LaPax. Linda Kieser

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Название LaPax
Автор произведения Linda Kieser
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783943362589



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Genzusammenstellung hervorgerufen worden waren. Sein Alter konnte Ma schwer schätzen, doch er sah aus, als müsste er normalerweise bereits zum Überwacher aufgestiegen sein. »Tr0ja31« stand auf seinem Assistenten-Aufnäher. Vielleicht wurde er wegen seiner kleinen genetischen Auffälligkeit noch nicht zu Höherem erwählt. Ihm schien das jedoch nichts auszumachen, denn nach seinem anfänglichen Ausbruch war er nun sehr freundlich und führte Ma zu der kleinen Gruppe aus Assistenten und Nummern, die sich gerade am Fahrband zum Krankenhaus sammelten. Die meisten der Nummern tippten auf ihren portablen Bildschirmen herum, die fast alle Nummern besaßen. Die Natürlichen konnten sich meist keine eigenen leisten und hatten nur die nötigen Bildschirme in ihren Häusern. Vermutlich spielten die Wartenden eines der neuesten RealLife-Programme, erlebten Abenteuer, zogen in den Krieg oder sahen Sexprogramme.

      Ma schüttelte unbewusst ihren Kopf und dachte an ihre reale Familie. Wie gerne hätte sie jetzt so einen verbindungsfähigen Bildschirm, von dem ihre Schwiegermutter öfter erzählt hatte. Scheinbar konnten die Natürlichen früher auf bestimmten Frequenzen Kontakt mittels ihrer Bildschirme aufnehmen. Gerade jetzt fiel Ma auf, dass so etwas tatsächlich hin und wieder sinnvoll wäre. Doch das System hatte all diese alten Frequenzen abgestellt, da sie ohnehin niemand mehr brauchte. Im System ging es um das Glück des Einzelnen. Wer brauchte da schon Verbindung zu anderen?

      Leise stand Ma aus ihrem Bett auf und schaute aus dem Fenster. »Wenn die Fahrbänder um diese Zeit fahren würden, wäre ich raus hier«, dachte sie und schaute auf die leeren Straßen. »Ob Mini eingeschlafen ist?« fragte sie sich.

      Plötzlich zuckte sie zusammen, denn sie hörte eine Stimme in ihrem Kopf. »Können Sie nicht schlafen?«

      Es war das Implantat. Das System konnte nun auf diese Weise mit ihr in Verbindung treten. Konnte es auch ihre Gedanken lesen? Sie hoffte nicht, denn das würde sicher zu unnötigen Problemen führen und die Familie gefährden.

      »Sie können im Gang eine Schlaftablette in Empfang nehmen«, informierte sie die Stimme als Nächstes.

      Ma ging an den schlafenden Nummern vorbei in den Flur. Dort kam auch schon eine hellgrau gekleidete Assistentin mit einem Tablett angelaufen.

      »Guten Abend«, sagte sie. »Ich wurde informiert, dass Sie …«, sie überprüfte mit einem Kennerblick Mas Nummer, »…eine Schlaftablette benötigen. Hier, bitte sehr. Darüber hinaus wird Ihnen eine kleine Sonderration Wasser zugestanden, zur Beruhigung.«

      Unsicher griff Ma nach der Tablette und dem Becher auf dem Tablett. »Danke«, sagte sie und nahm die unscheinbare Pille mit dem Wasser.

      »Ist schon in Ordnung«, meinte die Assistentin gönnerhaft und fuhr beschwingt fort. »Wir wissen ja, dass die Nummern, die viel mit den Natürlichen zu tun haben, manchmal etwas labiler sind. Das wird schon wieder. Sobald sie das Implantat eine Weile drin haben, wird es Ihnen viel leichter fallen, sich wieder unter die anderen Nummern einzugliedern.« Mit diesen Worten machte sie auf dem Absatz kehrt und verschwand im Assistentenraum. Ihre Schritte hallten ungewöhnlich laut in den Gängen nach.

      Ma ging benommen zurück ins Zimmer und legte sich auf ihr Bett. Hätte sie die Tablette nur nicht gleich genommen! Nach diesen Worten der Assistentin würde sie nie wieder etwas zu sich nehmen, was ihr das System anbot. Doch die Pille wirkte schnell und was immer sie enthielt, Ma schlief auf der Stelle ein.

      »So, das Implantat wäre dann drin«, verkündete der Mediziner. In seinem feinen weißen Anzug saß er am Bildschirm und bediente den Doktor, einen Spezialroboter, der die eigentlichen Arbeitsschritte durchführte. Zuletzt wurde die kleine Wunde an der rechten Schläfe mit dem Heilungsspray verschlossen und der Doktor führte eine Selbst-Desinfizierung durch. »Warum läuft das Fließband nicht weiter? Ich habe schon gedrückt«, beschwerte sich der Mediziner.

      »Bei dieser Nummer müssen wir noch die Ohren überprüfen. Assistent Tr0ja31 hat da eine ›Unregelmäßigkeit‹ angegeben«, erklärte eine Überwacherin aus dem Nebenraum. »Außerdem hat sie Natürliche geboren«, fügte sie angewidert hinzu.

