Christian Ludwig Attersee. Rainer Metzger

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Название Christian Ludwig Attersee
Автор произведения Rainer Metzger
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783710604973



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ihres Sohnes in allen Facetten verfolgen, und zur Ausstellung anlässlich von dessen 60. Geburtstag erschien die betagte Dame mit sichtlichem Stolz. Der Vater – schwer herzkrank, er starb 1967 – sollte hingegen nur den zaghaften Beginn der Künstlerkarriere erleben. Zweieinhalb Jahre nach Christians Übertritt auf das Linzer Gymnasium zog 1953 dann die gesamte Familie in die Landeshauptstadt. Man wohnte wieder wie vor der Flucht: in einer schönen Gründerzeitvilla. Christian Ludwig senior, vorerst als kommunaler Architekt am Wiederaufbau der Stadt beteiligt, wollte es im Alter von 48 Jahren noch einmal wissen, verabschiedete sich von der sicheren Beamtenlaufbahn und machte sich selbständig.

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      Das Floß am Attersee mit den Booten „Brummer“ (X 39) und den beiden Piraten „Thetis 2“ (OE 108) und „Wasserfloh 2“ (OE 103). 1953

      Für den künstlerisch begabten Sohn organisierte er privaten Zeichenunterricht bei Alfons Ortner, Lehrer an der Kunstschule Linz und Gründungsrektor der Hochschule für künstlerische und industrielle Gestaltung, die heute Kunstuniversität Linz heißt. Eine Handvoll Streichholzschachteln wurden auf den Tisch geworfen, der Mittelschüler sollte sie originalgetreu und in penibler Perspektive zeichnen. Das Künstlertum war vorgebahnt. Nicht zuletzt weil die Lehrer am Gymnasium wenig Rücksicht darauf zeigten, dass ihr Schüler einseitig taub war, gab es wenig Interesse an den Fächern; motivierter zeigte er sich beim Verfassen kleinerer Theaterstücke, von Partituren für Kurzopern, und auch ein Kriminalroman floss dem Eleven aus der Feder. Englischsprachige Comics, von den US-amerikanischen Soldaten zurückgelassen, faszinierten den Jugendlichen, und der Rock ’n’ Roll, vor allem von Elvis, tat sein Übriges. So bitter für Christian das Regime des Schuljahres gewesen sein muss, im Sommer, am Attersee, war er in seinem Element. Aus der Musicbox des Strandcafés kam Einschlägiges, und neben „She’s Got It“ von Little Richard ist es „Heimweh“ von Freddy Quinn, die die Erinnerung prägen, wie schön die Zeit war. Wenn ihm schon eine Laufbahn als Opernsänger gleich dem Vorbild Mario Lanza versagt war, so blieb dem Teenager zumindest der Traum, als Rock ’n’ Roller zu reüssieren. Bis weit in seine Wiener Studienzeit hing er diesem Traum nach, und als Attersee Jahrzehnte später nach dem Tag gefragt wurde, den er ein zweites Mal erleben wollte, war die Antwort: Als bei meinem Konzert das Publikum tobte (Oberösterreichische Nachrichten, 10. August 1985).

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      Susanne Ludwig auf dem Floß am Attersee, rundum die Boote der Familie. 1953

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      Horst Ludwig am Steuer, Christian Ludwig an der Vorschot. 1951

      Ob sich Horst jemals von den Talenten des Bruders in den Schatten gestellt sah? Dieser Frage steht der Jurist und vierfache Familienvater damals wie heute entspannt gegenüber. Anfangs war es Christians Gesundheitszustand, der nicht nur eine erhöhte Aufmerksamkeit und Zuwendung der Eltern einforderte, sondern auch eine gewisse geschwisterliche Nachsicht gestattete. Später gingen die Neigungen und Talente des Jüngeren ohnedies in eine ganz andere, lebens- und ausbildungspraktische Richtung. Schließlich hatten die ungleichen Brüder ein gemeinsames Faible: die Freude am Segeln, die sie bis heute teilen, wie neuerdings auch wieder ein Boot. Richtig wasserfeste Kleidung hätte es nicht gegeben, erzählt Attersee von damals, eigentlich wären Horst und er immer im Nassen gesessen, und wenn sie dann vollkommen durchfroren heimgekommen sind, gab es von der Mutter zuallererst eine gehörige Portion heißen Tee mit Rum. Das konnte nicht verhindern, dass ihm eine gewisse Empfindlichkeit gegen Kälte geblieben ist.

