Die Oslo-Connection - Thriller. Olav Njølstad

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Название Die Oslo-Connection - Thriller
Автор произведения Olav Njølstad
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788726344127



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großen Mann erkennen, der frierend auf der Stelle trat. Er trug eine dunkelblaue Kniebundhose, darüber einen grauen Anorak und eine klein karierte Wollmütze mit Ohrenklappen.

      »Stimmt. Von denen begegnen mir jeden Sonntag zwischen Kikut und Frognersætra mindestens fünfzehn Exemplare.« Sie setzte das Fernglas ab. »Wahrscheinlich ein entfernter Verwandter, der in den Norden gereist ist, um sich und seiner Familie ein exotisches Feriendomizil zu sichern. Walsafari soll der letzte Schrei bei den Börsenfuzzis sein.«

      »Diese verdammten Neureichen!«, knurrte Moe und spuckte einen Klumpen Kautabak über die Reling. Dann breitete er die Arme aus. »Aber was soll man machen? Die Alternative ist noch schlimmer. Entweder steht die Perle leer und verfällt – oder man wirft sie den Säuen vor, sprich: ein Deutscher kauft sie.«

      Tamber fühlte sich immer extrem jung, wenn sie auf jemanden traf, der so emotionsgeladen über den Zweiten Weltkrieg sprach. Sie war nicht ganz sicher, ob Moe wirklich schon so alt war, dass er den Krieg am eigenen Leib miterlebt haben konnte, aber seinem Aussehen nach zu urteilen, war es durchaus möglich, dass er zumindest noch in der Besatzungszeit geboren worden war. Und nicht selten strahlten diese Menschen eine ganz besondere moralische Autorität aus, als wäre allein schon die Tatsache, unter fremder Herrschaft geboren zu sein, ein heroischer Widerstandstakt in sich, der jüngeren Menschen, besonders den weniger heldenhaften unter ihnen, Respekt abverlangte.

      »Hören wir uns erst mal an, was er zu sagen hat«, sagte sie knapp. »Hoffentlich kann er ein wenig Licht in diese vertrackte Angelegenheit bringen. Wir können jede Art von Hilfe gebrauchen.«

      Sie vertäuten das Boot neben Paulsens weißrot gestrichenem Kutter und kletterten an Land.

      Außer einem kleinen Tourensack auf dem Rücken hatte der Mann kein Gepäck dabei.

      »Guten Tag. Henrik Brantenborg«, stellte er sich vor. »Ich kenne Enok Paulsen schon sehr lange und bin hierher gekommen, um den Nachlass zu verwalten. Er hatte, wie Ihnen sicher bekannt ist, keine Erben. Die Schwester, die ihn unter normalen Umständen beerbt hätte, ist letztes Jahr gestorben, ebenfalls kinderlos. Aber Enok hat ein Testament gemacht, aus dem hervorgeht, er möchte, dass ich die Wertsachen, die er hinterlassen hat, auf eine detailliert aufgeführte Weise verwalte und verteile. Sehen Sie ...« Er schob die Hand in die Brusttasche seines Anoraks und zog einen gefalteten Umschlag heraus.

      »Um den Papierkram kümmern wir uns später«, sagte der Polizeibeamte. »Das hat sicher alles seine Ordnung. Aber sagen Sie mir doch bitte, woher Sie Paulsen kannten? Nach allem, was wir bisher über ihn herausbekommen haben, hat er kaum jemals seinen Fuß über die Gemeindegrenze gesetzt.«

      »Wir waren zusammen beim Militär und haben uns dort angefreundet. Danach haben wir den Kontakt gehalten, trotz der beträchtlichen Distanz, die sich im Laufe der Zeit ergab – und damit meine ich nicht nur die räumliche. Er war Fischer und Jäger. Ich glaube nicht, dass er jemals seinen Fuß in eine Großstadt gesetzt hat. Aber wir mochten uns und haben unsere Freundschaft mehr als fünfzig Jahre gepflegt. Wissen Sie übrigens, dass er eine einzigartige Sammlung ausgestopfter Tiere und Vögel hinterlässt? Laut Testament soll der größte Teil davon an Schulen in der Finnmark gehen, als Anschauungsmaterial für den Naturkundeunterricht. Es gibt auch ein paar richtig seltene Exemplare, unter anderem einen Seeadler und einen – ach nein, sehen Sie doch am besten selbst.«

      »Sind Sie vielleicht Museumsmann?«, fragte Tamber.

      »Nein, nicht direkt.« Er atmete tief ein, als genösse er die frische Meerluft. »Aber es gab eine Zeit, da war ich im Pelzhandel tätig. Hauptsächlich junge Seehunde. Traumhafte Sachen gab es da ... Aber das ist Ewigkeiten her!«

      Das Grundstück war gut in Schuss und außerordentlich gepflegt, wie häufig bei Menschen, die lange allein gelebt und ihre ganze Seele in die Instandhaltung von Dingen gelegt haben, statt mit anderen Menschen umzugehen.

      Moe war als Erster bei der Tür. Sie war abgeschlossen.

      »Und was machen wir jetzt?«, platzte er irritiert heraus.

