Wiener Wohnwunder. Anatol Vitouch

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Название Wiener Wohnwunder
Автор произведения Anatol Vitouch
Жанр Изобразительное искусство, фотография
Серия
Издательство Изобразительное искусство, фотография
Год выпуска 0
isbn 9783710604997



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selber hab den Gemeindebau geheiratet – nein, meine Frau hab ich geheiratet im Jahr 1976 – und bin in die Wohnung meiner Frau hierhergezogen.“ Regina Lenikus wiederum lebt zwar schon seit ihrer Kindheit im Gemeindebau, zog aber erst im Jahr 2002 in der Bossigasse ein. Beide vereint, dass das Gemeinschaftsgefühl im Gemeindebau für sie an erster Stelle steht: „Ich bin im 8. Bezirk aufgewachsen, da gab’s nur vier Stiegen mit je sechs Stockwerken, alle kannten sich, man war überall zu Hause. Wir versuchen auch hier mit den Mietern viel zu machen, aber es sind doch 190 Wohneinheiten, da ist es nicht so leicht. Wir haben hier aber viele Grünanlagen und viele Neuzugänge mit Kindern, was das Ganze verjüngt“, erzählt Frau Lenikus. Herr Zaufal ergänzt, dass es mit den alteingesessenen Mieterinnen und Mietern gerade in puncto Gemeinschaft manchmal nicht so einfach sei: „Manche sehen das dann fast schon als ihr Eigentum, weil sie schon so lang da wohnen, und wollen, dass alles passiert, was sie sagen. Das kann dann natürlich zu Konflikten führen.“

      Um solche rechtzeitig zu erkennen und einer Lösung zuführen zu können, haben Zaufal und Lenikus eine weitere Gemeinschaft stiftende Initiative, nämlich ein regelmäßiges Kaffeekränzchen, ins Leben gerufen: „Die Kaffeekränzchen machen wir im Winter ein Mal monatlich, im Sommer alle 14 Tage. Natürlich kämpfen wir beim Gemeinschaftsgefühl mit den Windmühlen, meistens kommen dieselben Leute. Aber wir bemühen uns, die Neuzugänge zu motivieren, und das funktioniert eigentlich sehr gut“, erzählt Herr Zaufal. In der ungezwungenen Atmosphäre des gemeinsamen Kaffeetrinkens kommen die Themen oft leichter auf den Tisch als bei einer formellen Sprechstunde, das haben die beiden in ihrer ehrenamtlichen Funktion als Mieterbeiräte inzwischen schon oft erfahren. „Wenn’s Probleme gibt, dann kommen die Leute auch auf der Straße auf mich zu oder rufen mich einfach an“, berichtet Regina Lenikus.

      Die beiden sind offensichtlich Mieterbeiräte zum Anfassen – was nicht heißt, dass sie nicht auch die segensreiche Wirkung neuer Technologien für ihre Arbeit nutzen würden: „Wir haben auch eine Whatsapp-Gruppe für die Mieter eingerichtet, wo man sich an uns wenden kann“, sagt Herr Zaufal stolz. „Da kann ich auch denjenigen Neumietern, die noch nicht so gut Deutsch können, eine Nachricht auf Deutsch schicken und darunter gleich die Übersetzung vom Whatsapp-Translator in ihrer Muttersprache, das klappt sehr gut.“

      Wobei es nicht Frau Lenikus und Herr Zaufal wären, wenn sie nicht auch zur Verbesserung der Sprachkenntnisse von Neumietern bereits eine Initiative gestartet hätten: „Wir wollen jetzt etwas in der Art des Kaffeekränzchens schaffen, wo Leute zum Deutschlernen zusammenkommen können“, erzählt Herr Zaufal.

      Kurz nachdenken muss der Mietervertreter aus Leidenschaft nur, als er zum Abschluss nach seinem Lieblingsplatz gefragt wird, während seine Kollegin auf dieselbe Frage gleich – wie könnte es anders sein – den Hof während eines Kaffeekränzchens genannt hat.

      „Mein Lieblingsplatz ist in der Mitte einer Gemeinschaft“, sagt Herr Zaufal dann.

      Es ist ein Satz, der das Gespräch und die Arbeit der Mietervertretung in der Bossigasse wohl perfekt zusammenfasst.

