Название | Für ein Ende der Halbwahrheiten |
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Автор произведения | Edelbert Richter |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783948075811 |
Die Verbindung der Rothschilds mit der Politik der Restauration wird auch daran deutlich, dass sie gegen die allgemeine Judenemanzipation waren, weil sie um ihre Privilegien fürchteten.98 Das scheint zunächst paradox, wird aber sofort verständlich, wenn wir uns an das erinnern, was wir oben über die Klassenspaltung innerhalb des Judentums festgestellt haben. Insofern ist es natürlich missverständlich, von »den Juden« zu sprechen – wie bei allen anderen Völkern auch.
Nun war bei der rechtlichen Gleichstellung der Juden die Konversion zum Christentum oder die Reduktion des Judentums auf ein privates Bekenntnis erforderlich. Daher war es nur konsequent, dass die Rothschilds es auch selbst ablehnten, zum Christentum überzutreten, vielmehr auf ihrem Judesein beharrten, und zwar nicht nur im religiösen, sondern auch im »völkischen« Sinne. So wurde Lionel Rothschild mehrmals ins britische Parlament gewählt, konnte jedoch seinen Sitz nicht einnehmen, weil er es ablehnte, den traditionellen Eid auf »den wahren christlichen Glauben« zu schwören – bis er es 1858 erreichte, dass die Eidesformel geändert wurde.99 Dass sie ihr Judentum auch als Volkszugehörigkeit begriffen, wurde an ihrer entschiedenen Aversion gegen die Mischehe sichtbar, selbst wenn sie gesellschaftlichen Aufstieg versprach.100 Erst im späteren 19. Jahrhundert änderten die Rothschilds ihre Heiratspolitik, indem nun die Töchter nichtjüdische Adlige heiraten durften und nur die Söhne rein jüdisch bleiben mussten.101
Dass die Rothschilds so kompromisslos auf ihrem Judentum bestanden, lässt sich am besten aus dem Geist der Restauration erklären. Nach den Wirren, die die Aufklärung und die Französische Revolution mit sich gebracht hatten, sollten endlich alte, »echte« Religiosität, Frömmigkeit und Ordnung wiederhergestellt werden. Und war nicht gerade das Judentum eine bewundernswerte und außerordentlich stabile Gestalt einer solchen Frömmigkeit? Während die inhaltlichen Unterschiede der Konfessionen und Religionen an Bedeutung verloren, gab es demnach nicht nur eine Restauration des Christentums, sondern auch eine des Judentums.
Über die Nähe der jüdischen Eliten zur Geldwirtschaft braucht nach dem, was wir gesehen haben, wohl kein Streit mehr zu herrschen. Um aber noch einige glanzvolle Namen der Zeit nach den Rothschilds zu erwähnen: Bleichröder, der Bankier Bismarcks, vom Kaiser geadelt; Warburg, der Mitgründer der Commerz- und Disconto-Bank, mit wichtigen Beziehungen in die USA; oder Gutmann, Vorstandsvorsitzender der Dresdner Bank, einer der ersten Aktienbanken; in den USA wäre Seligman zu nennen, der die Nordstaaten im Bürgerkrieg finanzierte; auch Goldman-Sachs und Lehman Brothers, die ja in der letzten Finanzkrise wieder unser Interesse weckten.102 Nicht die Tatsache der Nähe zum Geldhandel kann strittig sein, nur ihre Bewertung. So heißt es in einem etwas übereifrigen Buch aus der Zeit der »New Economy«: »Wer dem Klischeebild vom Geldjuden das Gegenbild des gottesfürchtig-gütigen Rabbiners oder des anthroposophischen jüdischen Aufklärers entgegenstellt; wer krampfhaft versucht zu beweisen, dass auch die Juden »Kultur« haben, kapituliert vor der Logik der Antisemiten. Dem Judenhass kann man nur die Stirn bieten, wenn man sich entschieden zum ›Geldjuden‹ und zu seinen für Europa wegweisenden Leistungen bekennt.« Als »die lapidarste und zugleich genaueste Definition Europas« wird dann bekanntgegeben: »Europa ist Rothschild«.103 Wie so oft bleibt dabei im Eifer des Gefechts die Logik auf der Strecke: Dem Klischeebild kann man also nur begegnen, indem man sich zu ihm als zutreffend bekennt? Dem Judenhass kann man also nur die Stirn bieten, indem man ihn bestätigt? Bei weniger eifernden Autoren geht es zunächst um die Frage, wie viele Banken denn in jüdischem Besitz waren, so dass der Beweis der Nähe erst dann erbracht wäre, wenn es sich um eine deutliche Mehrheit handelt. Das war aber in Deutschland und Österreich vor dem Ersten Weltkrieg tatsächlich der Fall. 79 % der Privatbankiers in Deutschland waren Juden, und die Wiener Banken wurden zu 80 % von jüdischen Direktoren geleitet.104 In Frankreich und England war der Anteil weit geringer, er lag bei 20 % bzw. 7 %, was man als einen Grund für den schwächer ausgeprägten Antisemitismus ansehen kann.105 Noch überzeugender wird der Beweis, wenn wir die deutschen 79 % ins Verhältnis zum Bevölkerungsanteil der Juden setzen, der um die Jahrhundertwende nur rund 1 % betrug. Selbst wenn der Bevölkerungsanteil z.B. 10 % oder der Anteil der jüdischen Banker nur 37 % betragen hätte, wäre deren Zahl immer noch überproportional hoch. Ein weiterer Vergleich: Rund 50 % der jüdischen Beschäftigten waren im Handel und Bankwesen tätig, aber nur knapp 11 % der Gesamtzahl der Beschäftigten in Deutschland.106
Aber diese statistischen Erörterungen führen erst hin zum entscheidenden Punkt. Denn es ging in den damaligen Debatten z.B. zwischen Werner Sombart und Max Weber nicht um diese quantitativen Fragen, sondern um die Frage nach einer Wesensverwandtschaft zwischen dem Geist des Finanzkapitalismus und der jüdischen Ethik bzw. um die Frage nach dem ideellen Ursprung des Finanzkapitalismus. Wenn es aber zutraf, dass jüdische Verhaltensmuster von anderen Nationen längst übernommen worden waren und weiter Schule machten, dann war gar nicht mehr zu erwarten, dass eine Mehrheit der Finanzhäuser in jüdischer Hand sein würde. Deswegen ist das auch heute nicht mehr der springende Punkt.
