Название | Die Oslo-Connection - Thriller |
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Автор произведения | Olav Njølstad |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788726344127 |
Er breitete entschuldigend die Arme aus.
»Das ist alles, was wir haben. Sie wissen von der Sache?«
»G.O.Sars, nicht wahr?«
Er nickte ernst.
»Eine schreckliche Sache, wenn Sie mich fragen.« Er runzelte die Stirn. »Aber ich dachte, Sie interessieren sich für die Rentiersamen und nicht für ein paar unvorsichtige Forscher aus Bergen?«
Sie schluckte betroffen und räumte ein, dass es sich hier um zwei recht unterschiedliche Dinge handele. Doch auch wenn die G.O.Sars keinen direkten Bezug zu ihrem Forschungsprojekt habe, waren die Sachen in letzter Instanz doch miteinander verbunden. Sowohl das akute Problem des Forschungsschiffes als auch die langfristigen Probleme der Samen seien auf die Atomtests auf Nowaja Semlja zurückzuführen. Und in einer Doktorarbeit, in der sie umfassend auf die medizinischen Folgen der Atomtests eingehen wollte, würde es sich kaum vermeiden lassen, in einem kleinen Exkurs auch auf die Geschehnisse mit der G.O.Sars hinzuweisen.
»Sie kennen nicht zufällig noch andere Vorkommnisse dieser Art?«
Er schüttelte den Kopf.
»Aber wenn ich auf etwas stoße, werde ich Ihnen Bescheid geben.«
Sie lächelte freundlich und gab ihm durch ein Schulterzucken zu verstehen, dass sie sich nun weiter durch den Berg von Dokumenten kämpfen musste. Er ließ sich aber nicht so einfach abschütteln: »Ich habe einen Vorschlag«, sagte er. »Ich kenne jemanden, der an einigen Aktivitäten in diesem Zusammenhang beteiligt war. Ich habe nicht an ihn gedacht, weil er sich ziemlich früh in den E-Stab abgesetzt hat, wo er aber an dem gleichen Thema weiterarbeitete. Er ist inzwischen auch pensioniert. Muss so an die achtzig sein. Sein Körper ist hinfällig, aber im Kopf ist er noch klar. Er heißt Richard Klüger. Na ja. Ich dachte halt, dass ich ihn vielleicht anrufen und fragen soll, ob er bereit wäre, Sie zu treffen?«
»Ja, wenn Sie das machen würden ...« Sie kam auf einen Gedanken und fügte dann rasch hinzu: »Aber dann müsste es fast heute Abend passieren. Ich reise morgen wieder ab.«
Ihr war etwas flau dabei, so forsch vorzugehen, doch Løvdal lächelte nur und nahm es als ein Zeichen, dass sie es in dieser Welt zu etwas bringen wollte.
»Warten wir ab, was er sagt«, meinte er optimistisch und ging zur Tür. »Er liegt mit einem schlimmen Rücken im Bett. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er viele Termine hat.«
Sie bedankte sich für die Hilfe und wandte sich wieder den rosafarbenen Mappen auf dem Schreibtisch zu. Mit den Dokumentationen über das Jahr 1960 war sie schnell fertig. Sie beinhalteten kaum etwas Interessantes. Doch im Jahr 1961 ging es wieder los. Im August des Jahres informierte Nikita Chruschtschow darüber, dass die Sowjetunion ihre kernphysischen Versuche in Kürze wieder aufnehmen würden. Laut Chruschtschow waren die sowjetischen Forscher jetzt in der Lage, Bomben mit beinahe unbegrenzter Sprengkraft zu konstruieren. Um das zu beweisen, wollten sie in Kürze eine »Superbombe« in der Stärke von 50 – 100 Megatonnen TNT zünden. Westliche Experten nahmen an, dass die angekündigte Riesenexplosion auf dem Versuchsfeld bei Nowaja Semlja stattfinden würde. Auf norwegischer Seite begann eine hektische Aktivität. Zeitweise überlegte man, ob Teile der Bevölkerung Finnmarks evakuiert werden müssten, doch schließlich sah man ein, dass vermutlich mehr Menschen – insbesondere Alte und Kranke – durch die Evakuierung umkommen würden als durch die Zunahme des radioaktiven Fallouts.
Ulla Abildsø war der Meinung, dass die Behörden die Sache alles in allem richtig gehandhabt hatten. In diesem speziellen Fall hatte man die Bevölkerung schnell informiert, nur in Bezug auf die Samen hatte man eine ganz andere Linie verfolgt. Die Dokumente ließen keinen Zweifel daran, dass sich die Behörden bereits zu einem frühen Zeitpunkt sicher waren, der radioaktive Fallout stelle ein großes gesundheitliches Risiko für die Samen dar. Doch die Samen selber wurden nie gewarnt. Selbst nachdem eindeutige Beweise dafür vorlagen, dass der Fallout das genetische Erbgut einiger Samen verändert hatte, blieben die Behörden passiv. Solche Lethargie hätte man sich keiner anderen Bevölkerungsgruppe gegenüber erlauben dürfen. Wäre man am westlichen Stadtrand von Oslo zu ähnlichen Messwerten gekommen, hätte es einen Aufschrei gegeben, der die ganze Welt erschüttert hätte. Doch die Samen hatten keine Lobby. Und waren sie nicht ohnehin recht seltsam? Vielleicht schadeten da ja ein paar kleine Chromosomenänderungen gar nicht?
