Wiener Wohnwunder. Anatol Vitouch

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Название Wiener Wohnwunder
Автор произведения Anatol Vitouch
Жанр Изобразительное искусство, фотография
Серия
Издательство Изобразительное искусство, фотография
Год выпуска 0
isbn 9783710604997



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ist, das automatisch repariert wird“, erzählt Nurten. „Erst seit ich bei wohnpartner bin, weiß ich, dass man das selber melden muss.“

      Willi wiederum wusste jahrzehntelang nichts von einem Betretungsverbot der Wiese:

      „Auf die Idee wäre ich selbst weder als Kind noch als Erwachsener je gekommen. Ich bin meine ganze Jugend lang nie von jemandem darauf angesprochen worden, dass ich die Wiese nicht betreten darf. Das wär am Rennbahnweg aber auch ein Wahnsinn, weil der fast nur aus Wiese besteht.“

      Zsuzsi fällt allerdings auch ein Beispiel für eine gelungene Anwendung ihres in der Arbeit gewonnenen Wissens ein: „Wir sagen bei wohnpartner den Leuten immer, sie sollen mit den Leuten reden, wenn’s Probleme gibt. Ich hab das selber bei mir im Hof bei Kindern ausprobiert, die sehr laut waren, und siehe da: Es hat wirklich funktioniert!“, erzählt sie fast ein wenig überrascht.

      In diesem Sinne sind sich alle einig: Die Probleme der Mieterinnen und Mieter sind leichter nachzuvollziehen, wenn man selbst im Gemeindebau wohnt und ähnliche Erfahrungen macht: „Wenn man das selbst repräsentiert, dann ist man für die Lösung von Konflikten automatisch glaubhafter.“ Diese Konflikte zu lösen, ist den wohnpartner-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeitern ein Anliegen. Denn, wie Willi es zum Abschluss formuliert: „Ich finde, der Gemeindebau ist das Herzstück von Wien. Wenn’s dem Gemeindebau gut geht, geht es Wien gut. Das ist das in Stein gemeißelte Symbol für Freiheit, Gleichheit und Solidarität.“

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       RUTHNERGASSE

       „Mir gefällt alles“

      Im BewohnerInnenzentrum in der Ruthnergasse haben sich in der Lernbegleitungsgruppe einige Kinder aus der Umgebung versammelt, die ihre Lebenswelt zeichnen, malen und von ihr erzählen.

      Auf die Frage, ob sie gerne in ihren Gemeindebauten wohnen, ist ein Ja nach dem anderen zu hören, die meisten erzählen auch davon, dass sie den Großteil ihrer Freizeit in ihrer unmittelbaren Wohnumgebung verbringen.

      Und was gefällt ihnen dort besonders?

      „Eigentlich alles. Man kann dort spazieren, in den Hof gehen, spielen.“

      „Es gibt dort auch Spielplätze und viel Grün.“

      „Mir gefällt auch alles.“

      „Mir auch.“

      Aber es muss doch auch etwas geben, was den jungen Floridsdorfern nicht so gut gefällt?

      „In der Nähe von unserer Wohnung ist ein Geschäft, wo Alkohol getrunken wird, und da gibt es immer Betrunkene, die rauchen auch. Das gefällt mir nicht so gut.“

      „Mir gefällt nicht, dass die Wohnung teuer ist. Sie hat 75 Quadratmeter, aber dadurch ist sie auch teuer.“

      Und die Nachbarn?

      „Wir haben eine Österreicherin und eine Serbin und einen Syrer. Die sind alle drei nett.“

      „Manchmal schauen wir nicht auf die Uhr, wenn wir spielen gehen, aber in unserem Hof gibt es einen Mann, der ruft beim Fenster raus, wenn es nach acht ist, dass wir nach Hause gehen müssen. Und das ist gut, weil dann erinnern wir uns daran.“ Na also: Lärmempfindliche Nachbarn und spielende Kinder können in Sonderfällen doch eine Symbiose zum beiderseitigen Vorteil eingehen …

