Wiener Wohnwunder. Anatol Vitouch

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Название Wiener Wohnwunder
Автор произведения Anatol Vitouch
Жанр Изобразительное искусство, фотография
Серия
Издательство Изобразительное искусство, фотография
Год выпуска 0
isbn 9783710604997



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Was das Problem ist, sind die niedrigen Löhne – aber dafür kann der Gemeindebau nix …“

      „Heute kapseln sich die Leute alle ein. Nicht einmal die vier Leute am gleichen Gang kennen einander, sondern verstecken sich voreinander. Ich bring bei 60 Wohnungen auf meiner Stiege vielleicht noch fünf zsamm, die ich beim Namen kenn. Das war früher anders, da hamma mit vielen Kontakt gehabt. Aber heit is a jeder nur mit dem Handy beschäftigt und kaner redt mehr mitanand …“

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      „Auf meiner Stiege helfen wir uns untereinander, wenn’s nötig ist. Da wohnen auch einige ältere Leute, die sich schon lang kennen. Die, die neu dazugekommen sind, haben den Kopf in den Sand gesteckt. Aber ich hab das umgedreht, ich geh selber auf die Leute zu …“

      „Ist es nicht ein Fehler gewesen, das Multikulturelle nicht schon viel früher in den Gemeindebau zu bringen? Dadurch war keiner daran gewöhnt, an die dunklen Augen, an die andere Kleidung. Früher hat man alle mit anderer Nationalität woanders einquartiert und die Gemeindebauten ‚sauber‘ gehalten. Und als dort aber kein Platz mehr war, hat man die Leute auch in den Gemeindebau gebracht, und darüber waren dann plötzlich alle erschrocken, weil sie es nicht gewohnt waren …“

      „Da ist zu viel in kurzer Zeit passiert, sodass die Leute sich überrannt gefühlt haben. Das hat sich jetzt aber geändert …“

      „Der Fehler wurde schon in den 70er-Jahren bei den Gastarbeitern gemacht: Die hat man in Zinshäusern am Stadtrand einquartiert, weil man gemeint hat, die gehen eh wieder zurück. Dadurch hat man die ghettoisiert und versäumt, die Leute rechtzeitig auch in den Gemeindebauten zu integrieren …“

      „Was bei der Diskussion übersehen wird: Österreich war immer schon ein Vielvölkerstaat. Die k. u. k. Monarchie hatte ihre Grenze in Mexiko. Und im Grunde waren wir selber überall Ausländer …“

      „In jedem Fall hat man sicher lang vergessen, die Leute im Gemeindebau zu betreuen. Und das war ein Fehler der Politik, nicht der Gemeindebauten …“

      „Keine Privatisierung. Ich will, dass jeder eine Wohnung hat. Ich will meine Wohnung nicht kaufen, die soll für alle frei zugänglich sein. In Berlin müssen sie die Wohnungen jetzt retour kaufen, weil der Mietschacher so ein Wahnsinn ist …“

      „Ich würd mir wünschen, dass die Leute mehr aufeinander zukommen. Auf unserer Stiege haut das hin, dass die Nachbarin, wenn sie B1-Prüfung hat, rüberkommt und man gemeinsam übt. Und dass die ane a Kopftüachel trogt – na, um Gottes Willen. Was die privat für eine Religion hat, is mir egal, und meine Oma hat auch eines getragen …“

       HERMINE-FIALA-HOF

       Gemeinschaft Gemeindebau

      Frau Traer ist eigentlich Kärntnerin, lebt aber seit Mitte der 1970er-Jahre in Wien. 1983 konnte sie mit ihrem Mann und den beiden Töchtern als Erstbezieher in den Hermine-Fiala-Hof in der Troststraße in Favoriten ziehen, wo sie von Anfang an äußerst zufrieden war. Das lag einerseits an der hohen Wohnqualität, andererseits am guten Kontakt zu den Nachbarinnen und Nachbarn, der sich rasch entwickelte: „Es war eine Gemeinschaft da, viele Familien mit Kleinkindern, man hat sich gegenseitig ausgeholfen. Es war schön für uns zu wissen, morgen können wir unser Kind dort oder dorthin geben.“ Die Wohnungen waren schon beim Einzug sehr schön mit Parkett ausgestattet, „das habe ich sehr geschätzt. Du bist reingekommen und hast dich wohlgefühlt.“