Sie las und las und klebte auf alle Seiten, die kopiert werden sollten, kleine gelbe Post-it-Streifen.
Die Zeit verging wie im Flug.
Anderthalb Stunden vor Ende der Öffnungszeit fand sie endlich, was sie suchte.
Ein unscheinbares, kleines Dokument ohne Briefkopf, Adressat oder Absender und mit dem unmöglichsten aller möglichen Titel: Notiz.
Fast instinktiv wusste sie sofort, dass zwischen den nüchternen Ziffern der Uhrzeiten und geografischen Positionen der Schlüssel für das lag, was ihrem Vater und ihren Onkeln an diesem schicksalhaften Oktobermorgen des Jahres 1961, als »das Meer sich teilte«, zugestoßen war. Sicher nicht die endgültige, alles klärende Antwort, doch ein Hinweis, der an Deutlichkeit wohl von keinem norwegischen Archiv übertroffen werden würde. Hier waren alle Zeitpunkte und Koordinaten, die sie brauchte, um festzustellen, dass sich Vaters Kutter in der Nähe von einem der 25 Atombombentests befunden hatte, die die Sowjetunion in der entsprechenden Zeit auf Nowaja Semlja durchgeführt hatte.
Sie öffnete ihren Rucksack, um die Abschrift aus Vaters Logbuch herauszuholen, doch der handgeschriebene Zettel lag nicht dort. In der Aufregung über das Telefonat mit ihrer Mutter hatte sie den Zettel mit den Notizen einfach auf das Nachtschränkchen geschmissen und vergessen, ihn wieder in den Rucksack zu stecken. Wie dumm konnte man eigentlich sein?
Das Problem wurde auch nicht kleiner, als sie bemerkte, dass das Dokument als »geheim« eingestuft war. Der Sicherheitsoffizier hatte ihr mehr als deutlich gemacht, dass sie ausschließlich Einblick in zurückgestuftes Material nehmen durfte. Sollte sie dennoch auf geheimes Material stoßen, hatte sie sich sofort an den Archivchef oder den Sicherheitsoffizier zu wenden. Die Ermahnung des Sicherheitsoffiziers hatte sie nicht vergessen. »Sie haben nicht das Recht, solche Dokumente zu lesen, sollten Sie es dennoch tun, begehen Sie eine Straftat, verstanden?«
Ja, hatte sie geantwortet, verstanden. Mein Gott, was für eine feige, vorschnelle Antwort!
Sie schloss die Augen.
Jetzt galt es, klar zu denken.
Wie sie die Situation auffasste, gab es im Grunde nur zwei Möglichkeiten: Entweder musste sie den Inhalt auswendig lernen und dann nach Hause ins Hotel eilen, um alles aufzuschreiben, bevor sie es vergessen hatte. Diese Alternative kam aber nicht in Frage, wenn man berücksichtigte, was für ein elendes Zahlengedächtnis sie hatte und wie viele Daten, Uhrzeiten und geographische Positionen auf den zwei Seiten aufgelistet waren. Die andere Möglichkeit war die einfachere und weniger risikoreiche: Sie legte das Dokument einfach wieder zurück in die Mappe und hoffte darauf, dass es auch am nächsten Tag noch dort war. Doch was, wenn in der Zwischenzeit jemand den Fehler bemerkte und das Dokument entfernte?
Die Lösung lag auf der Hand: Sie musste sich das Dokument ausleihen.
Also nicht stehlen. Es nur über Nacht ausleihen, damit sie sämtliche Uhrzeiten und Positionen abgleichen konnte. Am nächsten Tag könnte sie das Dokument dann wieder ganz ruhig mit zurücknehmen, darum bitten, einen letzten Blick in die 1961er Mappe zu werfen, und das Blatt in einem unbeobachteten Augenblick wieder zurück in die Mappe legen.
Sie warf einen raschen Blick durch die Tür zum Nachbarraum. Løvdal hatte ihr den Rücken zugedreht und machte auf seinem Stuhl wieder Bauchmuskelübungen. Sein Nacken und seine Ohren waren bereits tief rot.
Es galt, jetzt oder nie.
Mit einer Geschmeidigkeit, die sie selbst überraschte, zog sie ihren Rock hoch und löste ihre Prothese. Diese bestand eigentlich nur aus zwei dünnen Metallröhren und sah im Grunde aus wie das Holzbein irgendeines alten Seeräubers. Doch damit die Prothese unter den Kleidern nicht zu stark auffiel, waren die