Christian Ludwig Attersee. Rainer Metzger

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Название Christian Ludwig Attersee
Автор произведения Rainer Metzger
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783710604973



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Ludwigs künstlerischer Laufbahn. Es trägt im Werkverzeichnis die Nummer 1.

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      Hanni Rühm, Gerhard Rühm, Attersee, Wolfgang Rühm, Werner Krenn und Gunda Reichl in Attersees Atelier im 9. Wiener Bezirk. Mitte der 1960er Jahre

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      Hubert Aratym in Paris. Frühe 1960er Jahre

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      Renovierungsarbeiten im ersten Atelier Attersees im 9. Wiener Bezirk. 1964

       1963–1965

      Was also malen? Diese Sache hat mich bereits als Kind fasziniert, wie man eigentlich zu Kunstfindungen kommt. Spätestens nun, 1963, musste aus der Faszination Ernst geworden sein, der geschützte Bereich der Hochschule war verlassen, ebenso die bürgerliche Gemütlichkeit im Untermietzimmer bei der fürsorglichen Frau Wutschka in der Köstlergasse. Auch die Zeit als Segler scheint abgelaufen zu sein, die Weltmeisterschaft in Saint Petersburg, Florida, verlief für den erfolgsverwöhnten Sportler alles andere als zufriedenstellend: Gleich bei der ersten Wende der ersten Regatta war der Mast gebrochen, Christian konnte von Glück reden, dass nicht mehr passiert war. Überhaupt stimmte das Segeln nicht mehr mit dem Dasein als junger Künstler überein. Geldnot nach Beendigung des ersten Studiums war nur einer der Gründe. Und natürlich auch, weil mir diese Gesellschaft der Segler keine echte Befriedigung war als Lebensbegleiter. Ich hab’ schon einige tolle Freunde gehabt in dieser Zeit, aber das waren nicht Menschen, die mir weiterhelfen konnten in meiner Neugierde auf die Welt der Kunst. Und diese Welt der Kunst, das wusste ich, ist die einzige, in der ich überleben kann, wenn ich überleben will. Weil ich hier eben die Welt täglich neu erfinden kann und weil ich in einer Clique bin, an die ich heute noch glaube. (…) In dieser Zeit mussten sich auch Feinde treffen. Die „Feinde“ verschiedenster Haltungen und Kunstfindungen, denn sie haben ja kein anderes Publikum gehabt außer Künstler.

      Es mussten sich auch Feinde treffen, denn das einzige Publikum, das die Künstler hatten, das waren die Künstler – das war der Status quo. Bis in die sechziger Jahre hinein, so hat es der amerikanische Kulturhistoriker William M. Johnston in einer 2009 erschienenen Studie rekonstruiert, gab es die Suche nach dem „österreichischen Menschen“. Hugo von Hofmannsthal und Hermann Bahr, Anton Wildgans, Franz Werfel und Friedrich Torberg haben sich an dieser Suche nach der „Eigenart Österreichs“ beteiligt. Robert Musil hat ihr in seinem „Mann ohne Eigenschaften“ eine weltgeschichtliche Dimension verliehen und Ulrich geschaffen, seinen Helden, den „Möglichkeitsmenschen“, der „die Einrichtung seines Hauses dem Genie seiner Lieferanten“ überließ, damit er sich nur ja nicht selber entscheiden muss. Vielerlei ist zutage gefördert worden über diesen Typus, die einen lobten seine Herkunft vom theresianischen Beamten, die anderen sagten es wie Hermann Bahr: „Keiner, der einmal dem österreichischen Bureaukratismus verfallen ist, hat je die Kraft, innerlich der schlimmsten Abart des Cäsarenwahns zu widerstehen: unserem Beamtenwahn“ (zit. n. Johnston 2009, 55). Vielleicht trifft das Sowohl-als-auch, das schon Musil betonte – und das Dieter Ronte im Vorwort zum „Werksquer“-Katalog von 1982 ganz deutlich und mit beflissener Herausarbeitung von Parallelen mit Attersee in Verbindung bringen wird –, diesen Homo sapiens austriacus am besten. So konnte entsprechend ein heute vergessener Wiener Landesschulinspektor – allein dieses Amt spricht schon Bände – namens Oskar Benda im Jahre 1936 folgende sechs Begriffspaare zu Papier bringen: „1. Anpässlichkeit und Schwerfälligkeit, 2. unruhiger Aktivismus und ein Hang zum Quietismus, 3. einschmeichlerische Liebenswürdigkeit und galliges Nörglertum, 4. überschäumende Lebensfreude und abgründige Schwermut, 5. leicht entzündlicher Optimismus und rasche Resignationsbereitschaft und 6. Phantasieflug ins Heroische und kritischer Blick für alle Subtilitäten des Privaten und Persönlichen“ (ebd., 234).

