Die Oslo-Connection - Thriller. Olav Njølstad

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Название Die Oslo-Connection - Thriller
Автор произведения Olav Njølstad
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788726344127



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er und Katarina.

      Drei Tage. Die Schleuse zwischen Leben und Tod. Wenn es ihm gelang, lebendig durch die nächsten Tage zu kommen, war die Gefahr einer Abstoßung so gut wie vorüber. Dann lag das Alter wie eine endlos grüne Wiese vor ihm, auf der wunderbare Dinge geschehen konnten. Wie ein Kind freute er sich darauf, auf diese Wiese zu laufen und sie gemeinsam mit Katarina zu erforschen. Ab jetzt würde alles anders werden. Sie würden keine Geheimnisse mehr voreinander haben. Sie würden offen sein für die Welt und für einander. Und das Beste von allem: Sie würden mit der Zeit auch wieder zu dem intimen Umgang miteinander zurückfinden, den ihnen sein krankes Herz geraubt hatte!

      Oder war der Glaube daran, dass alles anders werden könnte, dass es einen neuen Frühling für Katarina und ihn geben könne, nur eine Illusion? Er hatte Angst, dass es so war.

      Die Katarina, die er 1958 in Boston getroffen und mit der er sich ein halbes Jahr später vermählt hatte, war sie nicht eine andere Frau als die, mit der er jetzt nach Ashdod fahren würde? Damals war sie voller Tatendrang und Optimismus gewesen. Obwohl sie eine fleißige Studentin war, strahlte sie eine Wärme und Lebenslust aus, die es zu einem Fest machte, in ihrer Nähe zu sein, vom morgendlichen Aufstehen bei Sonnenaufgang (eine gemeinsame Angewohnheit seit dem Leben im Kibbuz), bis sie um Mitternacht ins Bett fielen – um dann den Schlaf mit heißer Liebe zu verjagen. In den vertraulichen Gesprächen danach erschien sie reflektiert und nachdenklich, ganz ohne die Vorurteile und festgefahrenen Ansichten, die sie heute prägten. Und während sie früher voller Wärme über die internationale Solidarität und die religiöse Toleranz gesprochen hatte, war sie jetzt wie versteinert in ihrem Hass gegen die arabischen Länder und deren Bewohner und Anführer. Er musste es einfach einsehen: Die Katarina, in die er sich während des Laubhütten-Festes der jüdischen Studenten am MIT Hals über Kopf verliebt hatte, gab es nicht mehr.

      Wenn es denn nicht noch eine letzte Chance gab; eine Art Schocktherapie, die ihr die Augen öffnete und ihr wenigstens einen Teil ihrer früheren Weitsicht zurückgab? Was würde geschehen, wenn sie beide auf die andere Seite gingen und sich ein Bild davon zu machen versuchten, wie es war, dort zu leben? Gaza war kaum hundert Kilometer von Ashdod entfernt, wo sie seine Rekonvaleszenzzeit verbringen wollten. Also nach norwegischem Verständnis keine wirkliche Entfernung. Doch im Nahen Osten machten diese Kilometer den Unterschied aus zwischen Reich und Arm, Gut und Böse, Hoffnung und Hoffnungslosigkeit. Er hoffte, dass Katarina ihm erklären konnte, warum die Grenze genau dort verlief.

      19

      Sie liebte Hotels. Oder genauer gesagt: Sie liebte es, im Hotel zu wohnen, und was sie anging, brauchte es weder Badewanne, ball room, noch eine Küche, die in Lifestylemagazinen angepriesen wurde. Für sie zählte, dass sie Gast sein durfte und umsorgte wurde, ohne dass das irgendwelche gesellschaftlichen Pflichten mit sich führte. Solange sie ihre Rechnung bezahlte und zur verabredeten Zeit auscheckte, hatte niemand das Recht, mehr von ihr zu verlangen.

      Dieses Mal hatte sie auf einen Tipp von einem Kollegen gehört und ein Zimmer im Hotel Grüner reserviert, einem billigen, einfachen Hotel am östlichen Rand der Stadtzentrums mit Blick auf den Fluss Akerselva. Nachdem sie sich bei einer Portion Spaghetti Bolognese und einem Glas Rotwein im Pastarestaurant an der Ecke entspannt hatte, war sie mit dem Fahrstuhl in die vierte Etage hinaufgefahren, in der ihr spartanisches Zimmer lag, bereit für eine neue Arbeitseinheit. Sie, die noch immer nach dem Mann ihres Lebens suchte, hätte vermutlich eher die Gelegenheit nutzen und sich ins berüchtigte Osloer Nachtleben stürzen sollen. Doch sie erklärte ihrem blassen Spiegelbild, dass das auf ein anderes Mal verschoben werden musste. Sie war nicht in die Stadt gekommen, um sich zu amüsieren. Einen Engel hält nichts zurück. Auf was er sich auch zubewegt, gut oder schlecht, er bewegt sich mit seiner ganzen Kraft darauf zu.

      Als sie aus dem Aufzug trat, warf sie einen Blick auf ihre Armbanduhr. Halb acht.

