Für ein Ende der Halbwahrheiten. Edelbert Richter

Читать онлайн.
Название Für ein Ende der Halbwahrheiten
Автор произведения Edelbert Richter
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783948075811



Скачать книгу

ein Versuch, Tod und Schicksal zu bekämpfen. (…) Antisemitismus ist natürlich (…)«81, denn die anderen Völker werden das Volk, das sich erwählt weiß, immer hassen. Oder sie werden es imitieren wollen, sich selber eine solche Erwählung zusprechen, wie zurzeit die Nationalsozialisten, deren Rassenlehre nichts als eine Nachahmung der jüdischen Erwählungsidee sei.82 Die Verschärfung des deutschen Antisemitismus wird somit als Herausforderung zu radikaler Selbstbesinnung des Judentums verstanden. Schönberg wechselt nicht von einem Volksglauben zum anderen, sondern wendet sich zurück zum Ursprung des Erwählungsbewusstseins der Völker schlechthin.

      Die praktische Schlussfolgerung, die er aus seiner Erkenntnis zieht, ist allerdings nicht zwingend und zeigt sogar, dass er sich von der Fixierung auf Deutschland doch nicht lösen konnte. Sie läuft auf einen höchst militanten und diktatorischen Zionismus hinaus: Gründung einer jüdischen Einheitspartei mit diktatorischer Führung und militärische Rückeroberung Palästinas nach dem Muster der Landnahme der Israeliten, von der oben die Rede war.83 Denn das Zeitalter der Demokratie sei vorüber und die Ideale des Humanismuswidersprächen der mosaischen Religion.84 Das entsprechende Programm hat Schönberg 1938 in den USA formuliert und für seine Publikation die Unterstützung Thomas Manns erbeten. Dieser hat jedoch in freundlich-diplomatischem Ton abgelehnt, wobei in seiner Antwort immerhin der Faschismusvorwurf anklingt. Jedenfalls betont Mann, »dass insbesondere der bedingungslos machtpolitische Standpunkt der besonderen Geistigkeit des Judentums« nicht gut zu Gesichte steht.85

      Die ausführlichen Bemerkungen zu Schönberg waren erforderlich, weil sich hier das vertrackte Wechselverhältnis zwischen Judentum und Nationalsozialismus zeigt. Das Dritte Reich ist in der Tat eine späte Nachahmung des erwählten Volkes, aber kann dieses, wie Schönberg zeigt, nicht auch zu einer Nachahmung des Nationalsozialismus werden?

      7. Privilegierte Hofjuden im Absolutismus

      Schon im Mittelalter waren die Juden nicht nur Verfolgte, sie standen auch unter dem besonderen Schutz des Kaisers bzw. der Könige. Die Verfolgung ging sowohl von kirchlichen Bewegungen, etwa im Kontext der Kreuzzüge, und von der Gesellschaft aus, nicht aber von der Obrigkeit. Diese profitierte vielmehr in beträchtlichem Maße von den Judensteuern und hatte auch ein Interesse daran, eine Gruppierung auf ihrer Seite zu haben, die ihr mehr Gewicht verschaffte, weil sie außerhalb der feudalen Ordnung stand. Das ist nun auch der Hauptgrund, weshalb sich im 17. Jahrhundert das sogenannte Hofjudentum etablieren konnte – ein Phänomen, das angesichts seiner Bedeutung für die Herausbildung des modernen Staats viel zu wenig beachtet wird.

      Den Ausgangspunkt für den Wiederaufstieg der Juden in Deutschland bildete der Dreißigjährige Krieg, in dem sie ihre überregionalen Beziehungen nutzten und den Fürsten bei der Versorgung ihrer Söldnerheere halfen.86 In England war es, wie wir sahen, der Bürgerkrieg, der Cromwell dazu brachte, sich für die Wiedereinwanderung der Juden einzusetzen, nicht zuletzt, um seine Armee zu finanzieren!87 Es war also die konfessionelle Spaltung der Christenheit und der Zerfall der alten Ordnung Europas, die dem Judentum eine neue Chance eröffnete.

