Wiener Wohnwunder. Anatol Vitouch

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Название Wiener Wohnwunder
Автор произведения Anatol Vitouch
Жанр Изобразительное искусство, фотография
Серия
Издательство Изобразительное искусство, фотография
Год выпуска 0
isbn 9783710604997



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      Beatrix Vasicek und Sabina Schneider leben seit 2002 im Gemeindebau in der Grenzackerstraße zwischen Wienerberg und Laaer Berg in Favoriten. Das Paar zog damals mit ganzen sieben Kindern hier ein: zwei leiblichen und fünf Pflegekindern: „Es war sehr schwierig am Anfang. Schon die ersten Blicke, als wir eingezogen sind, waren nicht angenehm.“

      Zu dem Zeitpunkt, erzählen die beiden Frauen, hätten sie noch als Schwestern gegolten, bald habe sich das aber geändert. „Die Kinder haben einen guten Beitrag geleistet, dass wir anerkannt wurden, weil wir großen Wert auf gute Erziehung sowie Freundlichkeit und Höflichkeit der Kinder gelegt haben.“ Dadurch habe sich die Atmosphäre hier nach und nach zu einem sehr guten und angenehmen Wohngefühl für die Familie entwickelt. Auch die Buben von Hausbesorger Wolfgang Mayer hätten sich gut mit ihren Kindern verstanden, was einen wesentlichen Beitrag zur Integration in der Anlage geleistet habe.

      Herr Mayer selbst hat einen angenehm pragmatischen Zugang zur Lösung nachbarschaftlicher Probleme: „I hob mit kan Mieter do irgend a Problem. Und wenn’s wos geben hot, hob is immer söwa greglt.“

      Mayer, der selbst seit dem Jahr 2000 hier lebt, erinnert sich an die Veränderungen in der Grenzackerstraße in den vergangenen zwei Jahrzehnten: „Damals ham wir ja noch Hasen hier gehabt, die sind bis zum Fenster gekommen.“ Der Umbau des Verteilerkreises habe sie dann vertrieben, aber: „Jetzt hamma noch Enten, Igel, Hamster und Marder.“

      Auch nicht so übel! „Du bist mitten in der Stadt und trotzdem am Land und in der Natur, das is wunderbar“, bestätigt Mayer.

      Was Herrn Mayer, Frau Vasicek und Frau Schneider im Rückblick immer noch überrascht, ist die positive Entwicklung des nachbarschaftlichen Klimas in der Grenzackerstraße, seit die drei ihren gemeinsamen Plan in die Tat umgesetzt und ein Gemeindebaufest veranstaltet haben. Wolfgang Mayer erzählt: „Viele haben Kuchen gebacken und mitgebracht, jeder hat was beigetragen. Es sind 283 Leute gekommen, viel mehr, als ich geglaubt hätte. Zwei Tage vorher hab ich mir noch gedacht, warum tu ich mir das an, weil’s wirklich viel Arbeit war. Aber am Tag des Festes hab ich gewusst: Dafür hab ich’s gemacht und das mach ich jederzeit wieder.“

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       Als Beatrix Vasicek und Sabina Schneider in die Grenzackerstraße gezogen sind, galten sie vielen als Schwestern

      Viele Leute seien damals bis ganz zum Schluss geblieben und hätten am Platz getanzt, schwärmt Mayer, der auch verrät, dass er inzwischen schon zahlreiche Anfragen für ein neues Fest erhalten hat – das er dieses Jahr anlässlich des 50-jährigen Jubiläums des Gemeindebaus in der Grenzackerstraße organisieren will.

      Seit das Fest stattgefunden hat, berichtet Mayer, grüße man sich in der Anlage regelmäßig, „früher hat man sich maximal angegiftet“. Und: „Die Ausländerfeindlichkeit ist weg. Das war früher schon so, dass manche miteinander einfach nicht können haben. Da hat das Fest schon dazu beigetragen, dass das weg ist. Das haben alle angenommen, egal ob Österreicher oder von woanders, alle ham miteinander geredet.“

      Bis es Zeit für die nächste Party ist, werden erst einmal Gemüsekistln aufgestellt und von den Kindern in der Grenzackerstraße neu angemalt, damit sie wieder schön ausschauen – auch das schafft Gemeinsamkeit und Verantwortungsgefühl, wie Frau Vasicek erklärt: „Die Kinder sollen sehen, wie aus einem kleinen Pflanzerl eine Gurke oder Tomate wird.“ Denn: „Das, was sie selber angreifen, darauf schauen sie auch besser.“

      Eine Devise, die für Kinder wie für Erwachsene gleichermaßen gelten dürfte.

