Ausgänge des Konservatismus. Stefan Breuer

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Название Ausgänge des Konservatismus
Автор произведения Stefan Breuer
Жанр Историческая литература
Серия
Издательство Историческая литература
Год выпуска 0
isbn 9783534273195



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sein werde. Da jedoch auch eine hochmechanisierte Landwirtschaft noch der Arbeitskräfte bedürfe, wenn auch nicht mehr im gleichen Umfang; da ferner der Staat aus wehrwirtschaftlichen Gründen ein Interesse an einer hinreichend großen Landbevölkerung habe, sei es wünschenswert, »neben diesem Grossbetriebe grundbesitzende Landarbeiter« zu haben, »die doch in ihren Gärten nur für den Bedarf des eigenen Heerdes produciren.«34

      Eine solche »Sesshaftmachung der Arbeiter« habe »ohne Beraubung der Grundbesitzer« zu geschehen und in einer Weise zu erfolgen, die sicherstelle, daß nicht aus unzufriedenen Arbeitern noch unzufriedenere Grundbesitzer würden – ein Ziel, das sich am besten mit dem von einigen Liberalen (!) vorgeschlagenen Verfahren erreichen lasse, den Abschluß von Pachtverträgen zu erleichtern.35 Auf diese Weise würden den erfolgreich wirtschaftenden Arbeitern Aufstiegschancen in den Stand der Rentengutsbesitzer eröffnet und die Irrwege abgeschnitten, die sie sonst veranlassen könnten, Landarbeitergewerkschaften zu gründen oder gar für eine »Revolutionirung unserer ländlichen Verhältnisse« einzutreten.36 Auch werde eine Entwicklung in Richtung des Parzellensystems abgeschnitten, das sich in Frankreich als überaus verderblich, weil nur zur Überschuldung führend, erwiesen habe. »Wir paar deutschen Social-Conservativen wussten wohl, weshalb wir grundbesitzende Arbeiter schaffen wollten. Arbeiter, nicht kleine Ackerbauer, wie v. d. Goltz will, weil wir den Grossbetrieb als volkswirthschaftlich allein richtig anerkennen und erhalten wollen. Grundbesitzende Arbeiter, weil wir principielle Vertheidiger des Grundbesitzes schaffen wollen.«37

      Meyer beließ es indes nicht bei publizistischen Interventionen. Vielmehr warb er, in Abstimmung mit Wagener und Rodbertus (wenn auch mit beiden nicht immer d’accord)38, auf verschiedenen Foren um politische Unterstützung für seine Forderungen. So besuchte er im Februar 1872 den Kongreß deutscher Landwirte in Berlin und setzte sich gemeinsam mit Rodbertus und Schumacher für eine Enquête zur Lage der ländlichen Arbeiter ein, die insbesondere die Reallohnentwicklung über einen längeren Zeitraum ermitteln sollte.39 Es folgte der bereits erwähnte Auftritt auf der Konferenz ländlicher Arbeitgeber im Mai 1872, bei der er neben der Möglichkeit des Eigentumserwerbs auch für den gesetzlichen Normalarbeitstag und Maßnahmen der sozialen Sicherung warb.40 Ein Artikel von 1873 verlangte »Maßregeln, die den Landarbeitern steigenden Lohn mit steigender Productivität sichern« sollte.41 Ein gemeinsam mit Rodbertus und Adolph Wagner 1875 auf dem Kongreß der Landwirte eingebrachter Antrag auf Einrichtung einer staatlichen Untersuchungskommission über die wirtschaftliche Lage der arbeitenden Klassen auf dem Lande wurde zwar angenommen, blieb aber folgenlos.42 Ebenso leer liefen seine Bemühungen, den 1872 gegründeten Verein für Sozialpolitik für seine Ideen zu gewinnen.43 Es half auch nichts, daß Hermann Wagener sie sich zu eigen machte und bei Bismarck für eine »Vermehrung der kleinen ländlichen Besitzungen« eintrat, um dadurch »der Staatsgewalt gegenüber der fluctuirenden industriellen Arbeiterbevölkerung in einem sesshaften ländlichen Grundbesitze und Arbeiterstande einen materiellen Rückhalt zu schaffen und zugleich […] dieser Bevölkerung die Fundamental-Institutionen des Staates als auch für ihr Privatinteresse wirksam und wohlthätig erscheinen zu lassen«.44

      Die Chancen für eine Umsetzung dieser Programmatik verringerten sich vollends ab 1873, als Wagener in den Strudel des oben erwähnten Gründerskandals geriet und dadurch nicht nur sein Amt als Erster Vortragender Rat verlor, sondern wegen einer Verurteilung zu hohen Schadensersatzzahlungen auch die Berliner Revue nicht mehr halten konnte.45 Nach neuzehn Jahren mußte sie sich im Januar 1874 von ihren Lesern verabschieden.46 Während Wagener sich mit öffentlichen Stellungnahmen zurückhielt, versuchte Meyer, ihn durch Gegenangriffe zu entlasten, die insbesondere darauf zielten, einen Keil zwischen Bismarck und die Nationalliberalen zu treiben. In einer Serie von Social-politischen Flugblättern und verschiedenen Artikeln in der Deutschen Eisenbahn-Zeitung forderte er 1874 den Reichskanzler auf, den Liberalen nicht länger freie Hand zu lassen und sozialpolitisch aktiv zu werden.47 Das Kaisertum solle die »Emancipation des vierten Standes vom Joche des Capitalismus« zu seiner Sache machen, indem es den Normalarbeitstag durchsetze, Kinder- und Sonntagsarbeit verbiete und von Ausnahmegesetzen gegen die Sozialdemokratie absehe.48