9. Einer der ersten Rassentheoretiker wird zum mächtigsten Mann der Welt
Als wir vom Geist der Restauration sprachen, befanden wir uns auch schon ganz nah am Rassegedanken! Lassen wir seine spätere pseudowissenschaftliche Ausgestaltung beiseite, so erscheint er zuerst als ein Produkt der Restaurationszeit, und zwar noch vor Gobineau bei Benjamin Disraeli (1804–81), dem beliebten Schriftsteller und späteren britischen Premierminister.107 Er war mit den Rothschilds nicht nur eng befreundet, sondern sah genau in ihnen das Symbol der jüdischen Rasse, die aufgrund ihrer Reinheit und Überlegenheit nicht untergehen könne.
»Rothschild war in seinen Augen der Repräsentant des ganzen jüdischen Volkes, und er hatte es nicht nur am weitesten gebracht, sondern auch die strengste Familienpolitik befolgt. In den Rothschilds sah er die ›auserwählten Männer des auserwählten Volkes‹, und aus dieser Realität bezog er seine Rassentheorien.«108
Wir dürfen ohne weiteres hinzufügen: Disraeli bezog sie auch aus der Erfahrung seines eigenen wunderbaren Aufstiegs zum mächtigsten Politiker der damaligen Welt! Denn damit war ja der Durchbruch geschafft von der bisher nur indirekten, finanziellen zur direkten Herrschaft »eines auserwählten Mannes einer auserwählten Rasse«, wie er sich selbst verstand.109 Man muss sich den Triumph vor Augen führen, dass nach fast zwei Jahrtausenden jüdischer Existenz ohne Staat ein Vertreter dieses Volkes plötzlich an die Spitze des größten Imperiums der Geschichte gelangte! Die Restauration alter Religiosität und Ordnung, von der wir eben sprachen, schien also tatsächlich Erfolg zu haben. So wird der Rückgriff auf eine Substanzkategorie wie »Rasse« durchaus plausibel: Die Imperien kommen und gehen, die echte Rasse aber bleibt.
In seinem Roman Coningsby (1844) unterscheidet Disraeli fünf verschiedene Rassen, und die »kaukasische« wird von den Juden unvermischt repräsentiert: »Eine reine Rasse wie die kaukasische kann nicht vernichtet werden. Das ist eine physiologische Tatsache; ein simples Naturgesetz. (…) Kein Strafgesetz, keine Folter kann bewirken, dass eine überlegene Rasse in einer untergeordneten aufgeht oder durch sie zerstört wird. Die vermischten nachfolgenden Rassen verschwinden; die reine Rasse bleibt bestehen.«110 In seiner Biographie über Lord George Bentinck (1851), seinen Vorgänger in der Parteiführung, heißt es: »Alle Um- und Irrwege der Geschichte laufen auf eine Lösung hinaus – alles ist Rasse.« Und weiter heißt es: »Das einzige, was Rasse schafft, ist Blut.«111 Um sich den Briten verständlich zu machen, fragt er rhetorisch: »Was wäre die Folge für die angelsächsische Republik beispielsweise, würden ihre Bürger ihrem gesunden Grundsatz des Vorbehalts abtrünnig werden und sich mit ihren negriden oder farbigen Populationen vermischen?«112 So kommt Hannah Arendt zu dem Schluss: »Er war der erste Europäer, der viel radikaler als später Gobineau und viel konsequenter als die wissenschaftlich verkleideten Krämerseelen behauptet hat, dass ›Rasse alles‹ sei und auf dem ›Blut‹ beruhe. In diesem getauften Juden, der vom Christentum wenig und von jüdischer Religion nichts mehr verstand, treffen wir in voller Reinheit jenen naturalistischen