Für ein Ende der Halbwahrheiten. Edelbert Richter

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Название Für ein Ende der Halbwahrheiten
Автор произведения Edelbert Richter
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783948075811



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William F. Albright. Sie hat gerade in Israel nach der Staatsgründung viel Beifall gefunden und eine intensive, staatlich geförderte archäologische Forschung ausgelöst. Der ruhmreiche Generalstabschef Moshe Dajan war selbst ein eifriger Sammler von Fundstücken. In seinem Buch Mit der Bibel leben (1978) erscheint die historische Zeit wie ausgelöscht: Die Eroberung Kanaans verschmilzt geradezu mit den Kriegen von 1948 und 1967.34 Allerdings waren die Ergebnisse der Forschung nicht immer überzeugend und schließlich sogar so widersprüchlich, dass inzwischen die Meinung vorherrscht, von einer solchen Landnahme, wie sie etwa im Josuabuch geschildert wird, könne doch keine Rede sein. So ergaben die Ausgrabungen, dass die Städte Jericho und Ai zur Zeit der angeblichen Eroberung um 1200 v. Chr. schon gar nicht mehr bestanden. Es handelt sich vielmehr um eine Geschichtskonstruktion aus sehr viel späterer Zeit. Sie will sagen, wie die Kriege »eigentlich hätten geführt werden sollen«, aber nicht, wie sie wirklich verlaufen waren.35 Da die erzählten Kriegshandlungen meist mit dem Bann enden, hätten die israelitischen Stämme das Land ja in eine tabula rasa verwandeln und kulturell völlig neu beginnen müssen.36 Wir kennen diese Art der Abrechnung mit der Geschichte und der Utopie eines radikalen Neuanfangs.

      Was bedeutet das für unsere Fragestellung? Auch wenn die Texte nicht die Realität widerspiegeln, sondern das Bannen nur fordern, so bedeutet das im Grunde keine Entlastung, weil sie eine Denkweise der Verfasser offenbaren, die uns fremd und ungeheuerlich anmutet. Wobei wir nicht übersehen wollen, dass uns ein ähnlich ideologisches Denken aus unserer Zeit durchaus bekannt ist.

      Eine etwas andere Deutung ergibt sich, wenn wir davon ausgehen, dass das deuteronomistische Geschichtswerk im Kern wahrscheinlich zur Zeit des Königs Josia (639–609 v. Chr.) entstanden ist, der eine Restauration des Davidischen Reichs anstrebte.37 War es da nicht naheliegend, zur Legitimation eine heroische Vergangenheit zu konstruieren? Auch das kennen wir sehr gut aus der modernen nationalen Geschichtsschreibung.38

      Wenn wir demnach insofern einen gewissen Realitätsgehalt der Aussagen über das Bannen annehmen müssen, als jedenfalls der Wille dazu vorhanden war, so bleibt als letzte Möglichkeit die der Relativierung. Andere Völker haben es genauso gemacht, sind nicht weniger grausam gewesen. Das ist sicher richtig. Darüber hinaus muss man natürlich beachten, dass Israel ein kleines, von den mächtigen Reichen in seiner Nachbarschaft bedrängtes Volk war. Musste es nicht, wenn es überhaupt bestehen wollte, deren Methoden übernehmen? Nur stellt sich dann wieder die Frage, wodurch sich Israel dann vor ihnen auszeichnet, worin seine Erwählung besteht. Besteht sie etwa darin, dass es für seine grausamen Vorhaben im Unterschied zu den anderen eine gute Legitimation hatte? Oder darin, dass es sich überhaupt die Mühe gemacht hat, über sie zu reflektieren und Rechenschaft abzulegen, während die anderen blind und naiv handelten? Zwar wird an einigen Stellen des Alten Testaments auch den Assyrern die Vollstreckung des Banns zugeschrieben,39 ansonsten haben wir jedoch nur einen außerbiblischen Text aus jener Zeit, der die Vernichtung einer Stadt in analoger Weise als Opferhandlung deutete. Es ist die immer wieder zitierte Inschrift des moabitischen Königs Mesa aus dem 9. Jahrhundert v. Chr.40 In Bezug auf die ideelle Rechtfertigung der Grausamkeiten steht der Versuch der Relativierung somit auf schwachen Füßen.

      3. Was wir heute Rassismus nennen

      Die Abgrenzung des erwählten Volkes von den anderen nicht erwählten Völkern muss nicht so drastisch erfolgen, dass man sie ausrottet oder jedenfalls ausrotten möchte. Dass dies auch gar nicht gelungen ist, zeigt eine zweite allerdings nicht weniger befremdliche Forderung, die uns im Alten Testament begegnet: »Du sollst keinen Bund mit ihnen schließen und keine Gnade gegen sie üben und sollst dich mit ihnen nicht verschwägern; eure Töchter sollt ihr nicht geben ihren Söhnen und ihre Töchter sollt ihr nicht nehmen für eure Söhne (…). Denn du bist ein heiliges Volk dem HERREN, deinem Gott. Dich hat der HERR, dein Gott, erwählt zum Volk des Eigentums aus allen Völkern, die auf Erden sind.«41