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       Hans Zaufal und Regina Lenikus sind Mietervertreter aus Leidenschaft

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       „Ich selber hab den Gemeindebau geheiratet …“

       HANSSON-SIEDLUNG

       Der Segen der Kinder

      „Samma froh, dass ma die Ausländer do ham, sonst hätt ma ja kane Kinder do. Hätt ma nix z’tuan, den gonzen Tog. So vü Kaffee kemma gor net trinken.“

      Das sagt der einzige Mann in der Runde der Lernbegleiter in der „Bassena Am Schöpfwerk“, aber die anwesenden Damen, die sich auf gleiche Weise wie er engagieren, stimmen ihm zu. Acht bis zehn Lernbegleiter sind hier in der Bassena regelmäßig aktiv, so viel wie nirgendwo sonst in ähnlichen Programmen in Wien. Alle arbeiten ehrenamtlich, in Eins-zu-Eins-Betreuung wird mit den Schülerinnen und Schülern Hausübung gemacht, geübt und Nachhilfe gegeben.

      „Man freut sich, wenn das Kind vorankommt und versteht. In einer Stunde kann man gar nicht so viel unterbringen, auch nicht so viel Privates, weil die so viel Hausübung haben“, erzählt eine Dame. „Ich habe auch 34 Lesekinder, gehe jeden Mittwoch in die Schule. Manche holen fantastisch auf, die kann man richtig motivieren. Die haben so eine Freud, wenn’s ma erklären können: ‚Ich hab gestern die ganze Zeit gelesen‘, nur damit ich zufrieden bin“, lacht sie.

      Früher sei die Altersstruktur der Hansson-Siedlung ganz anders gewesen, hauptsächlich junge Familien seien damals, vor Jahrzehnten, hier eingezogen.

      Wie war damals das Leben in der Siedlung?

      „Mühsam“, sagt eine ältere Dame, und sagt es doch so, dass es fröhlich klingt, „es gab noch keine Straßenbahn und keine Geschäfte und nix. Mit den Kindern sind wir durch Eis und Schnee zum 67er marschiert. Es hat sich trotzdem gut angefühlt, einfach weil die Wohnung da war. Die Kinder ham ein eigenes Zimmer bekommen. Das ist schon schön. Zwei Meter Schnee sind gelegen, als wir eingezogen sind. Es war so kalt, dass ich gleich eine Mittelohrentzündung bekommen hab. Mein Sohn war damals ein Jahr alt. Wir haben angefragt, ob wir ein Zimmer mehr haben könnten, weil wir ein zweites Kind wollten. Das war aber nicht möglich, das schon im Vorhinein zu bekommen. 1966 war das. Es war schön und ist noch immer schön. Wir haben’s ja so herrlich grün da herunten.“

      Als Nächstes entspinnt sich unter den Lernbegleiterinnen und Lernbegleitern eine interessante Diskussion über Äpfel, Kirschen und die Segnungen der Moderne in der Hansson-Siedlung:

      „Der Ententeich, die Schrebergärten. Da haben wir Äpfel und Kirschen gekauft, das gibt’s heute ja gar nicht mehr.“

      „Äpfel und Kirschen gibt’s immer noch.“

      „Aber sie werden in den Schrebergärten nicht mehr verkauft, oder?“

      „Das ist was anderes. Aber geben tut es sie immer noch.“

      „Wir haben ja alles, Fernwärme, alles. Jetzt kommt dann noch die Fernkühle“, meint eine der Anwesenden schließlich und löst mit dieser Idee allgemeine Heiterkeit aus.

      Aber noch einmal zurück zur Lernbegleitung: Wer die Erinnerungen der sich hier ehrenamtlich engagierenden Mieterinnen und Mieter an ihre Anfangszeit in der Siedlung hört, der versteht, warum ihnen die Arbeit mit den Jugendlichen heute ein Anliegen ist:

      „Früher gab es mehr Nähe zueinander. Man hat mehr geklopft und gefragt: ‚Geht’s gut?‘ Da ist viel verloren gegangen.“

      „Jetzt wird das eine Pensionistensiedlung, jetzt gibt’s nur noch alte Leute.“

      „Is es eh schon.“

      „Und die türkischstämmigen Familien sind zwar ganz fantastische Nachbarn, aber sie wollen einfach nicht so viel Kontakt haben.“

      „Man grüßt sich, und das ist es.“

      „Trotzdem is es fantastisch, wenn die Jungen wiederkommen.“

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      Verbesserungsvorschläge für das Programm gibt es nur wenige, denn: „Die Leitung und das Team hier sind so großartig. Die sind also auch mitschuld daran, dass es hier so toll läuft.“

      „Ich find es absolut fantastisch, dass es das überhaupt gibt.“