      Noch im selben Jahr publizierte Meyer den ersten Band seines opus magnum über den Emanzipationskampf des vierten Standes, der gleichzeitig in einer stark gekürzten Volksausgabe erschien. Darin trat er für ein umfassendes Reformprogramm ein, das eine gleichmäßigere Verteilung des Reichtums durch Steuerreformen, Mindestlöhne und ein Maximum für Zinsen vorsah und dem Staat neue Felder zur sozial- und wirtschaftspolitischen Aktivität zuwies.49 Neben dem Wohnungsbau für seine Beamten solle der Staat auch »das Eisenbahnwesen, Versicherungs- und zum Theil das Bankwesen vorläufig« der Privatindustrie entziehen. Um der sozialen Polarisierung entgegenzuwirken und die »aufsteigende Klassenbewegung« zu fördern, seien darüber hinaus durch gesetzlichen Zwang Arbeitgeber und Arbeiter zu sich selbst verwaltenden »Gewerkvereinen« mit eigenen, aus gleichen Beiträgen zu finanzierenden »Gewerkskassen« zusammenzufassen, denen obligatorisch die Sorge in allen Fällen von Krankheit, Invalidität und Armut zu übertragen sei.50 Das waren Vorschläge, die zwar nicht mehr ganz neu waren, bei Liberalen wie »Altkonservativen« jedoch gleichermaßen Protest hervorriefen und selbst bei den Arbeitern wenig Anklang fanden. Als Bismarck knapp zehn Jahre später einiges davon in freilich stark abgewandelter Form in seine Sozialgesetzgebung aufnahm, stieß er damit ausgerechnet bei der Sozialdemokratie auf vehemente Ablehnung, teils, weil man die vorgesehenen sachlichen Leistungen für unzureichend hielt, teils weil man die dahinter stehende Gesinnung verdächtigte.51

      Im gleichen Maße, in dem Meyer einsehen mußte, daß seine Vorschläge in den Wind gesprochen waren, vergrößerte sich seine Distanz zu dem Milieu, dem er sich bis dahin zugehörig gefühlt hatte. Glaubte er noch im Frühjahr 1872, die ›altconservative Schule‹ in eine ›neuconservative‹ überführen zu können, die sich dadurch auszeichnen sollte, daß sie sich nicht mit der Befestigung des Großgrundbesitzes begnügte, sondern den Grundbesitz möglichst verallgemeinerte52, so war davon gut ein Jahr später nicht mehr die Rede. In einem dezidiert als »Grabschrift« ausgewiesenen Artikel konstatierte er den »Verfall der conservativen Partei«, der ihm nicht zuletzt durch das Versagen der konservativen Presse, allen voran die ›Kreuzzeitung‹, verursacht zu sein schien, aber auch durch die mangelnde Bereitschaft der Partei, auf die von Wagener und Rodbertus entwickelten Ideen einzugehen.53 Eine weitere Artikelfolge zum Thema »Was ist conservativ?« kam zu dem betrübenden Ergebnis, »daß ein großer Theil der Conservativen bei uns ein ebenso verhängnißvolles Bündniß mit der liberalen Bourgeoisie eingehen will, wie es sich in Frankreich vollzogen hat.«54

      Wie tief der Graben inzwischen war, der den Kreis um Wagener und Meyer von den sich konservativ nennenden Parteien trennte, zeigen die Worte, mit denen der Redakteur der Berliner Revue im Januar 1874 von seinen Lesern Abschied nahm.55 Keine dieser Parteien, so sein Fazit, habe die neuen Aufgaben begriffen, die sich ihr gestellt hätten – die nationale so wenig wie die kirchlich-religiöse, um von der sozialen zu schweigen, für die man nur die Antwort der Repression gefunden habe. Man habe sich deshalb von ihnen trennen müssen, um die »Gründung einer deutschen conservativen Reformpartei« in die Wege zu leiten, einer, wie es in anderem Zusammenhang hieß, »neuen Regierungspartei«, die daran gehen werde, die gegensätzlichen Interessen durch »Erweiterung des Kreises der Besitzenden« zu versöhnen.56

      Die Regierung freilich, auf deren Unterstützung man zunächst noch hoffte, hielt sich zurück. So begann Meyer, der sie bis dahin in allen Belangen verteidigt hatte, in der Frage der Schulaufsicht sogar gegen die Konservativen57, auch diesen potentiellen Alliierten mit Kritik zu überziehen. Der Kanzler habe sich, so der Vorwurf, in immer stärkere Abhängigkeit vom großen Bankkapital, insbesondere des »Disconto-Bleichröder-Ringes« begeben, dessen Ziel es sei, »die Bankiers und ihre Helfershelfer auf Kosten der Grundbesitzer zu bereichern und diese unter deren Herrschaft zu bringen, den Grundbesitz schliesslich zu Gunsten einer Finanzclique zu expropriiren, wie die Juden des Foncier dies beabsichtigten«58 – eine Anspielung auf die Wirtschaftspolitik Napoleons III. und das von ihr geschaffene System des Crédit Foncier bzw. Mobilier, über das Meyers Urteil eigentümlich zwiespältig ausfiel. In seinem