Nur ein kleiner Verdacht. Sabine Howe

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Название Nur ein kleiner Verdacht
Автор произведения Sabine Howe
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783949298011



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lieber nicht. Ich habe Kopfschmerzen, und der Wind zieht so an den Schläfen.“

      Man hörte nichts, außer dem leisen Surren der Waschmaschine im Keller.

      „Ein kleiner Stadtbummel?“

      „Nein, lass. Ich möchte am liebsten gar nichts unternehmen. Ich habe keine Lust. Geh’ doch alleine los.“

      Karl faltete seine Serviette und legte sie neben seinen Teller.

      „Ich gehe dann mal.“

      „Bis dann.“

      Sie fragte nicht, wohin er ging.

      Karl nahm alle Kraft zusammen und trat zum neunzehnten Mal die Beinpresse – einmal noch, dann hätte er einen neuen Rekord aufgestellt. Er keuchte, als er die fünfzig Kilo Gewicht langsam zurücksinken ließ. Geschafft! Seine Beine zitterten leicht. Das waren zehn Kilo mehr gewesen als sonst.

      „Na, Karl, heute gut in Form, was?“, fragte der Trainer.

      „Bestens, mein Lieber“, antwortete er. „Bestens. Wollen Sie mal fühlen?“ Er spannte seinen Oberschenkel an und ließ Gerd darauf boxen.

      „Nicht schlecht.“

      „Nicht schlecht? Hören Sie mal, Sie junger Spund, ich bin fitter als die meisten hier im Studio.“

      „Ich frage mich, warum Sie sich so quälen. Die meisten in Menschen Ihrem Alter kommen hierher, um sich fit zu halten, aber bei Ihnen könnte man meinen, Sie möchten bei der nächsten Olympiade antreten.“

      „Vielleicht will ich das ja!“

      Gerd lachte. „Dann sind sie aber vierzig Jahre zu spät dran.“

      „Gerd, sagen Sie nie, dass es zu spät ist.“

      Gerd klopfte ihm grinsend auf die Schulter, aber Karl war verstimmt. Natürlich wollte er nicht an der Olympiade teilnehmen. So ein Blödsinn. Er war eben ehrgeizig.

      Er packte sein Handtuch und ging zu den Duschen.

      „Tschüss.“

      „Keinen Vitamindrink heute?“

      „Nein, mir drückt der Magen etwas.“

      „War vielleicht doch ein bisschen viel heute!“

      Den Magenbitter, den Karl sich zuhause einschenkte, stürzte er in einem Zug hinunter. Maggie rumorte in der Waschküche. Als er ins Haus gekommen war, war sie mit einem Wäschekorb an ihm vorbeigehuscht, mit einem kurzen, blicklosen Gruß.

      Das Abendbrot verlief zunächst ebenso schweigsam wie das Mittagessen. Wenigstens hatte Maggie diesmal pünktlich serviert. Nach dem zehnten Bissen versuchte er wieder, die Stimmung ein wenig aufzulockern. „Ist doch eine komische Vorstellung, dass wir bald Großeltern werden, findest du nicht?“

      „Ich weiß nicht.“

      „Also, ich will auf keinen Fall ‚Opa’ oder ‚Großvater’ genannt werden. Er kann uns ja beim Vornamen nennen. Das machen ja sogar manche Kinder heutzutage.“

      „Hm.“

      „Aber diese Geschichte mit dem Vater ist wirklich eine Zumutung. Wir hätten ihn längst einmal kennenlernen müssen. Da stimmt was nicht. Vielleicht weiß sie selbst nicht, wer es ist.“

      „Oder es ist ihr peinlich.“

      „Hoffentlich ist es nicht wieder so ein Hänfling wie dieser eine damals, wie hieß er noch? Den sie von ihrem Spanienurlaub mitgebracht hat.“

      „Enrique.“

      „Stimmt. Weißt du noch, wie der in den Knien eingeknickt ist, als er mir die Tanne durch den Garten tragen sollte? Einfach zusammengesackt. Mitten auf deinem frisch angelegten Tulpenbeet. So ein Trottel.“

      Maggie lächelte.

      „Und dieser Johann, oder wie hieß er noch?“

      „Joseph“, sagte Maggie.

