Der Dreißigjährige Krieg. Peter H. Wilson

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Название Der Dreißigjährige Krieg
Автор произведения Peter H. Wilson
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783806241372



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(Vereenigde Oostindische Compagnie, VOC) beispielsweise gab regelmäßig rund 1,5 Millionen Gulden im Jahr aus, was eine stabile Nachfrage sicherte. Die politische Lage bestimmte die Exportsituation: Die letzte größere Lieferung an den Kaiser erfolgte 1624, vorgeblich zum Kampf gegen die Türken, in Wirklichkeit aber zur Verwendung gegen die Siebenbürger. Die Waffenexporte an die protestantischen deutschen Mächte versiegten um 1625, teils, weil diese als einzelne Kriegsparteien nun größtenteils ausgeschaltet waren, teils aber auch, weil die Republik nicht in den eskalierenden Krieg hineingezogen werden wollte. Nach Frankreich, England, Dänemark, Schweden und Venedig, die der Republik der Vereinigten Niederlande allesamt freundlich gegenüberstanden, ging der Exporthandel mit Waffen jedoch weiter; Portugal wurde in den Kundenkreis aufgenommen, nachdem es 1640 mit Spanien gebrochen hatte. Wenn es ums Geschäft ging, zeigten sich die Niederländer allerdings auch den Spaniern gegenüber nicht nachtragend, sondern lieferten ihnen sofort nach dem Friedensschluss von 1648 Waffen – obwohl diese ganz offenkundig gegen Frankreich eingesetzt werden sollten, den früheren Verbündeten der niederländischen Republik.

      Die Gesamtexporte der niederländischen Waffenschmieden beliefen sich in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts auf mindestens 200 000 leichte Waffen im Wert von 1,2 Millionen Gulden. Dazu kamen 100 000 ins Ausland verkaufte Harnische, die noch einmal eine halbe Million Gulden eintrugen, dazu 2700 Tonnen Lunte und mehr als 2200 Tonnen Schießpulver im Wert von über 25 Millionen Gulden. Der Handel brachte mindestens 50 Millionen Gulden ein, was fünf Prozent des gesamten Wirtschaftsaufkommens entsprach und damit dem Beitrag der Niederländischen Ostindienkompanie zum Bruttosozialprodukt vergleichbar war. Hinzu kam etwa noch einmal so viel Geld, das durch den Verkauf von Schiffsproviant, Kupfer, Blei, Zinn, Salpeter und anderem Kriegsbedarf erlöst wurde. Manch einer verdiente sich eine goldene Nase, so die Patrizierfamilie Trip, die in ihren Anfängen eine bescheidene Flussschifffahrtsgesellschaft betrieben hatte, oder die De Geers, die als Flüchtlinge aus Lüttich nach Amsterdam gekommen waren. Dabei ist bemerkenswert, dass beide Familien ihren Reichtum überaus breit gefächerten, gleichwohl integrierten Geschäftszweigen verdankten. Elias Trip und Louis de Geer waren in den Besitz des schwedischen Kupfermonopols gelangt, indem sie Gustav Adolf von Schweden Kredite gewährt hatten; das Betriebskapital des Konsortiums, an dessen Spitze sie standen, betrug mehr als ein Drittel des Kapitals der Niederländischen Ostindienkompanie. Das 1660–62 in Amsterdam für die Familie Trip erbaute Stadtpalais, dessen Schornsteine die Gestalt von Kanonenrohren hatten, kostete eine Viertelmillion Gulden; heute beherbergt das Trippenhuis die Königlich Niederländische Akademie der Wissenschaften. Louis de Geer hinterließ bei seinem Tod ein Vermögen von 1,7 Millionen Gulden.106

      Die enge Verbindung von Krieg und Geschäft trat am deutlichsten hervor, wenn es um die niederländische Marine ging. Diese wurde nämlich durch Zölle und Gebühren finanziert, die ausländische Kaufleute für den Schutz ihrer Schiffe zu entrichten hatten. Wie es der politischen Gesamtstruktur der Republik entsprach, war auch die Marineverwaltung dezentral angelegt; die fünf niederländischen Admirale verteilten sich mit dreien auf Holland sowie mit je einem Admiral auf Zeeland und Friesland. Das schuf zwar Gelegenheit für persönliche Rivalitäten, erleichterte jedoch die Zusammenarbeit mit den Kaufleuten am Ort, die im Bedarfsfall noch immer eine wichtige Quelle für zusätzliche Schiffe und Mannschaften waren. Die niederländische Marine war ursprünglich ganz darauf ausgelegt, von den Wasserstraßen des Landesinneren aus die Landstreitkräfte der Republik zu unterstützen; mit der Zeit erweiterte sich allerdings ihr Aufgabenbereich, etwa auf die Blockade der flämischen Küste, das Patrouillieren auf der Nordsee und im Ärmelkanal sowie den Geleitschutz von Handelsschiffen. Für Letzteres zahlten die Kaufleute, während die Fischereiflotte ihre eigenen Geleitboote ausrüstete und auch die beiden Indienkompanien jeweils eigene Geschwader zum Schutz ihrer kostbaren Handelskonvois aus Ost- und Westindien unterhielten. Von 1596 an zogen die Niederländer eine Flotte aus größeren, schwerer bewaffneten Schiffen zusammen, mit der sie auch die spanische Küste und die Azoren angreifen konnten.107

