zuadraht. Werner Kopacka

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Название zuadraht
Автор произведения Werner Kopacka
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783701178186



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lieber Martin her, großartig, deine letzte Kolumne, zum Glück gibt es einen, der ungeschminkt die Wahrheit schreibt, was wäre diese Stadt ohne dich. Es war zum Kotzen. Dass die anderen für seine Drinks bezahlten, war klar. Sie rissen sich sogar um dieses Privileg und glänzten vor Freude, wenn er es ihnen gewährte. Gegen 18 Uhr war der Starkolumnist meistens so voll des Schnapses und des Lobes, dass er sich zufrieden per Taxi zur Redaktion kutschieren lassen konnte. Dort wankte er dann zu seinem geparkten Auto und steuerte es mit der Routine des Dauertrinkers relativ geradlinig nach Hause. Ein schönes Einfamilienhaus am nördlichen Stadtrand, nicht mehr ganz in Andritz, aber noch nicht ganz in St. Veit. Eine ruhige Gegend, die deshalb auch ihren Preis hat. Die Straße vor dem Haus ist eng und schlecht beleuchtet, das hat aber nichts mit billig zu tun, sondern mit der Wahrung der Privatsphäre. Von da an geschah nichts mehr. Ich hatte mir an einigen dienstfreien Nächten die Mühe gemacht und bis zum Morgengrauen gelauert. Durch einen Spalt im Vorhang hatte ich ins Wohnzimmer blicken können. Er knotzte mit geschlossenen Augen in einem Sofa, die Beine hoch, auf dem Tischchen daneben die Wodkaflasche. Kein Fernseher, nur Musik. Irgend etwas Schweres, Klassisches. Kurz vor 23 Uhr ging dann das Licht aus.

      Er hatte keine Ahnung, dass er von mir beobachtet wurde. Mein Gesicht kannte er zwar nicht, trotzdem war es nicht ratsam, zu oft in Originalgestalt in seiner Nähe aufzutauchen. Selbst wenn man für das beobachtete Objekt ein Unbekannter ist, reagiert dessen Unterbewusstsein bei zu häufigen Begegnungen und speichert irgendwann einmal etwas Markantes. Die Kopfform, die Augen, die Frisur. Den kenn ich doch, den hab ich doch erst vor kurzem gesehen. Was tut der schon wieder hier? Misstrauen kann man als Beschatter nicht brauchen. Aber es ist ganz einfach, es auszuschalten. Eine Mütze, ein langer Mantel, ein falscher Schnurrbart, eine dicke Brille. Es gibt so viele und so simple Verkleidungen. Man muss sie nur richtig einsetzen.

      Die Entführung des Martin Hanser war ein Klacks. Nichts. Nicht einmal ein Abenteuer. Es war meine erste Entführung, und ich war am Ende total enttäuscht, weil sie so glatt und problemlos abgelaufen war. Alles, was ich mir zuvor vorgestellt hatte, die vor Aufregung zitternden Hände, den Druck im Bauch, den Schweiß auf der Stirn, hatte es nicht gegeben. Ich hatte ihn in der Wienerstraße überholt, hatte meinen Wagen unter dem Baum neben seiner Garageneinfahrt geparkt, die Handschuhe angezogen, die Maske über das Gesicht gestülpt, den Ätherbausch vorbereitet und gewartet. Wie immer um diese Zeit war die Straße menschenleer, es war fast Nacht, als er vor dem Ga­ra­gentor stehen blieb. Als er ausstieg, um es zu öffnen, stand ich bereits neben ihm und drückte ihm das Betäubungsmittel ins Gesicht. Als er sich zu wehren begann, setzte ich zur Vorsicht auch den mitgebrachten Gummiknüppel ein. Er sackte zusammen, war schwerer, als ich gedacht hatte, aber es dauerte trotzdem nur ein paar Sekunden, bis er auf dem Rücksitz meines Wagens lag. Dann öffnete ich sein Garagentor, fuhr sein Auto hinein, zog es wieder zu. Der Hanser gehörte endlich mir.

      Die Sache mit dem Leimböck ist ein anderes Kapitel. Ich mag ihn nicht, hab ihn nie leiden können. Ein Schleimer, einer, der stets die richtigen Leute dort oben kannte und stets das richtige Parteibuch hatte, wenn es um Beförderungen oder die Absicherung des eigenen Postens ging. Es stimmt. Ich war damals ein anderer. Viel zu ehrlich und viel zu naiv, um jene Karriere machen zu können, die mir zugestanden wäre. Ich war ein Polizist mit Leib und Seele. Solche gibt es heute kaum noch. Der Rei­schenböck ist aus Frust mit einem wohlverdienten Magenleiden in Frühpension gegangen, beim Arzberger war’s ein Herzinfarkt. Und der Hubmann, der ein ganz Großer hätte werden müssen, macht heute Telefondienst. So gehen die dort oben mit Menschen um. Und die Schleimböcks dieser Welt machen Karriere. Chef der Mordgruppe! Ein lächerlicher Heimgärtner, den sie hinter seinem Rücken verächtlich Eipeldauer schimpfen. Damals, als sie mich fallen lassen und gefeuert haben, hat er mir mit seinem schleimigen Grinsen die Hand entgegengehalten und Mitgefühl geheuchelt. Ich war noch nicht reif genug gewesen, um sie auszuschlagen und ihm stattdessen ins Gesicht zu spucken. Später, während der langen Wachnächte, habe ich diese Situation immer wieder vor mir gesehen, mich hat dabei stets vor mir selbst geekelt. Vor der Feigheit und der Unterwürfigkeit, mit der ich damals gegangen bin. Wie ein geprügelter Hund aus dem Paulustor geschlichen. Man hat mich davongejagt, weil ich auf meine Art die Wahrheit gefunden hatte. Weil ich der einzige Polizist in diesem Sauhaufen war, durfte ich nicht mehr Polizist sein.

