Название | MUSIK-KONZEPTE Sonderband - György Kurtág |
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Автор произведения | Группа авторов |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783869168807 |
Die enge Analogie der beiden Passagen ist offensichtlich: Sie umfasst den Einsatz des Mundharmonika-Klangs an formal analoger Stelle (Schluss eines langsamen Satzes) und den Prozess der Klangaufhellung (hohe und zarte Klänge verschmelzen mit nachhallenden tiefen Klängen). Zudem werden die Bewegungsrichtung der Mundharmonika-Akkordfolge (Ligeti: absteigend) sowie die Reihenfolge der Grundtöne der letzten beiden Akkorde (Ligeti: Des → C) umgekehrt (Kurtág: aufsteigend; C → Des). Die Beziehung ›C-Dur‹ / ›Des-Dur‹17 ist zwar verschleiert (bei Kurtág durch den verminderten Dreiklang c – es – ges und bei Ligeti durch die Klarinetten-, Horn- und Posaunenstimmen), aber dennoch deutlich hörbar (Notenbeispiel 3 zeigt die Übereinstimmungen im Vergleich).
Notenbeispiel 2: György Ligeti, Konzert für Klavier und Orchester (1985–88), 2. Satz (Lento e deserto), T. 21–24, vereinfacht dargestellter Partiturausschnitt inkl. Zentroidwertanalyse. Aufnahme: Ensemble Inter Contemporain, Pierre Boulez (Dirigent), Pierre-Laurent Aimard (Klavier), 1994
Notenbeispiel 3: Vergleichende Gegenüberstellung (Tonhöhen): György Kurtág, … quasi una fantasia …, 1. Satz, T. 9 (oben)/György Ligeti, Klavierkonzert, 2. Satz, T. 21–24 (unten)
Auch Ligeti hat sich ausführlich zu der Klangtransformation in T. 9 geäußert:
»Zu Beginn des letzten Takts verdunkelt sich der Klang durch die Gongs und das Tamtam. Diese Verdunkelung bedeutet zugleich auch eine Erweiterung, eine Ausbuchtung des Resonanzraums. [Coda: die vier (sic!) Mundharmonikas]: Gleichzeitig mit dem letzten Klavierton (dis) erklingt auch der nähere tiefe Gong, und in diesem Moment setzen die Mundharmonikas ein, mit Phasenverschiebung, als ob sie ihren Klang wechselseitig verwischen wollten.«18
Vor dem erörterten Hintergrund kann man diese Zeilen durchaus als eine Art (Re-)Hommage an Kurtág lesen. (Obwohl Ligeti sein Klavierkonzert hier mit keinem Wort erwähnt, kann ihm die Analogie zu Kurtágs Introduzione nicht entgangen sein.)
Welche Schlüsse lassen sich daraus ziehen? Beide Komponisten teilen ein gemeinsames Interesse für die Relation Klang/Raum, und die erörterte Analogie ließe zunächst darauf schließen, dass ihre Konzeptionen diesbezüglich übereinstimmen. Dies ist jedoch nicht der Fall: Bei Ligeti setzt die Auseinandersetzung mit klanglichen Transformationsprozessen und dem »innermusikalische[n], durch die Musik evozierte[n] imaginäre[n] Raum«19 bereits früh ein: einerseits in Werken wie Atmosphères (1961) und im Klavierkonzert20 (1985–88), andererseits in Vorträgen und analytischen Texten.21 Auch in der Analyse von quasi una fantasia hat dies Spuren hinterlassen: Die im Raum verteilten Schlagwerkklänge deutet Ligeti dort als virtuellen Resonanzraum des Klaviers. Dabei beschreibt er Abdunkelungs- und Aufhellungsprozesse. Er analysiert die Introduzione somit ›durch die Brille des eigenen Schaffens‹.
Das Raum- und Klangdenken Kurtágs umfasst jedoch einige Facetten, die Ligeti in seiner Analyse nicht oder nur am Rande anspricht. Zwar zeigte Kurtág ebenfalls Interesse für die Idee der Klangkontinuität. In einem kurzen Text über die Játékok stellte er fest, dass er diesbezüglich an Ligeti anknüpfe.22 Als Beispiel ließe sich die Ligatura to Ligeti (1997) für Klavier aus Bd. 7 der Játékok anführen. Das Stück setzt mit Quartkonstellationen ein, die – auch aufgrund chromatischer Stimmführungsbewegungen – zunächst an Schönbergs Orchesterstück op. 16/3 erinnern, sich aber dann kontinuierlich zu Clustern und Klangflächen verdichten.
