Christian Ludwig Attersee. Rainer Metzger

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Название Christian Ludwig Attersee
Автор произведения Rainer Metzger
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783710604973



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Es gibt das „pretending“, bei dem man sich selbst vorspielt, der jeweilige Star zu sein; das „imitating“, bei dem versucht wird, die Identität mit ihm völlig zu teilen; das „copying“, das der physischen Erscheinung des Idols nachstrebt; sowie das „resembling“, das ein Merkmal forciert, das man mit ihm gemeinsam hat (Rainer 1997, 17). Im Sinne dieses „resembling“ ließ sich auf die Ähnlichkeit in der Stimme setzen. Und doch gibt es da etwas, das diesem Siebzehnjährigen eine eigene Faszination verleiht. Anders als die vielen Epigonen, die aus dem Boden schossen, hatte der junge Mann einen eigenen Stil, eine eigene Art zu musizieren – vor allem hatte er auch eigene Lieder. Ein Talent erschöpft sich niemals in der Nachahmung. Hinzu kam die ureigene Reaktion darauf, dass ihm seiner Hörprobleme wegen eine professionelle Stimmausbildung versagt war. Und schon akustisch bedingt war er unfähig, ein fremdes Idiom zu erlernen. Das Englisch, das er fortan singt, ist eine Kunstsprache, ein artifizielles Gebilde, ist eine Lingua franca, der widerfuhr, was stets passiert bei Attersee: Sie wurde atterseeisiert.

      Die frühen Auftritte, die sich neben dem „Rosenstüberl“ noch im Linzer „Phoenix Kino“, in Bad Ischl oder am Traunsee abspielten, dürften nach der Schilderung des damaligen Interpreten eher als bizarr zu bezeichnen sein. Und ich war sehr gut. Es wurden meist auch am Attersee sofort die Tische geworfen oder die Sessel. Ich bin unter dem Künstlernamen „Europa-meister“ aufgetreten, der sich gut gemacht hat. Als Begleiter hatte ich jemanden, der konnte nur ein Lied spielen, er war zwei Jahre älter als ich und er war bei den Amerikanern in den Bars. Den „Saint Louis Blues“ konnte er sehr gut spielen. Also hat er den Bass unten gespielt und ich habe oben etwas ganz anderes gespielt, das hat eine Musik ergeben, die die Leute wahnsinnig überrascht hat. Nur nach drei, vier Liedern ist das dann fad geworden, da wussten wir, länger spielen wir nicht. Mein Begleiter konnte dafür gut Atom-explosionen und Autounfälle imitieren und die hab’ ich ihn vorher immer ins Mikrofon machen lassen; akut, also mit der Stimme. Das hat den Leuten ganz gut gefallen. Dann habe ich mich hingesetzt und mit meiner unheimlichen Stimme und mit erfundenem Englisch Elvis-Presley-nahe oder meine eigenen Lieder gesungen. Es gibt ja sehr früh von mir geschriebene: „Susi, sei nicht fad, komm mit mir mit dem Motorrad, Susi komme bald, wir fahren in den Wald …“. Drei, vier Griffe beherrschte der Barde auf der Gitarre, er bezeichnet sich heute noch als Drei-Akkord-Sänger, wie auch am Klavier. Solos konnte ich keine spielen, das war auch nicht notwendig, die Leute haben schon Freude an meiner Stimme gehabt. Wie groß die Freude der sechshundert Kühe im burgenländischen Apetlon war, für die Christian am 21. Mai 1962 ganz allein und quasi als Auftritt gesungen hat, ist allerdings nicht überliefert.

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      Fanpostkarte. 1960

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      Attersee und Bernd Griesel beim Musizieren in einem Salzburger Wirtshaus. 1960

      Auch Hanni hätte in der Jugend gerne eine musikalische Laufbahn eingeschlagen; zumindest einmal, einige Jahre später, als der Christian schon Attersee hieß, sollten sie in einer Art One-Hit-Wonder ein legendäres Duett zum Besten geben – 1969 im Film „Gruß Attersee“, wo die beiden mit „Es war am Attersee“ das Heimatlied persiflieren. Hannis Wunsch, Balletttänzerin zu werden, fand beim Vater, der als Kontrabassist bei den Wiener Philharmonikern selbst Musiker war, ebenso wenig Anklang wie das Bestreben, eine klassische Gesangskarriere zu starten. Den Neuen seiner einzigen Tochter konnte Otto Rühm vorerst auch nicht leiden, die Tatsache, dass der schüchterne junge Mann ihm nicht in die Augen sehen konnte, erfüllte ihn mit Misstrauen – und der Umstand, dass Hanni in Begleitung eines angehenden „Künstlers“ daherkam, dessen Dasein als Hungerleider ohnedies gleichsam vorgezeichnet war, sowieso, hatte Rühm senior doch schon einen davon in Gestalt des Sohnes Gerhard. Hanni ließ sich nicht beirren, sie brachte ihren Freund weiterhin in ihr Elternhaus und nahm ihn mit ins Café Hawelka. Dort konnte man sich über den Schweigsamen mit großzügig zur Schau gestellter Brustbehaarung und schwerem Silberarmreif nur wundern. Hannis Bekanntschaft traf sich vornehmlich im legendären Etablissement in der Dorotheergasse, und es war hauptsächlich jene ihres großen Bruders. Gerhard Rühm hatte unter anderem bei Josef Matthias Hauer Klavier und Komposition studiert und bildete zusammen mit Friedrich Achleitner, H. C. Artmann, Konrad Bayer und Oswald Wiener jenen Kreis, der als „Wiener Gruppe“ Literaturgeschichte geschrieben hat; die Maler Hubert Aratym und Ernst Fuchs waren, erinnert sich Hanni, auch oft dabei. Ohne ein Wort von sich zu geben, konnte der sonderbare junge Mann über zwei Stunden einfach dasitzen – dass er in der Hawelka-Kakophonie nahezu nichts verstand und versuchte, möglichst viel von den Lippen abzulesen, konnte niemand von den Anwesenden ahnen. Irgendwann fasste sich der 19-Jährige dann doch ein Herz, zeigte dem großen Bruder seiner Partnerin eine Mappe mit seinen Werken, überzeugte ihn durch seine Begabung und gewann einen Freund fürs Leben.