      „Noch schlimmer. Erzählt uns was von Möbelbauer, und was stellt sich raus? Führt das Sarggeschäft seines Onkels.“

      „Immerhin hat er uns einen guten Preis für die Bestattung von Tante Emma gemacht“, wandte Maggie ein.

      „Und dann war da noch dieser komische Vogel mit diesen grauenhaft gestreiften Hosen – was war der noch, Clown?“

      „Zauberer.“

      „Dann eben Zauberer, wo ist da der Unterschied? Mein Gott, war das eine peinliche Nummer, als er an meinem Fünfzigsten diese Tricks aufgeführt hat.“

      „Hoffentlich ist es kein Türke“, bemerkte Maggie.

      „Hat sie etwas in diese Richtung angedeutet?“

      „Ach, wo denkst du hin. Mit mir redet sie doch sowieso nicht richtig. Es war nur eine Idee. Passen würde es jedenfalls.“

      Sie verfielen wieder in Schweigen.

      „Ich gehe heute früh ins Bett“, sagte Maggie und begann abzuräumen.

      Karl schaute noch eine Weile Fernsehen. DDR, immer nur die DDR. Alles drehte sich um die Montagsdemonstrationen. Klar, dass die Menschen dort drüben raus wollten, endlich reisen, etwas von der Welt sehen. Aber was waren das für Leute? Diese Menschen hatten sich über vierzig Jahre die totale Kontrolle gefallen lassen. Sie hatten nie den Mund aufgemacht, stattdessen haben sie hingenommen, stundenlang vor Geschäften anzustehen, um einen Liter Milch zu ergattern. Konnte man die hier in der Bundesrepublik gebrauchen? Wofür denn?

      „Am Ende“, hatte er erst neulich zu Maggie gesagt, „wollen sie die Wiedervereinigung und verlangen noch Rente und Arbeitslosengeld, obwohl sie keinen Pfennig in unsere Kassen eingezahlt haben!“

      Hier im Westen brauchte man Macher, solche, die anzupacken wussten, die sich etwas trauten und Eigeninitiative zeigten. Als er damals aus dem Osten gekommen war, hatte er sogar das Begrüßungsgeld ausgeschlagen. Er wollte es aus eigener Kraft schaffen. In der DDR hätten ihn keine zehn Pferde gehalten.

      Dort konnte man keinen Blumentopf gewinnen, das wurde ihm nach seinem ersten Ungarnbesuch mit dem VEB Pharmazie bewusst.

      Zusammen mit einigen Kollegen sollten sie sich die dortigen Forschungslabore ansehen. Nach dem abendlichen Bankett war er mit einer etwas reiferen ungarischen Kollegin nach Hause gegangen. Sie hatte schon bei Tisch ihr Knie an seins gedrückt, und als er sie ansah, lachte sie ihn mit ihrem runden, rotwangigen Gesicht an.

      „Bist hübsches Junge.“

      „Danke – Sie sind auch eine sehr schöne Frau.“

      Sie lachte noch lauter.

      „Nix schöne Frau, bald vierzig. Aber so allein.“

      Sie schlug die Augen nieder, als würde sie gleich weinen.

      Jetzt lachte er.

      „Brauchen Sie Hilfe?“

      „Ja, brauche ich Hilfe. Brauche ich jungen Mann für Reparatur in Haus.“

      „Bald?“

      „Heute noch.“

      Sie verabredeten sich vor der Tür, und eine halbe Stunde später zog der junge Karl mit einer rundlichen Ungarin namens Ewa durch die dunklen Straßen von Budapest. Schon an der nächsten Ecke drängte sie ihn in einen Hauseingang und versuchte, ihn zu küssen. Aber er wehrte sie ab. „Moment mal. So herum geht das nicht.“

      Er nahm sie bei den Schultern, drückte sie nun seinerseits gegen die Wand und küsste sie so heftig, dass sie laut aufstöhnte.

      Ihre Wohnung war kalt, die Tapeten blätterten von den Wänden, der Holzfußboden war dunkel. Sie hatte überall ein paar gemusterte Stofftücher aufgehängt, die wohl etwas Gemütlichkeit in die Räume bringen sollten, aber die Einsamkeit konnten sie nicht überspielen.

      Am nächsten Morgen weckte sie