      Der Mediziner nickte und führte eine Spezialsonde in das Ohr ein. Laut Analyse gab es keinerlei Hörverluste. Dennoch platzierte er einen winzigen Chip in beiden Ohren. »So, das Hörproblem wäre dann behoben. Wir werden sehen, was es mit der Unregelmäßigkeit auf sich hat.« Hämisch grinsend drückte er wieder den Knopf und das Fließband brachte den nächsten Patienten vor den Doktor.

      »Vorsicht, Mini! Pass auf! Bleib stehen!«

      »Aber Mama, ich renne doch so gerne. Schau nur, wie schön es hier ist!«

      »Mini, Stopp! Da vorne kommt ein …!«

      »Aaaaahhhhh! Mamaaaaaaa!« Während Ma zusehen musste, wie ihr kleiner Sohn in den Abgrund stürzte, drang schließlich doch die Morgensirene zu ihr durch.

      Schweißgebadet wachte Ma auf. Ihre Kleidung und ihr Arbeitskittel lagen neben ihrem Bett auf einem Stuhl, als würden sie warten, dass MA538970S endlich wieder in ihren Arbeitsalltag zurückkehrte. Die meisten anderen Frauen aus ihrem Zimmer hatten sich bereits zur Dampfstrahldusche begeben. Auch Ma rappelte sich aus ihrem Bett auf. Abgesehen von dem furchtbaren Traum fühlte sie sich erstaunlich frisch. War sie wirklich erst gestern Abend implantiert worden?

      »Guten Morgen«, begrüßte sie die Stimme des Systems in ihrem Kopf.

      »Ja, das Implantat tut seine Arbeit«, dachte Ma. Glücklicherweise schien es nicht wirklich mit ihren Gedanken zu kommunizieren, sondern lediglich ihre Hirnströme im Wachzustand erkennen zu können.

      Ma ging zur Dusche. Der kurze heiße Dampfstrahl, der über ihren ganzen Körper hinwegging, war ihr mittlerweile so vertraut, dass sie die hohe Temperatur völlig normal fand. In Nullkommanichts war sie sauber und brauchte dabei kaum Wasser. Auch in 89573 hatten die verschiedenen Wohngruppen solche Duschen. In ihrem alten Haus gab es sie freilich nicht, deshalb mussten die Natürlichen regelmäßig die Duschen in ihren altersentsprechenden Wohngruppen im Dorf aufsuchen.

      Während Ma sich anzog, dachte sie an die vergangene Nacht. Was hatte die Assistentin gesagt? Die Erinnerung an das Gespräch war durch die Wirkung der Tablette etwas verschwommen. Aber Ma wusste noch, dass sie etwas Ähnliches gesagt hatte wie: »Wer aus dem System länger mit den Natürlichen zu tun hat, wird labil«, und dass das Implantat irgendwie positiven Einfluss darauf habe. Hatte die Frau nur einen blöden Spruch gemacht, weil sie wusste, dass Ma zu den Natürlichen gehörte oder war ihr wirklich eine Information herausgerutscht, die sie, Ma, eigentlich nicht wissen sollte? Auf einmal schien es ihr, als könnte das Implantat ganz böse Folgen für ihren Familienzusammenhalt haben.

      Zwei Frauen aus ihrem Zimmer schienen jedoch der System-Propaganda zu trauen. Die eine der beiden, Ma schätzte sie auf gerade mal 16 Jahre, war eigentlich noch ein Mädchen und sie schwärmte von den Vorzügen des Implantats:

      »Ich wollte das Implantat schon seit ich 14 bin. Aber sie haben mich so lange warten lassen.«

      »Vielleicht gab es andere, wie mich, die schon gefährdeter sind und die es als Erstes bekommen sollten?«, erwiderte die ältere Frau. »Ich habe mich als Assistentin beworben und brauche dafür unbedingt das Implantat. Jetzt endlich kann meine Karriere weitergehen. Ich bin so gespannt, ob ich bald die Erwählungsnachricht auf meinem Bildschirm bekomme.«

      »Es ist wirklich toll, dass wir jetzt vor all den Gefahren geschützt sind, die in der Natur lauern. Das System kann uns ab sofort immer finden, wenn es eine Katastrophe gibt.«

      »Ja das ist gut, aber noch wichtiger ist – und das wirst du auch noch merken, wenn du älter wirst – dass das System jetzt jede Krankheit, die sich in dir vielleicht entwickelt, sofort ausfindig machen kann. Dann kannst du in kürzester Zeit von den Medizinern behandelt werden.«

      »Ach!«, seufzte das Mädchen erleichtert. »Ich fühle mich jetzt viel sicherer. Es ist, als hätte ich ein neues Leben bekommen!«

      Von allen Seiten erhielt sie zustimmendes Nicken auf diese Aussage und verschiedene Frauen sagten:

      »Ja genau! Richtig!«

      »Endlich haben wir Sicherheit und Gesundheit.«

      »Was