Ausgänge des Konservatismus. Stefan Breuer

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Название Ausgänge des Konservatismus
Автор произведения Stefan Breuer
Жанр Историческая литература
Серия
Издательство Историческая литература
Год выпуска 0
isbn 9783534273195



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die Unterbrechung seiner Studien war vor allem der Umstand verantwortlich, daß Meyer seit 1867 an der Berliner Revue mitarbeitete, des seit 1855 neben der ›Kreuzzeitung‹ wichtigsten konservativen Organs in Preußen.12 Die in ihn gesetzten Erwartungen enttäuschte er nicht. Er erwies sich nicht nur als ein ungemein produktiver Journalist – die von ihm redigierten letzten vier Jahrgänge der Revue, immerhin sechzehn voluminöse Quartalsbände, stammten zu einem erheblichen Teil von ihm selbst – , er nahm vor allem den Ende der 60er Jahre aufkommenden Ruf nach einer energischeren Interessenvertretung des Grundbesitzes auf, der sich durch die Steuerreform von 1861 benachteiligt sah, außerdem unter wachsender Verschuldung und Abwanderung der ländlichen Arbeitskräfte litt.13 Als sich Anfang 1870 die verschiedenen Anläufe zur Organisierung verdichteten und zur Verabschiedung des »Breslauer Programms« durch eine Versammlung von Land- und Forstwirten führten14, begrüßte Meyer dies, kritisierte aber zugleich die liberalen Einschläge, die sich dort fanden, insbesondere die Ablehnung staatlicher Bevormundung im Kredit- und Versicherungswesen, die sich zum Nachteil der ländlichen Bevölkerung auswirke.15 Alternativ dazu empfahl Meyer, das landwirtschaftliche Kreditwesen zu verbessern, die Einkommen aus Kapital stärker zu besteuern und den Staat auf verkehrspolitischem Gebiet zu aktivieren – Punkte, die wörtlich aus einer Vorlage von Rodbertus übernommen waren, mit dem Meyer seit 1870 im brieflichen und persönlichen Austausch stand.16 Das alles zielte auf die Bildung einer »Grundbesitzerpartei«, die den bereits bestehenden Vertretungen der »Capitalisten« und der »Proletarier« Paroli bieten sollte, und zwar expressis verbis »in den Parlamenten«.17 »Ein leistungsfähiger, selbstbewußter Grundbesitzerstand«, hieß es im Sommer 1871 in der Berliner Revue, »ist der feste Wall, welchen die nach Privilegien ringenden Bestrebungen der Capitalisten und der Ansturm der Proletarierbataillone nicht stürzen dürfen, soll nicht Reich und Staat zu Grunde gehen – wie in Frankreich im grauenhaften Würgerkrieg [sic] der rothen und der blauen Republikaner.«18

      In einer Epoche, die durch die Tendenz zur Demokratisierung des Wahlrechts und zur Herrschaft des Majoritätsprinzips gekennzeichnet war, mußte eine Grundbesitzerpartei allerdings in der Lage sein, die Zustimmung größerer Wählergruppen zu gewinnen, als sie allein der Besitz gewähren konnte. Die Chancen dafür erschienen Meyer auf dem Land gegeben zu sein, wo in Preußen 1870 noch zwei Drittel der Bevölkerung lebten. Um zu verhindern, daß diese den sozialistischen oder klerikalen Agitatoren in die Hände fielen, riet Meyer den Grundbesitzern, »sich ihrer und der ländlichen Arbeiter gemeinschaftlichen Interessen bewußt zu werden« und insbesondere Sorge zu tragen, »daß sich der Klassengegensatz zwischen Grundbesitzern und ländlichen Arbeitern, wo er schon besteht, verwischt, wo er nicht besteht, auch nicht zur Geltung gelangt«.19

      Auch hierfür griff Meyer auf Anregungen von Rodbertus zurück. So empfahl er den Grundbesitzern »die Einführung der Rodbertus’schen Rentenidee in die Gesetzgebung«20, wonach »eine Hypothek nur auf den bodenbedingten landwirtschaftlichen Ertrag aufgenommen werden können sollte, jedoch nicht auf den Boden als nach Kapitalmarktvorgaben und veränderlichem Zins bewertetes Gut«.21 Einige Monate später folgte, nach eingehenden Beratungen mit Rodbertus und Hermann Wagener, eine weitere Intervention zu der Frage, wie sich auf dem Land eine »Solidarität der Interessen zwischen Grundbesitzer und Arbeiter« herstellen lasse, welche »beide zu gemeinschaftlicher Arbeit in Bezug auf Betheiligung am staatlichen Leben« ermuntern würde.22 Hatte Rodbertus das »Haupthinderniss des landwirthschaftlichen Fortschritts« in der massenhaften Abwanderung der ländlichen Arbeiterklassen gesehen und diese wiederum auf deren »Eigenthumslosigkeit« zurückgeführt, der allein durch die Schaffung »freieigenthümlicher Hofstellen« zu begegnen sei23, so griff Meyer diesen Vorschlag auf und präzisierte ihn mit Blick auf die sogenannten »herrschaftlichen Tagelöhner«. Diese sollten durch die Einrichtung kleiner Büdnerstellen zu »Grundbesitzern zweiter Klasse« werden, die als Gegenleistung für das ihnen überlassene Land zu bestimmten, zeitlich begrenzten Dienstleistungen für den Grundbesitzer verpflichtet sein sollten. Damit sei den Interessen beider Klassen gedient. Die Grundherren würden Land, das sie ohnehin nicht bestellen könnten, gegen die dringend benötigten Arbeitskräfte eintauschen, die Arbeiter umgekehrt ihre Arbeitskraft gegen die Möglichkeit des sozialen und wirtschaftlichen Aufstiegs. Der Arbeiter, so Meyer, höre »zwar nicht auf, Arbeiter zu sein, – ja nicht einmal ganz, für Lohn zu arbeiten, – aber er ist doch auch in die Reihe der Eigenthümer, Grundbesitzer getreten, und mit jedem Jahre wird er weniger (Lohn-)Arbeiter und mehr Grundbesitzer.« Hiermit sei nicht nur »die glücklichste Vermittelung zwischen diesen beiden Ständen geschaffen«, sondern mehr: ein Ausgleich zwischen Herren und Arbeitern in Richtung eines einzigen »Grundbesitzerstandes«, dessen politisches Gewicht erheblich sein werde.24

