Nur ein kleiner Verdacht. Sabine Howe

Читать онлайн.
Название Nur ein kleiner Verdacht
Автор произведения Sabine Howe
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783949298011



Скачать книгу

      „Woher weißt du das?“

      „Ich habe es herausgefunden. Als wir neulich für ein paar Tage in Santa Cruz am Meer waren, hat er jeden Abend um dieselbe Zeit unten aus der Zelle telefoniert. Mir hat er gesagt, er gehe joggen. Aber ich habe ihn beobachtet. Er hat immer erst telefoniert und ist dann losgelaufen. Am letzten Abend bin ich runter und habe die Wahlwiederholung gedrückt.“

      „Und?“

      „Es meldete sich eine Frauenstimme mit seinem Namen. Mrs. Jones. Ich habe nach ihrem Mann gefragt. Sie sagte, er käme erst heute Abend von einer Geschäftsreise zurück. Dann habe ich einfach aufgelegt. Mama?“

      „Ja, ich bin noch dran. Das ist ja ein starkes Stück.“

      „Was soll ich denn jetzt machen?“

      „Und wenn du ihn einfach fragst?“

      „Wie denn? ‚Sag mal, gibt es da noch eine andere in Deinem Leben?’ Meinst du, dann sagt er: ‚Ach ja, ich hatte ganz vergessen, dir zu erzählen, dass ich verheiratet bin. Das macht dir doch sicher nichts aus.’ Super Idee, Mama.“

      „Du hast ja Recht. Was sagt dir denn dein Gefühl? Liebst du ihn?“

      „Natürlich liebe ich ihn, das habe ich zumindest bis gestern Abend geglaubt. Im Moment hasse ich ihn.“

      „Vielleicht solltest du ihn dir besser aus dem Kopf schlagen.“

      „So schnell gebe ich nicht auf, Mama. Ich doch nicht.“ Langsam schien sie sich wieder zu fassen. „Wer weiß, was für einen Besen der zuhause hat. Wahrscheinlich ist sie genauso alt wie er und schlaff wie eine alte Zitrone. Solche Frauen kennt man doch. Die richten sich in ihrer Ehe gemütlich ein, lassen sich gehen und machen ihren Männern die Hölle heiß. Und im Bett läuft schon lange nichts mehr. Oder kennst du eine Beziehung, in der ein Paar nach zehn oder zwanzig Jahren Ehe noch Sex hat? Mama?“

      „Ich? … Keine Ahnung.“

      „Gegen diese alte Schnalle bin ich doch ein junges Hühnchen. Und Männer, das weiß ich inzwischen, Mama, Männer denken immer nur an Sex. Wenn sie überhaupt denken können. Der wird sich vor Liebe und Leidenschaft nach mir verzehren. Dafür werde ich sorgen. Also, leg dich wieder hin, ist ja schon so spät bei euch.“

      „Mach’s gut, mein Schatz“, sagte Maggie. Sie ging in die Küche, holte sich ein Glas Wasser und setzte sich damit im dunklen Wohnzimmer aufs Sofa. ‚Ich habe schon wieder vergessen, Andrea anzurufen’, fiel ihr ein. Aber offenbar hatte das Mädchen sich auch nicht mehr gemeldet. Der Kontakt war nicht sehr regelmäßig, oder, um es mit Karls Worten auszudrücken, war ‚ihr Verhältnis gestört’. Aber wer konnte ihr das übelnehmen – auf Andrea hatte von Anfang an kein Segen gelegen. Sie sollte als Junge geboren werden und war stattdessen ein krankes Mädchen, das sofort nach der Geburt in eine Spezialklinik gefahren werden musste. Ja, natürlich war das schrecklich, aber es war doch nicht ihre Schuld. Infolge der Trennung bekam Maggie eine handfeste Brustentzündung. Ihr wurde noch heute übel, wenn sie an die Schmerzen dachte, die sie damals erleiden musste. Jeden Tag kam eine Schwester und drückte an ihren hart geschwollenen Brüsten herum, damit der Milchstau sich löste. Dazu kam Fieber, und ihre Mutter musste kommen, um auf Susanne aufzupassen.

      Und Andrea? Die Diagnose lautete Blutunverträglichkeit. Maggie und Karl hatten überhaupt keine Ahnung, was das sein sollte. Ihre Blutgruppen vertrugen sich nicht – seit wann denn das? Bei Susanne hatte es doch auch keine Probleme gegeben.

      Andrea sollte eigentlich Andreas heißen. Stattdessen lag jetzt ein krankes Mädchen in einer anderen Klinik und wartete auf Blut, Überlebenschance dreißig Prozent.

      Nach zwei Tagen riefen sie aus der Spezialklinik an: Es hatte sich ein russischer Emigrant gefunden, der dem Mädchen Blut spendete. Ausgerechnet ein Russe, als läge nicht ohnehin ein Fluch auf dem Kind. Andreas Leben war vorerst gerettet, aber die Ärzte wussten nicht, ob das Gehirn durch den Sauerstoffmangel Schaden genommen hatte. Das Mädchen verbrachte noch zwei weitere Monate im Krankenhaus. Maggie kam nach zehn Tagen aus der Klinik und schickte Ihre Mutter noch am selben Tag nach Hause. Die Nähe zu der Frau war ihr unerträglich geworden.