      Nach der Rückkehr der führenden Schicht Judas aus dem babylonischen Exil stellte sich jedoch heraus, dass auch dieses Verbot der Vermischung nicht streng befolgt worden war. Es wurde daher vom Priester Esra erneuert und mit Sanktionen versehen. Die Erneuerung erfolgt mit einem bemerkenswerten Zusatz: »So sollt ihr nun eure Töchter nicht ihren Söhnen geben, und ihre Töchter sollt ihr nicht für eure Söhne nehmen. Und lasst sie nicht zu Frieden und Wohlstand kommen ewiglich, damit ihr mächtig werdet und das Gut des Landes esst und es euren Kindern vererbt auf ewige Zeiten.«42 Im nächsten Kapitel folgt der Bericht über die Durchsetzung: »Und Esra, der Priester, stand auf und sprach zu ihnen: Ihr habt dem Herrn die Treue gebrochen, als ihr euch fremde Frauen genommen und so die Schuld Israels gemehrt habt. Bekennt sie nun dem HERRN, dem Gott eurer Väter, und tut seinen Willen und scheidet euch von den Völkern des Landes und von den fremden Frauen. Da antwortete die ganze Gemeinde und sprach mit lauter Stimme: Es geschehe, wie du uns gesagt hast!«43 Die nichtjüdischen Frauen wurden daraufhin mit ihren Kindern verstoßen und vertrieben.44

      Natürlich fallen uns demgegenüber sofort eine ganze Reihe von prominenten Fällen aus der Bibel ein, die dieses Verbot der Mischehe entweder nicht kannten oder glatt ignorierten. Abraham lebte mit der Ägypterin Hagar zusammen, Joseph heiratete eine Ägypterin, Moses eine Midianiterin, David eine Prinzessin aus Geschur, Salomo hatte gleich mehrere Frauen aus verschiedenen Völkern. Der Moabiterin Ruth, die sich mit Boas verband, ist sogar ein eigenes Buch gewidmet! Man könnte daher zu dem Schluss kommen, dass das Alte Testament, weil es ja sehr viele Texte aus ganz unterschiedlichen Zeiten enthält, sich natürlich auch widerspricht und überhaupt nicht auf einen Nenner gebracht werden kann. Aber so einfach ist es nicht. Zumal wegen ihrer gewaltigen Wirkungsgeschichte kommen wir auch um diese problematischen Texte nicht herum. Zwar hat das Buch Esra (auch Nehemia) in der christlich-theologischen Exegese wenig Beachtung gefunden. Umso mehr jedoch im Judentum. Hier steht Esra in höchstem Ansehen, das Buch gilt geradezu als Gründungsdokument der eigenen Religion und Ordnung des Zusammenlebens.45 »Erst das Reformwerk Esras und Nehemias hatte die Sonderstellung der Juden in der Welt vollendet – bis heute.«46

      Auch die Relativierung der Aussagen durch Einordnung in die antike Umwelt fällt wieder schwer. Zwar war auch in Athen etwa die Ehe zwischen Bürgern und Fremden untersagt. Aber aufgrund der Weitherzigkeit des Polytheismus spielte die unterschiedliche religiöse Orientierung der Partner dabei keine Rolle. Die religiöse Mischehe ist in der griechischen Literatur überhaupt kein Thema. Probleme gibt es nur bei unterschiedlichem sozialen oder rechtlichen Status.47

      Seit der Zeit des Hellenismus aber, als sich die Griechen stärker mit anderen Völkern vermischten, wurde im Judentum die Ehe mit Nicht-Juden bzw. Nicht-Jüdinnen gerade scharf verurteilt: Wer seine Tochter einem Heiden zur Frau gibt, soll gesteinigt und die Frau verbrannt werden! Umgekehrt sollen Heidinnen nicht geehelicht werden, weil das die eigene religiöse Bindung gefährdet.48 Dem erweiterten Horizont des römischen Reiches entsprechend wird das Verbot der Mischehe von Philo und Josephus nun auf alle möglichen heidnischen Völker bezogen.49 Denn nach Philo sind nur die Juden »Menschen« im wahren Sinne des Wortes.50

      Bei den Rabbinen schließlich kommt es zu einer weiteren Verschärfung: Die Mischehe ist nicht nur aus religiösen und moralischen Gründen untersagt, sie ist rechtlich einfach ungültig und damit in der Konsequenz unmöglich gemacht.51 Um auch außereheliche sexuelle Beziehungen zu nichtjüdischen Frauen auszuschließen, werden sie mit Tieren verglichen. Der Akzent verlagert sich jetzt in bedeutsamer Weise von der Religion auf die Abstammung: Auch wer von der jüdischen Religion abweicht oder abgefallen ist, kann dennoch zum jüdischen Volk gehören und folglich zur Ehe zugelassen werden. Und umgekehrt: Auch der Heide, der zum Judentum übergetreten ist, darf mit einer Jüdin keine Ehe schließen, weil er eben kein »wirklicher« Jude ist.52 Wir sind damit offenbar auf der biologischen Ebene, der des »Blutes«, angelangt, und es fällt schwer, diese Auffassung noch von der zu unterscheiden, die wir heute »Rassismus« nennen. Der Unterschied ist jedoch, dass es sich hier um den Versuch handelt, das Volk nach verlorener Staatlichkeit zusammenzuhalten, während der moderne Rassismus ein Herrschaftsinstrument ist, das von aufstrebenden Staaten benutzt wird.

      Der Bezug zur jüdischen