      Das liest sich auf den ersten Blick so, wie es Adalbert Hahn in seiner bis heute unentbehrlichen Studie über die Berliner Revue aufgefaßt hat: als Absage an den Großgrundbesitz und als Votum für eine Förderung des Mittel- und Kleinbesitzes, bis das ganze Land von einem dichten Netz kleiner Eigentumsstellen überzogen sei.25 Diese Deutung ist jedoch von einem Bias geprägt, der sich dem Bemühen verdanken mag, es bestimmten Strömungen in der NSDAP recht zu machen, die entweder direkt feindlich gegen den Großgrundbesitz eingestellt waren oder doch wenigstens auf eine Nivellierung der ständischen Differenzen drängten.26 Meyer indessen hatte zu diesem Zeitpunkt noch keineswegs die Absicht, das agrarische Milieu in eine nivellierte Mittelstandsgesellschaft zu verwandeln. Zwar brachte er zusammen mit Schumacher-Zarchlin auf der Konferenz ländlicher Arbeitgeber im Mai 1872 einen Antrag durch, mit dem die Regierungen von Preußen und den beiden mecklenburgischen Großherzogtümern aufgefordert wurden, »die geeigneten Schritte [zu] thun, welche den ländlichen Arbeitern die Erwerbung eines kleinen Grundeigenthums ermöglichen und thunlichst erleichtern« sollten, und wiederholte diese Forderung auch in der Folgezeit mehrmals27, 1874 sogar bis zur Zuspitzung eines »Bauern-socialistischen Reform-Conservatismus«, der auf eine »Umwandlung der besitzlosen ländlichen Arbeiter in kleine Grundbesitzer« nach dem Beispiel Frankreichs ziele.28

      Diese Aussagen dürfen jedoch nicht zum Nominalwert genommen werden. Schon ein Jahr nach der erwähnten Konferenz forderte er die ländlichen Arbeitgeber zu einer Adresse an die Regierung auf, sich nicht mit der ländlichen oder städtischen Arbeiterfrage allein zu befassen, sondern an die »ganze wirthschaftliche Gesetzgebung die bessernde Hand an[zu]legen«.29 Wie er sich dies vorstellte, führte er in einer kurz danach erschienenen Broschüre aus. Gewiß sei es kurz- und mittelfristig eine sinnvolle Strategie, nach Abhilfen für den Arbeitskräftemangel auf dem Land zu suchen; und gewiß auch gehörten dazu Mittel wie »eine neue staatliche Fixirung des Lohnes für das Normalwerk«, strenge Wuchergesetze und Schutzmaßregeln für die Arbeit sowie vor allem: die Eröffnung der Möglichkeit, »ein kleines Eigentum für Arbeiterfamilien« zu schaffen.30 Das alles aber seien Notbehelfe, die die schon jetzt zu registrierende Entwicklungstendenz in der Landwirtschaft nicht aufzuheben vermöchten. Diese sei bestimmt durch die rasch fortschreitende Mechanisierung in Gestalt von Mäh-, Dresch- und Säemaschinen und bald auch des Dampfpfluges, deren Einsatz nur auf großen Gütern sinnvoll sei, dort aber auch zu einer Steigerung der Produktivität führe, mit der kleine und mittlere Betriebe nicht mithalten könnten. Die »Tage des kleinen Betriebes der Landwirthschaft«, so Meyer, achtzehn Jahre vor dem Erfurter Programm der SPD, seien gezählt; »der kleine Grundbesitz wird verschwinden, wie das Handwerk es thut. Ein Fehler also wäre es, ihn künstlich schaffen zu wollen.«31 Dem Ansinnen mancher seiner Freunde im konservativen Lager, »im Osten wieder einen Mittelstand, einen Bauernstand [zu] schaffen«, widersprach Meyer deshalb entschieden. »Dies ist meiner Ansicht nach unmöglich. Der Großbetrieb ist auch in der Landwirthschaft das einzig Mögliche für die Zukunft.«32

      Diese Ansicht vertrat Meyer auch noch neun Jahre später, in der zweiten Auflage des Emanzipationskampfes. In expliziter Abgrenzung von der ›Kreuzzeitung‹ und der von ihr favorisierten »Zunftreaction« und unter ebenso expliziter Berufung auf Lassalle, demzufolge die große Industrie durch nichts anderes besiegt werden könne »als durch die – noch grössere, durch die grösseste Industrie«, wies Meyer alle Bestrebungen zurück, sich dem Gang der Entwicklung entgegenzustellen.33 Wie im städtischindustriellen Gewerbe werde auch in der Landwirtschaft »der Grossbetrieb