      »Aufschließen«, sagte Brantenborg mit einem charmanten Lächeln und zog einen Schlüssel aus der Hosentasche. »Ich habe mich von meinem letzten Besuch daran erinnert, dass Enok im Schuppen an einem Nagel hinter der Tür immer einen Schlüssel hängen hat.« Er zeigte mit einem Nicken zu dem kleinen Gebäude, an dem sie auf dem Weg vom Anleger zum Wohnhaus vorbeigekommen waren. Es war ebenfalls rot gestrichen, hatte aber Blechplatten auf dem Dach an Stelle von Schiefer. Zwischen den beiden Häusern auf dem Grundstück bestanden gewisse Klassenunterschiede. »Ich hatte ihn gerade geholt, als ich Sie kommen sah.«

      Der Schlüssel passte. Sie traten ein.

      Tamber sah sich neugierig um. Drinnen herrschte die gleiche Ordnung wie draußen. Weder die Einrichtung noch die Bilder an den Wänden waren in irgendeiner Weise auffällig. Schlichte, altmodische Möbel, die Paulsen vermutlich von seinen Eltern geerbt hatte. Der etwas schwerfällige Nostalgiestil unechten Mahagonis. In den Regalen standen Bücher über Walfang und Fischerei und mindestens ein laufender Meter alte Jahrgänge Das Beste, daneben ein paar Krimis neueren Datums. Ansonsten war es unmöglich, nicht sofort auf die zwei Gewehre aufmerksam zu werden, die als Wandschmuck über dem Sofa hingen: eine doppelläufige Schrotflinte und eine alte Seehund-Büchse. Aus dem Wohnzimmer kam man in die Küche und von dort aus in den Flur, von dem aus eine schmale Treppe ins Dachgeschoss führte, wo sie einen kurzen Blick ins Schlafzimmer warfen (nichts Bemerkenswertes), ins Bad (geradezu spartanisch) und in ein Gästezimmer, das ganz offenbar lange nicht benutzt worden war. In der Leselampe über dem Bett fehlte die Glühbirne.

      »Ein eingefleischter Junggeselle in einem einsamen, stillen Haus«, bemerkte der Polizeibeamte. »Keine Spuren eines Kampfes oder von Gewaltanwendung. Wir müssen noch den Dachboden und den Keller inspizieren, aber es ist kaum anzunehmen, dass er dort umgebracht wurde. Bei einem Schuss in den Nacken muss es viel Blut gegeben haben, und hier sind weder Blutflecken noch Spuren eines Großreinemachens zu sehen.«

      Er wandte sich an Brantenborg.

      »Wissen Sie, was das für ein beißender Geruch ist? In der Stube hat es auch so gerochen.«

      »Das sind die Vögel«, sagte Brantenborg. »Paulsen war neben vielem anderen auch ein angesehener Taxidermist. Oder Präparator, wenn Ihnen das lieber ist. Er hatte sich auf das Präparieren arktischer Säuger und Vögel spezialisiert. Bei dem Geruch, der Ihnen so unangenehm auffällt, handelt es sich um Phenolalkohol. Damit werden ausgestopfte Tiere von innen ausgepinselt, um sie vor Insekten und anderen Schädlingen zu schützen. Der Geruch kann sich über mehrere Jahre halten, wird aber mit der Zeit schwächer.« Er schnüffelte demonstrativ. »Im Moment riecht es aber tatsächlich ungewöhnlich stark.«

      »Kann man daraus schließen, dass er vor nicht allzu langer Zeit ein paar neue Exemplare ausgestopft hat?«

      Brantenborg nickte. »Mal sehen, was wir im Keller finden. Aber zuerst der Dachboden, nehme ich an?«

      Moe hatte die Deckenluke geöffnet und zog gerade die Leiter herunter, die auf den Dachboden führte. Er stieg nach oben, erklärte die Untersuchung aber schnell für abgeschlossen, nachdem er ein paar Sekunden mit der Taschenlampe herumgefuchtelt hatte.

      »Nichts zu sehen«, stellte er fest.

      Sie gingen die schmale Treppe ins Erdgeschoss hinunter und über eine noch schmalere Treppe weiter in den Keller. Tatsächlich wurde der Geruch des Phenolalkohols stärker, je weiter sie nach unten kamen, aber er mischte sich noch mit anderen Gerüchen: Terpentin, Motoröl und – zu Tambers angenehmer Überraschung – dem Gärduft aus einem großen flaschengrünen Weinballon, der munter in einem dunklen Eckchen unter der Treppe vor sich hinblubberte. Sie liebte Glas und hatte als junge Frau den Traum gehabt, Glasbläserin zu werden. Dann hätte sie Weinballons wie diesen geblasen und sich auf die Suche nach einem forschen jungen Franzosen mit einem Händchen für Trauben gemacht.

      Das war ein ordentlicher und gut sortierter Keller. Boden und Wände waren aus Gussbeton und offensichtlich jüngeren Datums als der Rest des Hauses. Es sah so aus, als hätte es ursprünglich nur den kleinen Vorratskeller unter der Küche gegeben, der erst später zu diesem großen