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      Fanpostkarte. 1962

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      Attersee und Kollegen der Bäumer-Klasse beim Musizieren in Apetlon im Burgenland anlässlich einer Studienreise. Mai 1962

      Mehr als ein halbes Jahrhundert währt diese Freundschaft nun, ungebrochen und herzlich. Der Rühm und der Attersee haben sich nie aus den Augen verloren, sie haben gemeinsam Bücher gemacht, sind gemeinsam aufgetreten und haben miteinander eine Schallplatte aufgenommen; hinzu kommen die Abende, an denen die Kunst und das Leben eins werden an einem Esstisch. Irgendwann war der Christian nicht mehr das Anhängsel von der Hanni, er war aufgenommen in den Freundeszirkel, auch als man sich weniger im Hawelka als im kleinen, privaten Café in Oswald Wieners Wohnung in der Judengasse traf. Ideen wurden ausgetauscht und diskutiert: „Es war anregend für jeden, auch wurde genügend geblödelt“, erzählt Hanni Rühm heute. Gerhard Rühm, belesen und bibliophil, konnte dem zehn Jahre Jüngeren nicht nur mit Empfehlenswertem und Seltenem aus seinem opulenten Bücherschrank aushelfen. Bald, in Berlin, sollte er seine Schwester und deren Freund bei sich aufnehmen und die nötigen Kontakte für erste Ausstellungen herstellen.

      Aber noch wurde studiert. Noch war es das Ziel, über einen persönlichen Kontakt, den Eduard Bäumer für seinen Schüler mit Caspar Neher hergestellt hatte, wieder zum ursprünglich ins Auge gefassten Berufsfeld des Bühnenbildners zu gelangen. Neher war der lebenslange Mitstreiter und kongeniale Kollege seines Augsburger Schulfreundes Bertolt Brecht, er war international gefragt und durch eine Professur an der Akademie am Schillerplatz auch in Österreich verankert, dessen Staatsbürger er nach dem Zweiten Weltkrieg geworden war. Tatsächlich hatte er sich bereit erklärt, Christian Ludwig nach dessen Diplom als Mitarbeiter bei sich aufzunehmen. Einer der großen Bühnenbildner seiner Zeit mit Aufträgen an den Bühnen der Welt, das war natürlich ein tolles Angebot für einen, der 22, 23 ist. Doch sollte es anders kommen: Weniger als ein Jahr vor Abschluss des Studiums starb der 65-jährige Mentor, sein dadurch verhinderter Assistent stand da mit einem Diplom für Malerei, dem zwei Jahre später eines im angewandten Bereich für Vitrinenbau, Kirchenfenster und den Umgang mit Mosaiksteinen und Schmelzungen folgen sollte. Nun musste erst einmal ein neuer Plan für die Zukunft gefasst werden.

      Bühnenausstattung war eine fixe Idee gewesen und der Umgang mit Räumen eine Neigung, die Christian 1961 und 1962 mit der Gestaltung der großen Säle für die Gschnas-, die Faschingsfeste an der Angewandten vorgeführt hatte. Auch seine mit dem Preis der Akademie prämierte Diplomarbeit im Jahr 1963 ging in diese Richtung. Neben einem verschollenen Ensemble aus Materialbildern mit dem Titel „Parkscheiben-Triptychon“ und der „Serie Gemona“ bestand die Abschlusspräsentation aus einem „Diptychon zur variablen Wandgestaltung eines Innenraumes“, das Hanni gewidmet ist. „Eine große beachtenswerte Gesamtleistung“ liest man in den Unterlagen der Studien- und Prüfungsabteilung der Hochschule als Beurteilung Bäumers; und weiter: „künstlerische Freiheit mit Ordnungswillen, aus dem Zeitgeist geboren, verbürgen eine weitere schöne Entwicklung“ (zit. n. WV 1994, 7). Wie damals üblich wurden die Arbeiten im Anschluss an die Diplome von der Angewandten entsorgt. Das sogenannte „Hanni-Diptychon“ kann daher – sollte es nicht von jemandem in Sicherheit