      Die Verteidigung von Heim und Herd übernahmen städtische Bürgerwehren, „Schützen“ (schutters) genannt, die in den 1570er-Jahren neu organisiert wurden und sich aus den Bürgern und anderen wohlhabenden Einwohnern der Städte rekrutierten. Zwar konnte man sich vom Dienst in diesen Einheiten freikaufen, doch es wurde bald zur Ehrensache jedes aufrechten Republikaners, „gedient“ zu haben – männerbündische Geselligkeit und Verbrüderung spielten gewiss auch eine Rolle. Die Schützengilden beauftragten oft namhafte Künstler, ihre Gruppenporträts zu malen; das berühmteste Beispiel ist wohl Rembrandts Die Kompanie des Hauptmanns Frans Banning Cocq, besser bekannt als Die Nachtwache. Im Feld wurden statt dieser Kompanien allerdings reguläre Truppenverbände der einzelnen Provinzen eingesetzt, die unter dem Oberbefehl ihres Generalkapitäns, des Fürsten von Oranien nämlich, zu einer Armee vereint wurden.

      Die oranische Heeresreform Obwohl diese Vereinigung der Provinztruppen bereits im November 1576 geschah, nahm die so geschaffene Gesamtarmee doch erst ein Jahrzehnt später, unter dem Befehl Moritz’ von Nassau, tatsächlich Gestalt an.108 Der junge Prinz war nach der Ermordung Wilhelms von Oranien völlig unerwartet als Statthalter von Holland und Zeeland an die Macht gelangt, weil sein älterer Bruder Philipp Wilhelm sich in spanischer Geiselhaft befand und deshalb nicht die Nachfolge antreten konnte. Der Titel eines Generalkapitäns blieb ihm verwehrt, weil Friesland, Utrecht und Gelderland sich für andere Statthalter entschieden, wodurch das nominell auf eine Person vereinigte Oberkommando der niederländischen Armee aufgespalten wurde. Dennoch erhielt Moritz die politische Unterstützung Hollands, weil Johan van Oldenbarnevelt sich für ihn einsetzte, und ging aus dieser Übergangsphase als der dominierende Heerführer und Vertreter des Hauses Oranien in der niederländischen Politik hervor. Sein Name wird für immer mit einer Reihe von Militärreformen verbunden sein, die nicht nur die niederländische Kriegführung dauerhaft prägten, sondern auch beträchtlichen Einfluss auf die Heeresorganisation in Deutschland und Schweden ausübten. Zwar sollten diese Reformen ein Problem beheben, das in ganz Europa verbreitet war; weil sie in den Niederlanden aber früher zum Erfolg führten als ähnliche Bemühungen in anderen Ländern, wurde die oranische Heeresreform zum Vorbild der Zeitgenossen, später dann zum Bezugspunkt für die historische Forschung.109

      Moritz war bestrebt, sich den disziplinierten Zusammenhalt von Söldnerverbänden zunutze zu machen, wollte sie zugleich jedoch einer festen politischen Kontrolle unterwerfen. Seine Maßnahmen stellten den Versuch dar, alte und neue Erkenntnisse aus Philosophie, Naturwissenschaft und Medizin zur Lösung gegenwärtiger Probleme praktisch anwendbar zu machen. Die Denker und Gelehrten des späten 16. Jahrhunderts waren von der Vorstellung fasziniert, die Aufdeckung verborgener Gesetzmäßigkeiten in der Natur werde ihnen Einblick in die innersten Geheimnisse von Gottes Schöpfung gewähren. Diese frühmoderne Form der Rationalität verband sich mit der späthumanistischen Relektüre antiker Autoren, denn auch in den Schriften der Griechen und Römer vermutete man Antworten auf die drängenden Fragen der Gegenwart. Ihre deutlichste Ausprägung fanden diese beiden Denkansätze im Werk von Justus Lipsius, der an der Universität Leiden lehrte, wo Moritz von Oranien studiert hatte, und der dem Fürsten 1589 sein Werk Politicorum sive civilis doctrinae libri sex („Sechs Bücher über Politik“) präsentierte.110 Wie viele Europäer seiner Generation war Lipsius entsetzt über die konfessionelle Gewalt, die in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts immer wieder aufflackerte. Er durchforstete die antike Literatur auf der Suche nach einem „Heilmittel“ und stieß schließlich auf die Philosophie der griechischen und römischen Stoa, die er zum Neustoizismus weiterentwickelte. Lipsius glaubte, dass ihre Leidenschaften die Menschen blind für ihr gemeinschaftliches Bestes machten, woraus dann irrationale Gewaltausbrüche folgten. Folglich sei es geboten, jegliche Emotion zu unterdrücken: am besten durch eiserne Selbstdisziplin; falls das jedoch nicht gelinge, durch äußeren Zwang. Mit einer Interpretation der römischen Geschichte – namentlich der Kaiserzeit und des Imperium Romanum – erweiterte Lipsius seine Philosophie zu einem Plädoyer für einen entschlossenen, zugleich aber verantwortungsbewussten Regierungsstil, der dem Herrscher die Verpflichtung auferlegte, seine Untertanen von gegenseitiger Schädigung abzuhalten und äußere Gefahr von ihnen abzuwenden. Ihre besondere Schlagkraft bezogen solche Ideen aus dem Umstand, dass sie mit hohen Dosen genau jener christlichen Moralvorstellungen kombiniert wurden, deren umfassende Geltendmachung protestantischen wie katholischen Reformern