingen. Wahrscheinlich hat sie noch nicht eingesehen, dass du erwachsen bist.«

      Wir setzten uns in den Rauchsalon und unterhielten uns den ganzen Abend. Er behandelte mich wie einen Gleichgestellten, und nicht wie seinen kleinen Neffen.

      »Aber ich sollte ja mit dir über die Eisenbahn reden!« Onkel wurde enthusiastisch und beugte sich zu mir vor. »Du bist zur richtigen Zeit geboren. Ganz Deutschland wird kreuz und quer mit Eisenbahnschienen vernetzt. Schon der alte Moltke wusste das Eisenbahnnetz auszunutzen in den Kriegen, die zum Kaiserreich führten. Der jetzige große Ausbau ermöglicht völlig neues militärisches Denken. Er schafft einen neuen Typ Offizier, der Ingenieur, Feldherr und Humanist in einer Person ist, eine Synthese aus preußischer Bildungstradition, moderner Verwaltung und der technischen Revolution. Wie geschaffen für einen wie dich!«

      Aber wir wussten beide, dass Mutters Brief der eigentliche Grund unseres Treffens war.

      »Den Kaiser muss man nehmen, wie er ist«, begann Onkel. »Ein tugendliches Vorbild ist er kaum, unsere Majestät. Ich denke nicht so radikal wie deine Mutter, aber ich kenne die Macht von innen und weiß, wann Gefahr im Verzug ist und man besser wegschauen sollte. Mein Rat, wenn du so etwas auf der ›Hohenzollern‹ erlebst: Schau weg. Schau hinaus und in die Höhe. Sieh dir die Berge und Wasserfälle an! Nimm Bleistift und Zeichenblock. Schreib Gedichte. Nutze die hellen Sommernächte!«

      »Ich werde darüber nachdenken«, war alles, was ich erwidern konnte.

      »Und was die ›Hohenzollern‹ im nächsten Sommer angeht: Da steht Christiania auf dem Programm. Für meinen Teil ist die Planung schon in Gang. Und für deinen Teil – gibt es eine wichtigere Staatsaufgabe, als ein Buch über die Reisen des Kaisers zu schreiben? Die ›Hohenzollern‹ wartet auch nächstes Jahr auf dich. Freu dich!«

      Christiania 1890

      Mein erster Staatsbesuch

      Ein Raunen ging durchs Publikum. »Da ist er, da ist er.« Dann folgten schallende Hurrarufe und Lebehochs. Die Damen winkten und die Herren schwenkten ihre Hüte.

      »Morgenbladet« über den Kaiserbesuch, Juli 1890

      Onkel sollte recht behalten. Es war eine abenteuerliche Reise, die mich ergriff und der Macht noch näher kommen ließ. Ich bleibe sitzen, blättere in meinen Tagebüchern und erinnere mich an das, was ich in jugendlichem Übermut »meinen ersten Staatsbesuch« nannte.

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