       BÜRGERGASSE

       Die Abrüstung der Worte

      Frau Jon und Herr Marko sitzen im gemütlichen Café Kess in der Favoritenstraße und reden über das Thema Eigenverantwortung: „Selbst was tun ist schwerer als schimpfen“, sagt Herr Marko dazu lächelnd. Deswegen habe er gemeinsam mit seiner Frau das „Team Bürgergasse“ gegründet, weil in ihrem Gemeindebau zwar genügend Probleme, aber kein Mieterbeirat vorhanden war: „Es gab viele Konflikte mit den Neumietern, und in den vergangenen Jahren ist es immer ärger geworden. Da haben wir dann irgendwann gesagt: ‚Wir müssen einfach selber was tun.‘ “

      Am schwierigsten sei es beim Thema Lärmbelästigung durch die im Hof spielenden Kinder gewesen, ergänzt Frau Jon. Sie berichtet aber auch von einer positiven Überraschung bei der ersten Versammlung der Hausgemeinschaft, die von den beiden sowie ein paar anderen engagierten Mieterinnen und Mietern initiiert wurde: „Ein Kind hat selbst eine Mittagspause für das Spielen im Hof vorgeschlagen, damit es eine Zeit gibt, wo man untertags das Fenster öffnen kann und es ist ruhig.“

      Vor allem anderen aber wollten Frau Jon und Herr Marko das soziale Klima in ihrem Bau in der Bürgergasse verbessern. Die Leute, so berichten die beiden, seien immer aggressiver geworden. „Eine Abrüstung der Worte war uns wichtig“, sagt Herr Marko, und man spürt, dass ihm das ein echtes Herzensanliegen ist.

      Zum Teil hat das „Team Bürgergasse“ dieses Ziel auch erreicht. Wie es mit der Initiative weitergeht, ist aber vorläufig noch ungeklärt: Herr Marko und Frau Jon selbst ziehen nämlich demnächst um – in einen anderen Gemeindebau, nur 500 Meter von ihrer alten Heimat in der Bürgergasse entfernt.

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       Frau Jon und Herr Marko haben das „Team Bürgergasse“ gegründet

       „Selbst was tun ist schwerer als schimpfen.“

       In kurzer Zeit ist viel passiert

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       RENNBAHNWEG

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      Beim Mieterbeiratsstammtisch am Rennbahnweg in der Donaustadt ist viel los – und der Schmäh rennt auch. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Stammtisch sind Ansprechpartner für die Interessen der Bewohnerinnen und Bewohner des Baus, der in den 1970ern auf einer ehemaligen Aushilfsrennbahn des Wiener Trabvereins als damals größte Wohnsiedlung Österreichs erbaut wurde. Die Vielstimmigkeit ihrer Erzählungen verdichtet sich zu einem der reflektiertesten Einblicke in Geschichte und Gegenwart des Lebensraums Gemeindebau:

      „Wenn ich mich erinner, wie ich als Kind mit Toilette draußen gewohnt hab, nur Kaltwasser, zu viert auf Zimmer/Kabinett, dann wohn ich heute im Luxus. Ich habe später auch auf 200 Quadratmetern in einem Haus in Hietzing gewohnt, aber die Bausubstanz war nicht so gut wie jetzt im Gemeindebau …“

      „Wir ham vorher gwohnt auf Zimmer/Küche, vier Personen, zwei 15-, 16-Jährige, Klo am Gang. Die Mutti hat in der Waschkuchl im vierten Stock Wasser geheizt. Luxus is die richtige Beschreibung dessen, was wir dann gehabt haben, als wir in den Gemeindebau gezogen sind …“

      „Bei meiner Oma gab’s noch ein Tröpferlbad, da konnte man wählen zwischen Brausebad und Wannenbad. Die Wannen waren herrlich, gusseisern. Das war toll damals. Und heute sind die Leute angfressen, wenn sie kein verfliestes Bad haben …“

      „Die Kostenunterschiede zwischen Gemeindebauten und privat sind enorm. Wir leben hier schon sehr sozial. Keine Provision, keine Kaution, und der Quadratmeterpreis ist nach wie vor viel geringer …“

      „Man soll nicht vergessen, wenn man über die heutige Jugend am Rennbahnweg schimpft: Wir selber waren auch laut, und genauso is die Jugend heute halt laut. Gemeinde heißt für mich ‚gemeinsam‘. Daran sollte man denken und für die Kinder auch was übrig haben …“

      „Von 1919 bis heute hat sich der kommunale Wohnbau enorm entwickelt. Alles ist grüner