      Diese Chance nahm mit der neuen Wirtschaftspolitik des absoluten Staates, dem Merkantilismus, eine konkrete Gestalt an. Der Merkantilismus sah im Handel, nicht in der Arbeit, die Quelle des Reichtums und verstand unter Reichtum nicht eine Fülle von Gütern, sondern abrechenbares Geld bzw. öffentliche Einnahmen. Diese Annahme passte ausgezeichnet zu den Vorstellungen und Fähigkeiten, die die jüdische Elite entwickelt hatte. Und so besaßen schon Ende des 17. Jahrhunderts fast alle Fürsten einen oder gleich mehrere sogenannte »Hofjuden«, die sich um ihre finanziellen Angelegenheiten kümmerten und dafür reichlich belohnt wurden. »Der Name Hofjude war allgemein, nur in Preußen hießen sie charakteristischerweise ›generalprivilegierte Juden‹. Der Name war keine Übertreibung. Hofjuden genossen alle Privilegien: sie konnten Wohnsitz nehmen, wo es ihnen beliebte, reisen, soweit der Machtbereich ihrer Fürsten reichte, Waffen tragen und speziellen Schutz der lokalen Behörden fordern. Ihr Lebensstil pflegte sehr viel höher zu sein als der des Mittelstandes der Zeit.«88 Die Wiener Familien Wertheimer und Oppenheimer z.B. verfügten über mehrere Paläste und Gärten nicht nur in Wien, sondern zugleich in Worms, Frankfurt und Mannheim.89 Sie übten auch öffentlichen Einfluss aus. So erreichten sie, dass ein bekanntes Sammelwerk aller Argumente des Antijudaismus, Eisenmengers Entdecktes Judentum von 1703, im Habsburger Reich verboten wurde.90 Um noch einige prominente Fälle zu nennen: August der Starke wäre ohne die Kredite seines Hofjuden Behrend Lehmann nicht König von Polen geworden. Er beschäftigte darüber hinaus noch Hoffaktoren aus 35 Frankfurter Familien. Ebenso brauchte Ernst August von Hannover die finanzielle Unterstützung von Lettmann Behrens, um Kurfürst zu werden.91 Friedrich der Große gab seinen Berliner Hofjuden den Auftrag, zur Kriegsfinanzierung Münzmanipulationen vorzunehmen und ließ sie auf diese Weise zu Reichtum kommen.92

      Wen wundert es da, dass diese Privilegierten, die aus ihrer ertragreichen Sonderstellung überhaupt kein Geheimnis machten, als Repräsentanten des Judentums genommen wurden und viel Unmut, ja Hass auf sich zogen? Zumal dann, wenn das Volk nicht den Mut hatte, die Fürstenherrschaft selbst in Frage zu stellen! Exemplarisch steht dafür der – im öffentlichen Bewusstsein noch durch den nationalsozialistischen Film Jud Süß verankerte – Stuttgarter Joseph Süß Oppenheimer, der von 1733 bis 1737 eine Art Finanzminister des Herzogs von Württemberg war. Wegen seiner in der Tat rigorosen Methoden der Geldbeschaffung wurde er nach dem plötzlichen Tod des Herzogs verhaftet, angeklagt und schließlich hingerichtet.

      8. Das einflussreichste Finanzhaus Europas

      Dieses Schicksal wäre ohne den Tod des Herzogs nicht denkbar gewesen, ein Umstand, der noch einmal die politische Abhängigkeit der Hofjuden von den Fürsten offenbart, die wiederum ökonomisch von jenen abhängig waren! Das Verhältnis änderte sich jedoch grundlegend nach der Französischen Revolution und den Napoleonischen Kriegen, und diese Veränderung zeigte sich exemplarisch am sagenhaften Aufstieg der Familie Rothschild zum reichsten und einflussreichsten Finanzhaus Europas. Dessen Staatsnähe bestand nun in einer bemerkenswerten Nähe zu mehreren, ja sogar zu den wichtigsten europäischen Staaten zugleich, und in der Öffentlichkeit entstand der Eindruck, dass deren Oberhäupter vor den Rothschilds fast auf den Knien lagen.

      Der Gründer des Familienunternehmens Mayer Amschel Rothschild stammte aus der Frankfurter Judengasse, war dann zunächst Hofjude beim hessischen Kurfürsten, bis er sich selbstständig machte und sein Geschäft mit Hilfe seiner fünf Söhne bewusst international ausbaute, indem er sie in Frankfurt, Paris, London, Neapel und Wien gleichzeitig platzierte. Den entscheidenden Durchbruch erzielte die Firma schließlich dank britischer Staatsaufträge im Krieg gegen Napoleon: wesentlich war die finanzielle Versorgung der Armee Wellingtons auf dem Kontinent und der Transfer der Hilfsgelder für Preußen und Österreich.93 Nach dem Krieg war der Finanzbedarf der Staaten gewaltig und wurde durch die Ausgabe von Staatsanleihen gedeckt. Diese Aufgabe musste wieder Rothschild übernehmen, denn die Anleihen wurden von den Leuten nur gezeichnet, wenn eine kapitalstarke Bank sie garantierte.94

      Was war nun charakteristisch für die Rothschilds?

      Erstens natürlich der irrsinnige und offen zur Schau gestellte Reichtum, den man in Beziehung setzen muss zum furchtbaren proletarischen Elend, das sich gerade in dieser Phase des Kapitalismus ausbreitete. »Reich wie Rothschild« wurde zum geflügelten Wort. Viele Sozialisten, besonders in Frankreich, waren daher zugleich antijüdisch eingestellt, weil sie dieses in der Tat dominierende jüdische Kapital als repräsentativ für das Kapital überhaupt ansahen.

      Zweitens waren die Rothschilds aber ein Phänomen der Restauration und insofern gerade nicht repräsentativ für den aufsteigenden Kapitalismus. Das wird schon deutlich an ihrer Nähe zu den Herrschern der Restaurationszeit, besonders zu den Habsburgern, während sie mit den aufstrebenden Industrien eher wenig zu tun hatten – immerhin war die österreichische Eisenbahn in ihrer Hand. Sie galten als die »Großschatzmeister der Heiligen Allianz«95 und wurden schließlich geadelt. Den erste, ihnen gewidmete Eintrag im Brockhaus von 1827 hat kein Geringerer als Friedrich von Gentz,