Название | Die Oslo-Connection - Thriller |
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Автор произведения | Olav Njølstad |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788726344127 |
Sie waren sich einig, dass an allen Theorien etwas dran war. Dann, nachmittags um kurz nach halb vier, erhielt Tamber einen Anruf, der ihre persönliche Theorie und die Hypothesen ihrer Kollegen zum Tathergang zum Platzen brachte. Petter Ofstad, einer der fähigsten Kriminaltechniker bei der Kripo, war am Apparat.
»Wir haben deinen Mann«, sagte er knapp. Ofstad war dafür bekannt, direkt zur Sache zu kommen.
»Wen?« Tamber fühlte sich überrumpelt. Sie war nicht verheiratet und hatte momentan keine feste Beziehung. »Von welchem Mann sprichst du?«
»Von dem toten Fischer. Wir wissen, wer er ist.«
»Ihr wisst, wer er ist?« Der Tonfall ihrer Stimme verriet, dass sie nicht nur überrascht, sondern fast ein bisschen entrüstet war. »Wieso wenden die Russen sich an euch, wenn sie wissen, dass ich ...«
»Vergiss die Russen. Wir haben es selbst rausgefunden.«
»Und? Wer ist beziehungsweise war er?«
»Halt dich fest: ein pensionierter Fischer aus einem kleinen Fischerdorf auf Ingøy – einem der nördlichsten Landzipfel vor dem offenen Meer, nur ein paar Meilen vom Nordkap entfernt. Sein Name war Enok Paulsen.«
»Jetzt bin ich aber wirklich baff, Ofstad. Wie zum Teufel habt ihr ihn ausfindig gemacht? War er als vermisst gemeldet?«
»Fehlanzeige. Er lebte allein und wäre wahrscheinlich so schnell von niemandem vermisst worden. Aber wir hatten seine Fingerabdrücke in unserer Kartei. Er war vorbestraft.«
Tamber pfiff anerkennend.
»Ein alter Bekannter also?«
»Das kann man so nicht sagen. Paulsen hat nicht wirklich eine kriminelle Vergangenheit, soweit wir das beurteilen können. Er hat vor etlichen Jahren eine kürzere Gefängnisstrafe abgesessen, weil er sich geweigert hat, für den illegalen Import einer Partie Branntwein ein einfaches Bußgeld zu zahlen.«
»Alkoholschmuggel also. Eine nordnorwegische Volkskrankheit.«
»Na ja, die Aktenlage ist da ziemlich vage. Es scheint sich jedenfalls nicht um professionellen Schmuggel zu handeln. Die Ware war zum eigenen Verbrauch bestimmt. Außerdem beharrte Paulsen hartnäckig darauf, dass der Branntwein ein Geschenk war. Viel mehr war zu der Angelegenheit aber nicht aus ihm rauszukriegen. Als er sich dann auch noch weigerte, das Bußgeld zu zahlen, wurde er eingelocht.«
»Wann war das?«
»Anfang der Sechziger. Ein merkwürdiger Vorfall, wie gesagt – und der einzige Fleck in einer ansonsten absolut sauberen Akte.«
»Und dieser Mann wurde vor ein paar Tagen mit einer Kugel im Nacken hingerichtet und mit 20 Gramm Plutonium in der Brusttasche ins Meer geworfen. Was hat man von so was zu halten? Einmal Schmuggler, immer Schmuggler?«
»Das rauszufinden ist dein Job«, sagte Ofstad lachend. »Ich wollte dir die Arbeit nur ein wenig erleichtern und dir mitteilen, dass er Norweger ist. Viel Glück!«
Nachdem sie noch ein paar Minuten sitzen geblieben war und nachgedacht hatte, erhob sich Tamber von ihrem Schreibtisch und lief über den Korridor zu Polizeioberkommissar Bøckers Büro. Svein Bøcker war ein Chef vom alten Schlag; er konnte es nicht leiden, wegen jedem Firlefanz belämmert zu werden. Hatte man allerdings ein wichtiges Anliegen, war er sehr entgegenkommend. Tamber hatte keine Bedenken ob der Wichtigkeit der Störung.
