Название | Mord bei den Festspielen |
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Автор произведения | Sibylle Luise Binder |
Жанр | Триллеры |
Серия | |
Издательство | Триллеры |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783839262887 |
Bei der Zusammenarbeit mit Miercoledi habe er natürlich ganz schnell auch Giulia Miercoledi kennengelernt. Sie sei immer sehr nett zu ihm gewesen. Bei der ersten großen Produktion mit Miercoledi – wobei so etwas mit allen Proben schon einmal zehn oder elf Wochen dauern kann – sei er sich schließlich vorgekommen, als ob die Familie Miercoledi ihn als jüngeren Bruder adoptiert hätte.
Dabei habe er aber schon gemischte Gefühle gehabt. »Sicher, sie waren ganz reizend, aber – wie soll ich das erklären?« Lucas suchte nach Worten, orderte noch einen Kaffee und erzählte weiter: »Beide können nicht allein sein – noch nicht einmal miteinander. Deswegen waren sie schon damals immer mit einer Entourage – Assistent, Manager, Sekretärin, Nanny für die Kinder, irgendwelche Leute aus der weitläufigen Verwandtschaft – auf Tour. Du kommst dir bei ihnen immer vor wie an Gianni Schicchis5 Sterbebett! Das Verrückte war aber, dass ihnen die Entourage hätte reichen sollen, aber nein – ich wurde auch noch ständig mitgeschleppt. Wenn wir nicht geprobt haben, wollte Mario mit mir Tennis spielen oder Giulia wollte einen Begleiter für den Stadtbummel. Sagte ich dann, dass ich nicht Tennis spiele und Shopping Trips nicht sonderlich mag, wurde ich überredet. Und ich wollte nicht ständig der Spielverderber sein, mir tat Giulia leid, wenn sie darüber klagte, dass sie sich alleine fühlt, weil die Leute um sie rum ja alles seine Leute seien. Gleichzeitig ging es mir so auf den Wecker, dass man dann auch jeden Abend miteinander essen gehen sollte. Du kennst mich …« Er lächelte ein wenig verlegen.
Ich hatte nach seiner Hand gefasst und schaute auf das Pflaster an seinem Mittelfinger. Er hatte einen Stift mit dem Messer gespitzt und sich dabei geschnitten. Das passierte ihm öfter. Für mich war es ein gewohnter Anblick, ihn irgendwo mit seinem Skizzenbuch, den Stiften und dem kleinen Messer sitzen zu sehen. Und wenn er nicht zeichnete, verzog er sich hinter ein Buch oder verbrachte seine Nächte damit, durch sein großes Teleskop Sterne zu beobachten. Auf jeden Fall aber bevorzugte er stille Beschäftigungen und brauchte immer wieder Zeit für sich.
Darum habe er auch immer wieder darauf geachtet, nach Produktionen mit Miercoledi wieder etwas ohne ihn zu machen. Aber die nächste Tour mit Miercoledi kam bestimmt – und Lucas fiel eine aus den frühen Jahren ein: »La Boheme« in Wien. »Mario war dabei alleine«, erzählte Lucas – und klang, als ob das schon alles erklärte. Immerhin aber erfuhr ich auch noch, dass Giulia wegen ihrer komplizierten Schwangerschaft – sie bekam da ihre zweite Tochter Mafalda – zu Hause in Spoleto geblieben war.
»Ohne Giulia und ihre Sippe als Aufpasser hat er dann richtig aufgedreht. Er erklärte mir sogar mal, er finde es gerechtfertigt, dass er sich ›schadlos halte‹, wenn Giulia ›ausfalle‹.« Lucas seufzte. »Ich wollte trotzdem nichts sagen. Ich bin nicht die moralische Instanz für meine Kollegen. Aber dann kam er eines Abends und sagte mir, dass er seine Affäre, eine Choristin, gebeten habe, eine nette Freundin zum abendlichen Treffen mitzubringen – damit ich nicht immer allein im Hotel herumsitzen müsse. Es wäre Zeit, dass wir uns endlich mal einen ›netten Abend zu viert‹ machen.«
»Ach, du liebes Lieschen!« Ich musste bei der Vorstellung, wie Lucas geschaut hatte, fast lachen. Weitgereist und kosmopolitisch wie mein Liebster ist – zu unseren Gemeinsamkeiten gehört das, was meine Mutter als »Pfarrhausg’rüchle«6 zu bezeichnen pflegte. Ich bin die Tochter eines Pfarrers, Lucas der Enkel eines solchen. Und da seine Eltern als Wissenschaftler viel auf Reisen waren, hat er viel Zeit bei seinen Großeltern im Dekanat verbracht. Er hat dabei eindeutig was abgekriegt, ebenso wie ich. Und ich schätzte ihn ja auch dafür, dass er Prinzipien hatte und man sich auf ihn verlassen konnte.