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       Auch Hausbesorger Wolfgang Mayer freut sich über die positive Entwicklung der Nachbarschaft in der Grenzackerstraße

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       WOHNPARTNER

       Das Herzstück von Wien

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       Willibald Heimlich weiß, wie verschieden das Leben in großen und kleinen Höfen sein kann

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       Nurten Aybar ist über eine Notfallwohnung in den Gemeindebau gekommen

      Normalerweise sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von wohnpartner diejenigen, die im Gemeindebau die Fragen stellen: den Mieterinnen und Mietern nämlich. Sie versuchen, deren Zufriedenheit mit ihrem Wohn- und Lebensraum zu ergründen und helfen ihnen dabei, Probleme zu lösen und Initiativen zu starten – sei es bei der Gründung einer Gartengruppe, der Einrichtung eines Gemeinschaftsraumes oder der Organisation eines Hoffestes.

      An diesem Nachmittag aber hat das wohnpartner-Team der Bezirke fünf und zwölf beschlossen, einmal die Seiten zu wechseln: Jene, die privat selbst in einem Gemeindebau wohnen, sollen darüber befragt werden, was für Erfahrungen sie dort gemacht haben und wie sich ihr Blick auf Arbeit und Wohnen geändert hat, seit sie dort eingezogen sind.

      Da ist zum Beispiel Nurten, die gleich zu Beginn erzählt, wie sie 2008 zu einer Gemeindewohnung kam: „Ich war vorher in zwei verschiedenen Privatwohnungen. Es war zuerst nicht leicht für mich, eine Gemeindewohnung zu bekommen, weil ich nicht alle Bedingungen erfüllt habe. Aber dann hab ich meine private Wohnung kurzfristig verloren und deshalb eine Notfallwohnung bekommen. Ich hab davor gehört, dass Notfallwohnungen nicht so schön sein sollen. Aber als ich meine Wohnung dann bekommen hab, hab ich festgestellt, dass sie in einer sehr schönen, grünen Wohnhausanlage liegt, die damals sogar gerade renoviert wurde.“

      Ähnliche Erfahrungen hat auch Zsuzsi gemacht, die über die JungwienerInnenaktion aus dem Studentenheim in den Gemeindebau kam: „Ich bin schon früher hingefahren, um es mir anzuschauen, das war 2014. Es war alles so schön grün und neu renoviert, dass ich die Vertragsunterzeichnung gar nicht erwarten konnte.“

      Willi berichtet von den Unterschieden, die das Leben im Gemeindebau je nach dessen Größe aufweist: „Bis zu meinem 22. Lebensjahr hab ich mit meinen Eltern am Rennbahnweg gewohnt. Heute wohn ich in Favoriten, in der Nähe vom Reumannplatz. Der Hof dort ist viel kleiner, mit weniger Stiegen und weniger Mietern. Der Rennbahnweg ist im Vergleich dazu fast eine kleine Stadt, dort ist es deshalb viel anonymer und die Leute kennen sich weniger als in den kleinen Bauten.“

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      Evelyn wiederum, die in der Hansson-Siedlung aufgewachsen ist, kann sich noch erinnern, dass ihr diese Herkunft in ihrer Jugend peinlich war: „Das galt irgendwie als verrucht. Aber jetzt im Rückblick seh ich das als eine sehr tolle Zeit an und kann die Erfahrungen auch bei der Arbeit einbringen.“

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       Über die JungwienerInnenaktion zog Zsuzsi vom Studentenheim in den Gemeindebau

      Apropos Erfahrungen: Was haben die wohnpartner-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter durch das Leben im Gemeindebau gelernt, und sind sie umgekehrt durch ihre Arbeit bessere Mieterinnen und Mieter geworden?

      „Na