In Bezug auf das Verhältnis Klang/Raum in größer angelegten Werken wie … quasi una fantasia … ist aber ein weiterer Hinweis entscheidend: Durch die Einbeziehung des Raumes habe er »zu einem ganz anderen Denken und Empfinden für die entsprechenden, ein neues Maß gebenden Dimensionen der musikalischen Form«23 gefunden. Im Gegensatz zu Ligeti, der bereits seit mehreren Jahrzehnten Großformen konzipiert hatte, in denen Klang und (imaginärer) Raum auf spezifische Weise koordiniert wurden, galt Kurtág in den 1970er Jahren immer noch als Meister der knappen, verdichteten Form. Auch größere Formgebilde sind als Gruppierung von Einzelminiaturen angelegt. Darin erkannte Kurtág ein Defizit, das er durch neue (Raum-)Perspektiven zu lösen versuchte. Das Problem liegt in der Syntax begründet: Wie können musikalische Gesten, Bruchstücke und Elemente zu Großformen zusammenwachsen, die eine innere Konsistenz und Schlüssigkeit aufweisen? Diese Frage beantwortete Kurtág in … quasi una fantasia … sowie in Grabstein für Stephan op. 15c (1978–79, revidierte Fassung 1989) für Gitarre und im Raum verteilte Instrumentengruppen. Hier eröffnen imaginäre und – im Unterschied zu Ligeti – reale Raumwirkungen »die Möglichkeit, Wiederholungen dadurch zu motivieren, dass die Antwort von ›woanders‹ herkommt«.24 Diese Neugestaltung der Syntax mündet in eine andere Entwicklungslinie: die Auseinandersetzung mit musikalischer Sprache.
II Sprache
1961 hielt Theodor W. Adorno einen Vortrag mit dem Titel »Vers une musique informelle«25, in dem er über den Verlust der Sprachähnlichkeit in der Neuen Musik reflektierte. Bereits in der Dodekafonie sei die »Tuchfühlung des Benachbarten« durchschnitten und das zusammenhangbildende Prinzip einer strukturellen Instanz überantwortet worden. Einer solchen Musik, die der »Allgemeinheit heteronomer musikalischer Gesetze« folge, setzte Adorno das Idealbild einer ›musique informelle‹ entgegen: »Für Musik wäre das organische Ideal nichts anderes als das antimechanische; der konkrete Prozeß einer werdenden Einheit von Ganzem und Teil, nicht ihre bloße Subsumtion unter den abstrakten Oberbegriff und danach die Juxtaposition der Teile.«26 Kurz gesagt geht es darum, das Ganze der Form aus seinen Bestandteilen heraus neu zu denken. Durch das Erschließen neuer Wege abseits überkommener Rhetorik und blutleerer Abstraktion soll Musik wieder zur Sprache gebracht werden. Etwa zur gleichen Zeit schrieb Ligeti Werke, die diesem Ideal nahekamen: Atmosphères (1961), ein viel beachtetes Orchesterwerk, welches das nachhaltige Interesse Adornos und Kurtágs weckte, und die Aventures (1962) für drei Sänger und sieben Instrumentalisten, in denen phonetische Elemente in eine neue syntaktische Ordnung gebracht werden.
Für Kurtág war die Aufgabe, der Sprachähnlichkeit27 von Musik aufs Neue nachzuspüren, ebenfalls eine zentrale Herausforderung. In mancher Hinsicht knüpfte er dabei an die Aventures an, fand aber letztlich seinen persönlichen Weg. Dies soll anhand zweier Ligeti-Hommagen analytisch nachvollzogen werden: anhand des 3. Satzes (Scherzo, Vivacissimo) aus A kis csáva (Die kleine Klemme) op. 15b (1978) für Piccoloflöte, Posaune und Gitarre sowie der Vokalminiatur »… le tout petit macabre – Ligetinek« aus dem groß angelegten Beckett-Zyklus … pas à pas – nulle part … op. 36 (1993–97) für Bariton, Streichtrio und Schlagwerk.
II.1 Geste / Vielbezüglichkeit
A kis csáva, Scherzo
Am Anfang des Ringens um Sprachähnlichkeit steht bei Kurtág häufig das Bemühen, gestische Grundelemente zu definieren. Eben dies erörtert Michael Kunkel in seiner Analyse des Scherzos aus A kis csáva: Kurtág entwirft affektive Einheiten »im konkreten Sinne: Aus den Skizzen geht hervor, daß Kurtág in seinen Notaten bestimmte Klangvorstellungen festhält.«