»Ich habe ihm dann erklärt, dass ich mich nicht wertend in sein Leben einmischen werde, dass er mich aber bitte auch mein Leben leben lassen solle – und zu dem gehöre nun einmal, dass ich meiner Frau auch dann treu bin, wenn sie nicht in der Nähe ist.« Lucas trank einen Schluck Wein. »Er kommentierte das achselzuckend mit ›Was Giulia nicht weiß, macht Giulia nicht heiß‹.«
Die Auswirkungen dieses Satzes bekam Lucas dann in Folge öfter zu spüren. »Giulia kam zur Premiere nach Wien. Mario ließ die Suite mit Blumen schmücken und den roten Teppich ausrollen, dann sagte er – ganz nonchalant – zu mir: ›Falls Giulia dich fragt: Du warst gestern mit mir essen.‹ Für ihn schien es vollkommen normal zu sein, eine Lüge von mir zu erbitten. Ich aber saß zwischen den Stühlen. Hätte ich Giulia, die fast ihr Kind verloren hatte, die Wahrheit sagen sollen? Auf die Gefahr hin, dass durch den Schock wieder etwas passiert?«
Er habe schließlich entschieden, dass er sich nicht in die Eheangelegenheiten seines Kollegen einzumischen habe, und habe darauf gehofft, dass die Rede nicht auf den ominösen Abend kommen würde. Doch im Lauf der Jahre habe ihn Mario immer wieder in solche Situationen gebracht und seine Anforderungen seien immer impertinenter geworden.
»Kurz vor meiner Heirat mit Cornelia hat er mir mal ein ganz dickes Ei gelegt«, erzählte Lucas.
Er sei mit Miercoledi in Paris gewesen, wo der Giulias Abwesenheit ausgenutzt und sich wieder einmal eine Affäre geleistet habe. Die Dame hatte aber tagsüber keine Zeit, also ging Miercoledi eines Nachmittags alleine bummeln. Als er ins Hotel zurückkam, war Giulia – Überraschung, Liebling! – angekommen. Sie stürzte sich auf seine Einkäufe – und da war die Tüte eines Wäschegeschäfts mit einigen durchaus scharfen Teilen. Das Dumme war nur: falsche Größe! Giulia, nach der zweiten Geburt doch ein wenig aus der Form gegangen, hätte ihren Vorbau nicht in diese BHs zwängen können.
»Miercoledi muss man aber eines lassen: Unter Druck reagiert er schnell. Bevor Giulia die große Keule auspacken konnte, hatte er die gesammelten Dessous zusammengerafft, in die Tüte gestopft und wieselte aus der Tür und über den Flur in mein schräg gegenüberliegendes Zimmer: ›Amice, du hast dein Geschenk für deine Freundin vergessen‹!«
Ich hatte gelacht, als Lucas – mein prüder Lucas – mit knallroten Ohren davon erzählte. Er war sehr empört gewesen, denn: »Und dann hatte Miercoledi auch noch die Stirn, mich vor Giulia durch den Kakao zu ziehen!«
»Und du konntest nur hoffen, dass deine Cornelia das nicht mitkriegt?«
»Ich habe es ihr noch am selben Abend erzählt. Giulia kann ja bekanntlich die Klappe nicht halten und ich wollte nicht, dass sie Cornelia mit der Geschichte kommt.«
Er habe den Kollegen nach diesem Stunt ordentlich zusammengestaucht, worauf der sich tatsächlich eine Weile zurückgehalten hat – jedenfalls was Lucas’ Beteiligung bei seinen Affären anging.
Doch nach ein paar Monaten sei’s im alten Trott weitergegangen. Giulia hatte ihren Mann in einer Hotelbar beim Flirten mit einer Blondine erwischt, der hatte behauptet, die Blondine gehöre in Lucas’ Bett und er habe ihr nur Gesellschaft geleistet, während Lucas bei einem Termin gewesen sei.
Wir hatten inzwischen unser Essen bezahlt und gingen am See entlang. Lucas blieb stehen und wuschelte nachdenklich durch sein Haar. »Ich habe mitgespielt und ich habe mich dabei jedes Mal über mich selbst geärgert. Aber ich war zu feige und zu phlegmatisch, nein zu sagen. Ich wollte keinen Krach, ich wollte nicht in seine Eheprobleme reingezogen werden, aber gleichzeitig widerten mich seine Affären an. Ich saß ständig zwischen den Stühlen und ich bin nicht stolz darauf, dass ich mich da jahrelang gedrückt habe. Ich hätte Flagge zeigen müssen, aber ich war ein richtig mieser Opportunist.«
Ich legte den Arm um seine Taille und streichelte mit der freien Hand über seine Wange. »Du bist kein Opportunist. Du wolltest Giulia nicht noch zusätzlich wehtun, du wolltest