      Sie trat auf den Flur und spürte wieder den leichten Schmerz in der Hüfte, der sich gerne dann meldete, wenn sie müde war und ihre Muskulatur und Körperbewegungen nicht mehr perfekt auf ihre Prothese abstimmen konnte.

      Der Raum war noch genauso unordentlich, wie sie ihn am Morgen verlassen hatte. Im Hotel Grüner schien das Zimmermädchen anscheinend erst zu kommen, wenn man ausgecheckt hatte. Die Regelung gab dem Satz in der Werbebroschüre einen ganz neuen Sinn »Es ist das Bestreben des Hotels, eine entspannte Atmosphäre zu schaffen, in der die Gäste ihre Ruhe haben und sich wie zu Hause fühlen können«.

      Sie nahm ein Dokument vom Nachttischchen, das sie bisher nur kurz überflogen hatte. Es war ein Referat, das bei einer Konferenz des damaligen Staatsrats für Strahlenhygiene im Dezember 1958 gehalten worden war. Unter Sonstiges wurde über ein streng geheimes Beinahe-Unglück in Verbindung mit den sowjetischen Atomtests auf Nowaja Semlja wenige Monate zuvor berichtet. Es ging um ein meeresbiologisches Forschungsschiff, die »G.O.Sars«, die sich in die Sicherheitszone westlich des Probefeldes A von Nowaja Semlja verirrt hatte. Während einem der Atomtests hatte sich das Schiff weniger als 50 Seemeilen vom Explosionspunkt entfernt befunden. Die Besatzung hatte den Lichtblitz beobachtet, sonst aber nichts Außergewöhnliches bemerkt. Ohne dass die Mannschaft es bemerkte, war das Schiff im Laufe der nächsten Stunde einer beträchtlichen Menge von radioaktivem Fallout ausgesetzt gewesen.

      Ulla hatte früher schon einmal etwas über die Episode gelesen, und im Grunde war dieses Ereignis der Auslöser für ihre Vermutung, dass ihr Vater und ihre Onkel in eine ähnliche Situation geraten sein konnten. Jetzt brannte sie darauf, nachzulesen, was in den heruntergestuften Dokumenten des Staatlichen Strahlenschutzes darüber stand. Vielleicht entdeckte sie ja etwas, das den Historikern vor ihr nicht aufgefallen war?

      Aber zuallererst wollte sie ihre Mutter anrufen. Obwohl sie in der gleichen Gemeinde wohnten, vergingen manchmal Wochen, ohne dass sie miteinander sprachen. Doch wenn sie auf Reisen war, rief sie immer zu Hause an. Ihre Mutter wäre tödlich beleidigt, wenn sie im Nachhinein erführe, dass Ulla im Süden war, ohne ein Lebenszeichen von sich zu geben.

      Sie legte sich aufs Bett und wählte die Nummer ihrer Mutter.

      Es dauerte wie gewöhnlich eine Weile, bis sie sich meldete. Das war ihre Art, ihrer Tochter zu zeigen, dass sie bloß nicht glauben sollte, sie säße am Telefon und warte auf ihren Anruf.

      »Ja?«

      »Ich bin’s. Ulla.«

      »Ah.«

      »Ich bin in Oslo. Ich wollte nur mal hören, wie es dir geht.«

      »Ach, du weißt ja, wie es so geht. Es bleibt immer so viel liegen. Gerade war ich in der Scheune, um Holz zu holen. Es ist hier oben so kalt, du wirst es nicht glauben.«

      »Du hast Holz gehackt? Mein Gott, kannst du nicht Kai bitten, das zu tun?«

      »Kai? Wann hätte der mir denn mal geholfen? Der interessiert sich doch nur für seine Totoscheine. Was für eine Verkommenheit. Ich kann nicht verstehen, warum die Christliche Volkspartei diesem Unwesen kein Ende macht.«

      »So, so. Aber der Gewinn ist doch für einen guten Zweck. Sport, Forschung ...«

      »Forschung«, wiederholte ihre Mutter kalt; es war fast so, als hätte sie den Nordwind am Telefon. »Was sollen wir mit einer Wissenschaft, die die grundlegendste aller Wahrheiten leugnet: dass Gott die Welt, die Menschen und alles andere erschaffen hat.«

      Ulla antwortete nicht. Sie wartete einfach die nächsten Argumente ab: wie sinnlos es sei, Medizin zu studieren, wenn man nicht begriff, dass Gott mit allem einen Plan verfolgte und dass es nicht Sein Wille sei, dass der Mensch sein ganzes Leben gesund war. Gute Gesundheit brachte einen nicht ins Himmelreich.

      »Papa hatte ein Logbuch«, sagte sie kurz. »Es liegt im Gästezimmer in der oberen Schublade der Kommode – wenn du es nicht weggenommen hast.«

      »Denkst du, ich hätte die Sachen von Ståle weggetan.«

      »Nein, natürlich nicht, Mutter. Ich wollte mir nur sicher sein, dass wir von der gleichen Kommode sprechen.«

      »Ich hab doch nur diese eine Kommode, Ulla.«

      Sie hörte die Anklage: