Mord bei den Festspielen. Sibylle Luise Binder

Читать онлайн.
Название Mord bei den Festspielen
Автор произведения Sibylle Luise Binder
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839262887



Скачать книгу

sah hinaus auf den See, der im Mondlicht silbrig leuchtete, und dachte über den Abend nach. Wir hatten die Probe relativ früh beendet – Überstunden kosten in der Oper Geld, daher versucht man, sie zu vermeiden – und während ich noch mit dem Beleuchter diskutiert hatte, waren Lucas und Mischa, Dirigent der Produktion und einer meiner ältesten Freunde, schon einmal zu unserem Lieblingsitaliener auf dem Marktplatz gegangen.

      Die beiden hatten mal wieder ein echtes »Männergespräch« geführt, sprich: Sie hatten in ihre Biergläser gestiert, ab und zu einen Schluck getrunken und dabei gegrunzt. Die Kommunikation genügte ihnen, jedenfalls hatten mir die zwei schon unabhängig voneinander versichert, der jeweils andere sei ein »toller Gesprächspartner«, der »nie nerve«.

      Ich setzte mich dazu, bestellte einen Latte macchiato mit Karamellsirup, streckte die Beine und ließ, den Kopf an die Schulter meines Mannes gelehnt, die Seele ein wenig baumeln.

      Doch lange konnte ich die Ruhe nicht genießen. Es vergingen keine zehn Minuten, dann tönten nämlich die Sopranposaunen von Spoleto über den Platz. Die Männer schreckten zusammen, ich bekam Gänsehaut und suchte nach einem Mauseloch zum Verschwinden, doch es nützte uns nicht. Giulia Miercoledi, ihre Töchter Marietta und Mafalda hatten Bregenz’ Einzelhandel zu einem ordentlichen Konjunkturschub verholfen, beklagten sich nun aber auf Italienisch darüber, dass sie in dieser Provinz nirgends die neue Gucci-Pucci-Mucci-Kollektion gesehen hatten! Dabei war – so jedenfalls befand Mutter Miercoledi – der Besitz einer dieser »zuckersüßen Clutches« doch existentiell!

      An der Stelle schaute ich beschämt auf die schon reichlich angegammelte blaue Tasche aus recycelter LKW-Plane, in der ich Notebook, Partitur, Produktionsordner und – laut Lucas – ein dreiviertel Pfund Büromaterial mit mir herumschleppte. Ich war mir mal wieder sehr bewusst, dass ich in meiner bequemen Cargohose unter einem Big-Shirt mit einem von Lucas geklauten Flanellhemd nie als »Society-Schönheit Victoria Benning« beschrieben werden würde. Dafür aber hatte ich kein Problem damit, in der Malerwerkstatt auf einem Farbeimer zu sitzen, und in meinen vielen Hosentaschen fand alles Platz – vom Markierband über das Metermaß, das Notizbuch, den Schraubenzieher bis hin zum Probenplan. Und gegenüber Madame Miercoledi hatte ich noch einen Vorteil: Ich weiß für gewöhnlich, wo mein Bariton sein müdes Haupt zur Ruhe bettet, und kann mich darauf verlassen, dass er nur auf der Bühne den Don Giovanni gibt.

      Die Miercoledi-Damen waren bei uns angekommen, meine wohlerzogenen Herren waren aufgestanden und hatten ihre Handibussis bei Madame abgeliefert, während ich ein wenig Blabla mit den Töchtern veranstaltet hatte. Die beiden taten mir leid. Sie waren mit einem silbernen Löffel im Mund geboren worden, sie hatten alles gehabt – außer der Liebe und Zuwendung ihrer Eltern. Ihr Vater war hauptsächlich mit seiner Geilheit und der Gier nach Ruhm und Reichtum beschäftigt gewesen, während ihre Mutter ihm atemlos hinterhergehechelt war, immer in der Sorge, dass er sie für eine seiner Geliebten verlassen würde.

      Die beiden Töchter waren für das Paar PR-Requisiten gewesen – Bilder von ›MM‹ als liebevollem Vater hatten sich immer bestens verkauft und immer noch ließ er keine Gelegenheit aus, sich mit der durchaus attraktiven Nachkommenschaft fotografieren zu lassen. Doch Marietta und Mafalda war anzumerken, dass ihnen nach Eigenständigkeit gewesen wäre.

      Beide hatten diesbezüglich Versuche unternommen. Marietta hatte ein paar Semester Musikwissenschaft studiert und eine Stelle als Volontärin bei einer großen italienischen Zeitung gefunden. Doch ihr Vater hatte befunden, dass man sie nur um ihres Namens und ihrer Beziehungen willen eingestellt habe. Sie hatte kündigen müssen und wurde seitdem von Herrn Papa geneigten Regisseuren als Assistentin angedient – allerdings immer nur für die Produktion, bei der er dabei war und auf Töchterchen aufpassen konnte. Bei Lucas hatte das allerdings nicht geklappt. Der hatte eine diesbezügliche Anfrage von Miercoledi mit einem »Danke, aber nein danke« beantwortet.