      Blau ist Attersees koloristisches Markenzeichen. Selbstverständlich hat es mit dem Wasser zu tun, doch vielleicht nicht mit dem Fluss, der seiner Familie eine stete Perspektive gab. „Die Donau“, schreibt Claudio Magris in seiner Monografie des Stromes, „die Donau ist nicht blau, wie es die Verse von Karl Isidor Beck wollen, die Strauß zu seinem verführerischen und verlogenen Titel seines Walzers inspiriert haben. Die Donau ist blond, ‚a szöke Duna‘, wie die Ungarn sagen“ (Magris 1988, 204). Aber, fügt Magris an anderer Stelle hinzu, die Donau ist weiblich, das grammatikalische Geschlecht stimmt mit dem natürlichen überein, und wer hätte nicht ein Werk von Attersee vor Augen angesichts dieser Sätze: „Um diesen Mund, unter dieser Nase, in der leichten Andeutung einer Falte, in dem dunklen Glanz der Augen wandern die vergangenen und gegenwärtigen Jahre, hat die Zeit sich eingeprägt und eingezeichnet; die geschwungene Linie das Halses ist das Bett der Zeit, das Bett ihres Flusses. Der Mund, den dieser Fluß mit sich führt, ist der gestrige und heutige; vielleicht hat Heraklith unrecht, man badet doch immer in demselben Fluß, in der unendlichen Gegenwart seines Fließens“ (ebd., 171). Man badet in demselben Fluss; doch mit dem Boot befährt man andere Gewässer. Nochmal Magris, der Mitteleuropa-Programmatiker, der aus Triest stammt: „Jenes Blau, das die Kultur der Donau nicht kennt, ist das Meer, das gespannte Segel, die Reise nach Westindien“ (ebd., 158). Im Jahr 1979 hat Attersee dann eine solche Tour im Fahrwasser von Kolumbus angetreten, er hat den Atlantik überquert, 17 volle Segeltage bis zur Landung auf Barbados.

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      „Piratenregatta“. 1956. Aquarell auf Karton. 31 x 44 cm

      Noch ist der Aktionsradius überschaubar. Mit einem segeltauglich umgebauten Ruderboot namens „Wasserfloh I“ bestritten die Brüder Ludwig ihre ersten Regatten gemeinsam, mit „Wasserfloh II“ und seinem Vorschoter Karl Haitzinger (1938–1988) konnte Christian dann 1952 den ersten Sieg einfahren. Beim Segeln war ich nicht nur ein Genie des Wetters, sondern auch des Schachspieles auf dem Wasser, immer zwischen Risiko und Naturinstinkt, ich konnte den Wind früher sehen als die andern, hatte ein Gefühl für jeden Baum am Ufer und dachte, da könnte ein Windzug sein. Zu erkennen, wie dem Wind eine Optik zukommt, ist das Privileg eines Augenmenschen – um nicht zu sagen: eines Impressionisten. Offenbar war hier ein synästhetisches Talent vorhanden. Nach den Erfolgen in der Klasse „Pirat“ wechselte das Genie des Wetters bald zum schnellen, anspruchsvollen, als Königsdisziplin erachteten Flying Dutchman. Sein Vorschoter wurde Erich Moritz (1941–2005).

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      Attersees erster Flying Dutchman, „Susanne“ (OE 27), mit dem er seinen zweiten österreichischen Staatsmeister-Titel ersegelte. 1957

      Dieter Gottwald, Konkurrent in der FD-Klasse mit Heimathafen am Wörthersee, erinnert sich an Christian Ludwig als „beständig guten Segler; ein sehr ruhiger Mensch damals, sehr überlegt, er wusste genau, was er wollte und wie er es wollte. Er ist immer alles sehr genau angegangen und war damals eigentlich kaum zu schlagen.“ Auch im Ausland trat man gegeneinander an, in Triest beispielsweise. „1. Tag sehr stürmisch“, ist als Eintrag vom 11. September 1960 im Logbuch der Familie Gottwald zu lesen, „hinter Ludwig Chr. falscher Kurs, weit nach Jugoslawien gefahren. Durch hohe Wellen, schweres Segeln“. Im Vertrauen, der Ludwig würde schon das Richtige machen, waren ihm ausnahmslos alle Teilnehmer hinterhergesegelt, vorbei an Motorbooten mit schwer bewaffnetem Militär in fremdes Hoheitsgebiet hinein und wieder retour in die Triestiner Bucht, allen voran der Ludwig. Auch in den beiden folgenden Jahren konnte der Segler vom Attersee die Herbstregatta in der Adria für sich entscheiden, dafür gab es das „Blaue Band“ und den Triestiner Goldpokal auf Dauer.

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      „Starterhaus des Union-Yacht-Club Attersee“. 1959. Öl auf Karton. 45 x 60 cm (auf dem Floß gemalt)

      Dem wachsenden Erfolg beim Segeln gingen Reisen einher – und dem Reisen der Zugang zur Kunst. Einen Bildband über Vincent van Gogh und eine Wilhelm-Busch-Ausgabe hatte es im ludwigschen Haushalt nach der Flucht aus Bratislava gegeben. Das war natürlich Prägung; ein van-Gogh-Buch und ein Wilhelm-Busch-Buch, und genau diese Mischung bin ich als Künstler dann auch geworden. Nun, da die vierköpfige Familie samt Vorschotern und den Booten zu Wettkämpfen in ganz Europa unterwegs war, boten sich reichlich Gelegenheiten, Ausstellungen zu besuchen und das Gewusste mit Angeschautem zu verbinden.