      Jetzt bin ich der Schutz-Lutz. Ich weiß, dass mich der Schleimböck und die anderen für eine lächerliche Figur halten. Uniformträger, ja, aber auch die von der Müllabfuhr tragen eine orangefarbene Abart davon. Fledermaus nennen die im Paulustor einen wie mich. Nachtaktiv! Habe ich früher, als ich noch einer von ihnen war, auch getan. Verächtlich, abwertend.

      Der Augenblick der Erkenntnis hat alles verändert. Ich bin jetzt ein anderer, viel mehr als der Polizist von früher, es gibt keine Regeln und keine Dienstvorschriften mehr. Und es gibt auch kein Gericht und keine Richter mehr. Nur Gerechtigkeit. Ich bin der Vollstrecker.

      Es macht mir Freude, mit Würmern, wie dem Hanser, zu spielen. Und mein Spielchen mit dem Schleimböck hat gerade erst begonnen. Mein Vorteil heißt Intelligenz. Es ist eine Intelligenz, die ich zuvor nicht gekannt hatte, eine Intelligenz, die ich erst lernen konnte, nachdem die Erkenntnis gekommen war. Es ist eine Intelligenz, die pur und unbeeinflusst ist, weil sie sich nur auf das Wesentliche konzentrieren darf. Ich wiederhole: Sammeln, studieren, erkennen, analysieren. Geduld! Das Ausarbeiten des perfekten Weges, der zum Ziel führt. Perfektion heißt, keine Fehler zu machen. Keiner traut einem vermeintlichen Simplicissimus wie dem Schutz-Lutz diese Intelligenz zu. Keiner wird einen wie ihn, eine harmlos-unauffällige, gedemütigte und duckmäuserische Fledermaus, verdächtigen. Bingo!

      Im Keller, Samstagabend

      Aufwachen, besoffener Sack!

      „Warum, was ist los, wo bin ich? Hilfe, ich ertrinke!“

      Dieses Haus ist sogar mit einer Dusche ausgestattet, wie du siehst. Ein Kübel kaltes Wasser ins Gesicht klärt den Kopf. Außerdem ist deine Toilette jetzt wieder sauber, ich habe deinen Dreck entsorgt. Hier, die Abendzeitung. Der Klausberger-Mord als Aufmacher und deine Kolumne auf Seite zwei. Kein Zusammenhang. Noch nicht. Nur zwei Menschen, die den Herrn Stadtrat nicht gemocht haben. Sein Mörder und der Herr Starkolumnist. Aber beim Leimböck hat es schon geklickt, da nehme ich jede Wette an. Der Herr Kommissar kombiniert, darin war er immer schon gut. Ermitteln, auswerten und Zusammenhänge herstellen. Kriminalistische Knochenarbeit. Mo­sa­iksteine sammeln, auflegen und das Gesamtbild finden.

      „Ich brauche was zu trinken. Wasser.“

      Dort drüben auf dem Tisch. Eine ganze Plastikflasche voll. Daneben liegt die Zeitung. Du musst nur aufstehen und hingehen. Schwierig? Weil der Schädel brummt und die Knie zu weich sind?

      „Ich schaff es schon. Siehst du, es geht. Wie war das mit der Zeitung? Ja, jetzt sehe ich es. Aber zuerst das Wasser. Mein Gott tut das gut. Stadtrat brutal erstochen. Nicht sehr fantasievoll. Hat wohl der Chef selbst gemacht. Mysteriöser Mord auf der Grazer Murpromenade. Frank Klausberger starb bei morgendlicher Jogging-Runde.“

      Was ist los? Blättere doch um. Auf Seite zwei siehst du dein Konterfei. Das reimt sich ja sogar. Auf Seite zwei, dein Konterfei. Da denkt sich der Herr Leimböck allerlei. Beim Konterfei.

      „Ein Albtraum, ich bin mitten in einem Albtraum. Hilfe, Hilfe, ich will hier raus. Hört mich keiner? Hilfe! Du bist wahnsinnig, völlig wahnsinnig. Hilfe!“

      Schrei nur, wenn es dich erleichtert. Du bist in einem Keller und die Mauern sind mindestens einen halben Meter dick. Im Umkreis von hundert Metern gibt es kein anderes Haus.

      „Du hast den Klausberger umgebracht. Einfach so. Einen Menschen, der dir nichts getan hat. Ich hab es nicht geglaubt, nicht wirklich. Aber es ist wahr. Es ist tatsächlich wahr. Wa­rum?“

      Das weißt du doch längst. Ich habe es für dich getan. Für deine Unsterblichkeit. Du wirst als Berühmtheit in die Kriminalgeschichte eingehen. Der Rächer des machtlosen, von den Polit-Schweinen ausgebeuteten Bürgers. Der Robin Hood des geneppten Steuerzahlers. Klingt doch gut, nicht wahr. Und sie werden dich nie erwischen. Das garantiere ich dir. Du wirst ein Phantom bleiben und am Ende spurlos verschwinden. Weltweite Fahndung, völlig erfolglos. Und den Leimböck wird der Fall Hanser Kopf und Kragen kosten.

      „Das kann