      Frau Traers ältere Tochter ist seit der Geburt Spastikerin und sitzt im Rollstuhl. Innerhalb des Fiala-Hofes konnten sie sich die Wohnung damals aussuchen und entschieden sich für eine mit barrierefreiem Zugang auf der Stiege 10, wo nach dem Ausstieg aus dem Lift keine Stiegen mehr bewältigt werden müssen. „Mein Mann und ich waren glücklich, dass wir dort haben einziehen können. In unseren eigenen vier Wänden fühlen wir uns immer noch sehr wohl.“

      Rundherum aber habe sich viel geändert, viele alte Mieterinnen und Mieter seien über die Jahre ausgezogen, „dadurch hat sich das Bild gewandelt“.

      Was Frau Traer mit am meisten ärgert, ist, dass manche der neu Eingezogenen nicht einmal bei einer gemeinsamen Fahrt im Lift grüßen würden: „Die, die Kontakt haben wollen, outen sich eh, aber bei vielen hat man das Gefühl, sie wollen das nicht. Die bleiben sehr unter sich.“ Die vorhandenen Gemeinschaftsräume würden kaum genutzt, der Hof nur von den Kindern. Dabei verbinde sie mit Gemeindebau immer noch Gemeinschaft, ein Füreinanderdasein: „Es gibt Situationen, da brauchst vielleicht einmal Hilfe. Aber heute hab ich kaum mehr die Möglichkeit, bei einem Nachbarn anzuläuten, vielleicht bei ein oder zwei. Du kannst dir im Endeffekt fast keine Hilfe mehr erwarten. Und das ist eigentlich traurig.“

      Wie sich diese für sie unbefriedigende Situation verändern ließe, darüber hat Frau Traer schon oft nachgedacht und ist auch auf einige Ideen gekommen: „Vielleicht gibt’s die Möglichkeit, einmal gemeinsam von Nachbar zu Nachbar zu gehen und zu schauen, was die Leute wollen und brauchen. Oder Gemeinschaftsgärten zu machen, wo man was anbaut und sich dadurch trifft. Aber man müsste wahrscheinlich viel Energie dafür aufwenden, die Leute dazu zu motivieren, und das habe ich eigentlich schon zur Genüge getan. Meine Tochter sagt immer: ‚Mama, du bist nicht die Hausmeisterin.‘“

      Dass sie nicht mehr ganz so motiviert ist, Zeit und Energie in eine Verbesserung der sozialen Beziehungen im Hermine-Fiala-Hof zu investieren, mag auch daran liegen, dass Frau Traer für ihren Lebensabend Rückkehrpläne in ihre alte Heimat Kärnten schmiedet: „Wir haben das Haus von meiner Schwiegermutter geerbt und überlegen zurückzugehen, wenn mein Mann nächstes Jahr in Pension ist. Auch für unsere Tochter wird dort eine neue Beschäftigungstherapie mit Wohneinheiten in der Nähe gebaut. Und dort hab ich halt auch die Nähe zu Italien“, sagt Frau Traer lachend, aber man meint zu spüren, dass ein Auszug aus dem Hermine-Fiala-Hof für sie auch mit einem weinenden Auge verbunden wäre.

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       HERMINE-FIALA-HOF

       Troststraße 45a

       1100 Wien

       Errichtet 1980–1982

       397 Wohnungen

       Geplant von Erwin H. Dusl, Wilhelm Gehrke, Erich Hofbauer, Friedrich Novotny, Fritz Oberdorfer

       BUCHENGASSE

       Die Natur vor der Tür

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      Die Stimmung in der Buchengasse 25–37 ist gut, und das liegt nicht nur an den Hamstern – aber schon auch: „Süße Gfraster“ seien sie, die Hochbeete müsse man gegen sie und die anderen Tiere, die hier in Favoriten mitunter bis in den Innenhof kommen, ganz besonders gut absichern.

      Aber die Nähe zur Natur hat eindeutig auch ihre Vorteile, wie ein Mitglied der Gartengruppe erzählt: „Wir sind zwar in der Stadt, aber trotzdem ist die Natur rund um uns. Wir haben eine Eule, die zeitweise auf Besuch kommt, dann Falken und Wildhamster. Auch eine Marderfamilie läuft auf den Autos herum. Die Natur ist also vor der Tür und es ist angenehm, das den Kindern zeigen zu können, ohne dass man sich weit bewegen muss.“ Auch die Entwicklung