      Um 1970 war es dann vorbei mit der Archäologie des Österreichischen, sagt Johnston, und es trat die Identitätsdebatte auf den Plan. „Der Hauptunterschied betrifft die Wechselwirkung zwischen Kultur und Politik“ (ebd., 333). Während früher eine Mentalität gesucht wurde, eine verallgemeinerbare Disposition, eine Psychologie des Österreichischen, erscheint es nun im Lichte des Ästhetischen. Während früher selbstverständlich war, dass Kultur und Politik, die Produktion des Wahren-Guten-Schönen und die Hervorbringungen des Alltags strikt getrennt existierten, gab es fortan einen „Konsens, dass die Zweite Republik nicht nur eine nuancierte Kulturpolitik treiben solle, sondern ein durch die Kultur nuanciertes politisches Leben führen müsse“ (ebd., 336). Nun schießen Ideen von Österreich als Kulturstaat aus dem Boden, und sein bevorzugter Repräsentant ist der Politiker, der in einem dezidierten Nahverhältnis zu einem Künstler steht oder, noch besser, gleich dieser Künstler selber ist, der mit seiner Verkanntheit auch die Allüren des Bürgerschrecks längst abgelegt hat. Die Allgemeinheit des Öffentlichen und die Besonderheit des Künstlerischen haben sich versöhnt. Ein solches Kuschelverhältnis, für das Österreich heute bekannt und auch ein wenig berüchtigt ist, war Anfang der Sechziger jedenfalls keineswegs gegeben, als in Wien ein neuer Stern sich Richtung Horizont mühte.

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      Attersee. 1964

      Vorerst ging es darum, einer eigenen Produktion räumliche Voraussetzungen zu schaffen. Überhaupt gestaltete sich das Leben nach der Hochschule schwierig, es tendierte eher zum Überleben. Ich kenne den Hunger zwischen 1960 und 1970, der wirklich durchgehend war mit wenigen Ausnahmen. Freilich war es auch im Krieg und in der Zeit danach manchmal knapp geworden mit den Nahrungsmitteln, doch die Mutter tauschte dann und wann ein Kleidungsstück gegen ein Stück Butter oder Ähnliches. Aber nun, als Erwachsener, wurde es existenziell, und das Jahrzehnt ist garniert mit Anekdoten aus dem Freundeskreis, in denen sich alles um das Essen, besser: um sein Nichtvorhandensein dreht. Eine Zeit lang lebte der Akademie-Absolvent in der geräumigen Wohnung der Familie Rühm im siebten Bezirk, allerdings mitnichten in einem Raum mit der Tochter des Hauses. Christian bekam seinen Schlafplatz im Zimmer von Wolfgang, dem mittleren Sohn, als Klarinettist ebenfalls bei den Wiener Philharmonikern tätig. Noch lange nicht hatte sich die Einstellung von Hannis Vater zu ihrem Freund gebessert – nicht, dass er den jungen Mann unsympathisch gefunden hätte, doch als Vater stellte er sich den Partner seiner einzigen Tochter schlicht anders vor. Diese hingegen, vor die Alternative Trennen oder Ausziehen gestellt, entschied sich für die Trennung – allerdings vom Vater. Rund zweieinhalb Jahre war offiziell der Kontakt zum Elternhaus abgebrochen, inoffiziell hatte die Mutter nicht nur ein offenes Ohr, sondern auch immer ein wenig zur Seite gelegt, sei es finanzieller oder kalorisch-kulinarischer Natur.

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      Hanni Rühm und Attersee. 1965

      Was also malen? Trotz seiner durch Reisen und Museumsbesuche erworbenen Kenntnisse war es nie Attersees Interesse, sich mit der Kunstgeschichte ins Benehmen zu setzen. Ich komme nicht aus der Kunstgeschichte, ich komme aus dem Leben. Während alle anderen die Kunstgeschichte auflösen wollten, was immer wieder passiert ist, wollte ich das Leben erneuern. Wasser und Wetter waren die dynamischen Komponenten, die bislang das Leben als Segler bestimmt hatten. Wieso also nicht noch einmal dort beginnen? Und dann die Wetter am Wasser. Über dem Atlantik (…) die Wetter sind ganz nah, auch in meinen Bildern sind ja die Wetter ganz nahe. Zwanzig Regenbogen zugleich, niedrig, die Wolken fünfzig Meter über dem Wasser. Diese Wetterwände, die ich ja auch habe, dieses Gebäudezickzack aus nassem Material, aus Dampf und Wolken (Gemalte Reise 1990, 218). So stand der Regenbogen Pate für die Motivwelt des Frühwerks. Das Licht der Sonne wird ins Farbspektrum zerlegt durch die Wassertropfen, die als Prisma fungieren. Bis heute kann Attersee nicht akzeptieren, dass es nur ein Wetter gibt, es gibt immer tausende Wetter, in Räume gefasst, Wetterzimmer, Wettertüren, Wetterlöcher (ebd., 219), dementsprechend gab es in diesen ersten „Wetterstücken“ und den etwas späteren „Regenbogenanomalien“ meist mehrere der bunten Naturerscheinungen,