»Also, Eva, ich sehe keine andere Möglichkeit, als dass du dich auf den Weg in den Norden machst«, sagte Bøcker, nachdem sie ihn in die neuesten Entwicklungen in dem Fall eingeweiht hatte. »Ich werde mich mit der örtlichen Polizeiwache in Verbindung setzen und sie vorwarnen, dass du kommst. Arbeite mit ihnen zusammen, so gut es geht. Aber lass dir auf keinen Fall von den Einheimischen auf der Nase rumtanzen. Die leben in ihrer eigenen Welt dort oben, weißt du, und ich befürchte, dass der Fall, an dem wir gerade dran sind, eine Nummer zu groß für sie ist.« Er grinste schief. »Du brauchst dem Sheriff ja nicht gerade auf die Nase zu binden, dass ich das gesagt habe!«
Zurück in ihrem Büro, gab es noch eine Kleinigkeit zu erledigen, ehe sie sich an die Vorbereitung der Finnmarkreise machen konnte. In ihrer Schublade lag ein unbeantworteter Brief, abgestempelt in Seoul, Süd-Korea, und unterzeichnet vom Legationsrat der norwegischen Botschaft. Sie schrieben: »Sehr geehrte Eva Tamber. Es ist uns gelungen, die Frau ausfindig zu machen, die Sie suchen, Kyung-wha Lee. Sie lebt in der Hafenstadt Pusan, an der Südspitze der koreanischen Halbinsel, wo sie Musik und Tanz an einer städtischen Schule unterrichtet. Ich habe heute persönlich mit ihr telefoniert. Sie ist 59 Jahre alt, allein stehend, kinderlos. Als ich ihr von Ihnen erzählte, begann sie zu weinen. Sie sagte, alle Menschen in ihrem Land seien um die Wiedervereinigung ihrer Familien bemüht, damit sie ihre Verwandten aus Nordkorea vor ihrem Tod noch einmal sehen könnten. Aber sie habe keine Familie. Nur die unbekannte Tochter, die sie direkt nach der Geburt weggeben musste, weil sie allein war und niemanden hatte, mit dem sie die Last der Versorgung teilen konnte. Außerdem, hat sie mit tränenerstickter Stimme hinzugefügt, bedeutete damals ein uneheliches Kind eine große Schande. Sie beendete das Gespräch mit der dringenden Bitte, Sie zu bitten, ein paar Worte an sie zu schreiben und vielleicht ein Bild zu schicken. Sie will dafür beten, dass Sie eines Tages wieder zusammengeführt werden. Lassen Sie sich Zeit, die Sache in Ruhe zu überdenken, und treffen Sie eine eigene Entscheidung. Für den Fall, dass Sie zu dem Entschluss kommen, Kontakt aufnehmen zu wollen, lege ich Ihnen ihre Telefonnummer und Anschrift bei. Es ist mir immer eine große Freude, in solchen Angelegenheiten behilflich sein zu können. Mit freundlichen Grüßen ...«
Eva Tamber faltete den Brief langsam zusammen und starrte gedankenverloren vor sich hin. Noch lange, nachdem sie den Umschlag wieder in die Schublade zurückgelegt hatte, spürte sie die Anspannung in ihrem Körper. Wie ihre Mutter wohl aussah? Ob sie sich ähnlich waren?
17
Nichts!
Ulla Abildsø schaute frustriert auf die Armbanduhr. Zehn vor vier. Nur noch vierzig Minuten, bis das Archiv geschlossen wurde. Und noch immer suchte sie vergeblich nach Dokumenten, die Licht auf das warfen, was im Herbst 1961 mit der Mannschaft auf dem Boot ihres Vaters geschehen war. Die Mappen der Archivserie 136 »Die Atombombe« und 611 »Wärmelehre« für das Jahr 1961 waren überraschend dünn, und das wenige, was darin stand, drehte sich im Großen und Ganzen um andere Dinge als die sowjetischen Probesprengungen auf Nowaja Semlja. Die einzige Ausnahme machten einige Berichte der Gesundheitsbehörde, die außerordentliche Einsätze in Finnmark ankündigten. Im schlimmsten Fall würde es zu einer teilweisen Evakuierung der Bevölkerung kommen. Dagegen gab es keinerlei Informationen über die eigentlichen Atomtests, über die in den Mappen von 1958 so viel gestanden hatte.
Sie hatte einen dicken Kopf, einen Bärenhunger – und sehnte sich verzweifelt nach einer Tasse Kaffee. Aber das musste verschoben werden. Jetzt galt es, die Zeit zu nutzen, die ihr noch blieb. Sie sah keine andere Möglichkeit, als die Archivleiterin um Hilfe zu bitten.
»Entschuldigen Sie ...«
Frau Hansen riss den Blick missmutig vom PC-Bildschirm los. Sie ließ die Hände auf der Tastatur liegen, wie um klarzustellen, dass sie höchstens eine kurze Unterbrechung ihrer Schreibarbeit duldete.
»Bitte?«
Ulla erklärte ihr, dass in den Mappen von 1960 – 63 auffallend wenig Information über die Zusammenhänge zu finden war, die sie interessierten. Ob es eventuell sein könnte, dass jemand die entsprechenden Informationen aus den Mappen entfernt hatte?
Nein, das hielt Frau Hansen für ausgeschlossen. Über die Mappen wurde genauestens Protokoll geführt. Wenn etwas entfernt worden war, müsste das aus dem Protokoll hervorgehen.
»Meines Wissens ist noch nie etwas verschwunden.«