      Sie musste sich jetzt besonders um Susanne kümmern, die ihre Mama vermisst hatte. Es blieb keine Zeit, das neue Baby im Krankenhaus zu besuchen. Wie hätte sie das anstellen sollen? Sie hatte kein Auto, die Klinik lag weit weg und war mit öffentlichen Verkehrsmitteln nur schwer zu erreichen. Diese Odyssee mit der zweijährigen Susanne an der Hand – unmöglich! Außerdem, was hätte sie schon tun können? Sie war ja einmal da gewesen, nach zwei Wochen. Das Kind lag in einem Glaskasten, mit vielen Schläuchen an Brust und Kopf, und machte kaum die Augen auf.

      Nach acht Wochen rief das Krankenhaus an. „Sie können Andrea morgen abholen.“

      „Morgen schon?“, stammelte Maggie.

      „Ja, endlich. Ist das nicht wunderbar?“, rief die Schwester. „Sieht aus, als wäre alles gutgegangen.“

      Als Maggie am nächsten Tag das Zimmer betrat, in dem ihre Tochter die letzten acht Wochen verbracht hatte, erlitt sie einen Schock. Das sollte ihre Tochter sein, dieser dünne, verknitterte Säugling? Susanne schien der Anblick nichts auszumachen. Sie lief zu dem Bettchen und streichelte dem Neugeborenen über das schwarze Haar.

      „Sind Sie sicher, dass sie gesund ist?“, fragte sie den Arzt.

      „Gesund schon. Aber sie hat sehr abgenommen in den letzten Wochen. Sie leidet unter einer unreifen Darmflora, das Immunsystem war durch den Blutaustausch sehr geschwächt. Sie vertrug keine Milch. Wir konnten sie die ersten sechs Wochen nur mit Tee ernähren. Jetzt ist es an Ihnen, sie aufzupäppeln. Füttern Sie ruhig schon feste Nahrung zu. Dann wird sie rasch zunehmen.“

      Er drückte ihr das Bündel in den Arm und verabschiedete sich. Zum Glück fragte niemand, warum sie in den letzten sechs Wochen nicht einmal bei ihrem Säugling gewesen war.

      Zuhause angekommen, schrie Andrea ununterbrochen. Karl war noch im Betrieb, und Maggie wusste nicht, was dem Kind fehlte. Sie mochte es nicht im Arm halten und legte es auf die Couch, aber es hörte nicht auf zu schreien. Schließlich wurde es ihr zu viel und sie legte das Baby in Susannes alte Wiege, schob sie ins Kinderzimmer und schloss die Tür. Doch das Schreien ging weiter und elektrisierte die ganze Wohnung. „Baby Hunger“, sagte Susanne. Maggie packte ihre ältere Tochter, ließ die kreischende Andrea allein und eilte zur Drogerie an der Ecke, um Instant-Reisbrei zu kaufen. Zuhause löste sie das Pulver mit Wasser auf und versuchte den dünnen Säugling, wie es der Arzt empfohlen hatte, mit einem Löffel zu füttern. Aber das Mädchen wollte nicht schlucken. Immer wieder schob es die zähe Masse mit der Zunge aus dem Mund, und das Geschrei wurde lauter und lauter. Es war zum Verzweifeln. Warum wollte sie das verdammte Zeug nicht essen? Maggie stopfte ihr den Löffel in den Mund. Runter damit! Stattdessen kam alles wieder hoch. Sie steckte das Kind zurück in die Wiege, zog sich eine frische Bluse an, schnappte sich Susanne und machte einen Spaziergang an der frischen Luft. Als sie nach einer Stunde zurückkamen, war Ruhe. Das Mädchen schlief.

      Die nächsten Wochen verliefen nach einem ähnlichen Muster, und bald war Maggie mit den Nerven am Ende.

      Wenn Karl nach einem langen Arbeitstag nach Hause kam, saß sie weinend in der Sofaecke, Susanne auf dem Schoß an sich gedrückt. Und das Baby schrie und schrie und schrie. Karl verlor die Geduld. „Wenn ich abends nach Hause komme, erwarte ich, dass meine Frau sich hübsch angezogen hat, die Kinder bettfertig sind und etwas zu Essen auf dem Tisch steht! Das wird doch wohl zu machen sein.“

      Bis vor kurzem hatten sie ein glückliches Familienleben geführt, und nun saß sie in einem einzigen Chaos. Am liebsten hätte sie das Mädchen zurück in die Klinik gebracht und alles wäre wie früher. Aber nichts war wie früher. Karl kam immer später nach Hause.

      „Ich halte dieses Chaos nicht aus.“

      Irgendwann blieb er über Nacht weg.

      „Ich schlafe heute Nacht im Hotel. Zuhause bekomme ich ja kaum noch Schlaf.“ In den nächsten Wochen schlief er immer häufiger im Hotel. Was wäre aus ihr geworden,