      Mafaldas Geschichte war noch trauriger als die ihrer Schwester: Sie war von ihrer Mutter ausersehen worden, den Traum zu leben, an dem Giulia gescheitert war. Diese war Tänzerin – dritte Reihe, zweiter Schwan von links – gewesen, als sie ihren Tenor-Helden getroffen hatte. Ein paar Wochen später war sie schwanger gewesen und nun erzählte sie, dass diese Schwangerschaft ihre »Karriere« beendet habe. Ich hatte diese Story auch einmal zu hören bekommen, und als wohlerzogener Mensch hatte ich es mir verkniffen, laut darüber nachzudenken, dass sie mit ihren damals 28 Jahren keine Chance mehr gehabt hätte, sich aus dem Corps de Ballet nach vorne an die Rampe zu tanzen.

      Dafür sollte es später die Tochter schaffen und so hatte sie ihre Kindheit und Jugend im Ballettstudio verbracht. Tatsächlich war sie talentiert und nach ihrer Abschlussprüfung in der berühmten John Cranko Schule in Stuttgart hatte sie ein Engagement beim Stuttgarter Ballett bekommen. Ein Jahr später – sie war da gerade 18 Jahre alt gewesen – hatte sie sich im Urlaub mit den Eltern bei einem von ihrem Vater verursachten Bootsunfall das Knie verletzt. Ihre Karriere als Ballerina war zu Ende gewesen, seitdem reiste sie mit dem Vater, wirkte aber ziellos und gelangweilt.

      Wie »idyllisch« das Familienleben bei Superstars verlief, bekamen wir öfter vorgeführt. So waren wir vor ein paar Tagen aus einer Pizzeria geflüchtet, weil die Familie Miercoledi nebenan über Geld diskutiert hatte. Obgleich mein Italienisch nicht gut ist, reichte es, um mitzubekommen, dass der Maestro die Ausgaben seiner Damen im Vergleich zu den von ihnen erbrachten Leistungen zu hoch fand. Dagegen wehrten sich Mutter und Töchter ebenso wortreich wie lautstark.

      Lucas, sehr appetitlich in beiger Baumwollhose und honigfarbenem Poloshirt – es unterstützte die Farbe seiner Augen –, trank den letzten Schluck Wein, drückte dem herbeieilenden Kellner einen Schein in die Hand und nahm meinen Arm. »Nix wie weg hier! Ich möchte nicht Ohrenzeuge werden, wenn die Miercoledis anfangen, sich gegenseitig zu meucheln!«

      »Glaubst du, seine Familie steht auch auf der Liste derer, die ihn gerne im See ersäufen würden?«

      »Hoffentlich tut das niemand! Der See ist Trinkwasserreservoir für halb Süddeutschland inklusive Stuttgart!«, stellte Lucas fest und legte den Arm um mich. »Aber könntest du es den Miercoledi-Damen verdenken? Du würdest ihn wahrscheinlich schon nach einer Woche erschlagen! Giulia hält ihn schon 28 Jahre lang aus.«

      »Kannst du mir verraten, warum? Ich weiß, in Italien sind Scheidungen immer noch sehr langwierig und teuer …«

      »Teuer ist das Stichwort, mein Herz!«, gab Lucas zurück. »Vor einigen Jahren war Mario mal ernsthaft verliebt und hat über Scheidung nachgedacht. Aber dann hat ihm sein Anwalt vorgerechnet, was der Spaß kosten würde. Darauf hat er beschlossen, dass er doch nicht ohne Giulia leben kann.«

      Ich gestehe, dass ich ab und zu ein bisschen Szenentratsch durchaus schätze. Lucas behauptet sogar, mein Busenfreund Mischa und ich seien wie neapolitanische Marktweiber, wenn wir wieder mal das »Wer-mit-wem« der Branche verhackstücken. Aber dadurch bin ich immer gut informiert und mir fiel etwas zu Lucas’ Geschichte ein. »War das nicht diese brünette Mezzosopranistin, die bei Operata rumgeturnt ist? Elizabeth Cranmer oder so?«

      Lucas steuerte die Beifahrerseite seines Jaguars an – zu seinen vielen guten Eigenschaften gehört, dass er sich nicht einbildet, aufgrund des Besitzes eines Y-Chromosoms ein besserer Autofahrer als jede Frau zu sein. Deswegen lässt er meist mich fahren. Gleichzeitig aber korrigierte er mich: »Falsch, Frau Professor!« Er grinste. »Elizabeth Cranmer ist der zickige Alt, der mich in München als Penelope fast in den Wahnsinn getrieben hat. Ihr hat MM den zweiten Sohn zu verdanken.« Er schnallte sich an.

      Ich war auf der Fahrerseite eingestiegen und ließ jetzt den Motor an. »Ja, war das nicht der potenzielle Scheidungsgrund?«

      »Nein.« Lucas schüttelte den Kopf, lehnte sich zurück und schlug die langen Beine übereinander. »So bescheuert, mit einer so neurotischen Zicke leben zu wollen, ist er nicht.«

      »Aber was hat seine Frau denn zu dem außerehelichen Knaben gesagt?« Ich steuerte das Auto auf die Straße und musste gleich an einer Ampel halten.

      »Ausführliches!«, antwortete Lucas trocken. »Es hat ihn einen dicken Klunker und einen Mottenfiffi – wenn ich mich richtig erinnere, war es ein Silbernerz – gekostet, bis sie sich mit ihm versöhnt und mir erklärt