Mord bei den Festspielen. Sibylle Luise Binder

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Название Mord bei den Festspielen
Автор произведения Sibylle Luise Binder
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839262887



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– und mir wäre nach ausschlafen, ein wenig schmusen und einem langen, gemütlichen Frühstück auf unserem Balkon mit Seeblick gewesen. Doch dazu kam es nicht, denn ich durfte nicht von selbst aufwachen, sondern wurde durch einen ohrenbetäubenden, schrillen Schrei geweckt. Ich fuhr hoch, schaute erst auf die Uhr – es war kurz vor neun – und dann zu Lucas, der hochgefahren war und aufrecht im Bett saß.

      »Was war das denn?«, fragte ich.

      Lucas zuckte mit den Achseln und deutete mit dem Daumen über die Schulter auf die Wand, die uns von der Nachbarsuite trennte.

      Der Schrei war verstummt, doch die Ruhe währte nur einen Augenblick. Dann ging es wieder los – und es schien noch lauter zu sein als vorher. Lucas und ich sprangen aus dem Bett, ich rannte ins Bad, um mir meinen Bademantel überzuwerfen, er schlüpfte in seine Jeans und Wildlederslipper. Auf dem Weg zur Tür zog er sein Hemd an, kam aber nicht dazu, es ganz zuzuknöpfen, weil er schon an der ersten Tür zur Miercoledi-Suite war. Von innen ertönte Heulen – offenkundig mehrstimmig und in der Lautstärke einer Alarmsirene. Lucas’ Klopfen und Rufen ging in dem Lärm von innen fast unter, aber dann rührte sich doch etwas: Mafalda Miercoledi öffnete die Tür. Sie trug nur ihr Nachthemd, wobei das Wort eine eindeutig zu profane Beschreibung für das edle Stück aus champagnerfarbener Seide mit Spitze war. Dazu hatte sie ihr langes, dunkles Haar zu einem dicken Zopf geflochten. Ihr schmales Gesicht mit den vollen Lippen schien weiß wie die Wand hinter ihr, wodurch ihre sonst sorgfältig überschminkten Sommersprossen noch mehr herausstachen.

      Mit einem Aufschrei warf sie sich Lucas in die Arme. »Zio Lucaso!« Es folgte ein italienischer Wortschwall – viel zu schnell, als dass ich mit meinem VHS-Italienisch etwas hätte verstehen können.

      Nun stürzten sich auch ihre Mutter und Schwester auf Lucas, wobei sie wild durcheinanderredeten. Ich verstand immer noch kein Wort, aber mir fiel ein, dass Marietta und Mafalda Miercoledi Lucas schon gekannt hatten, als sie beide noch Windeln trugen. Bei seinen privaten Fotos hatte ich einmal eine ganze Sammlung gefunden, die ihn beim Spielen mit den Miercoledi-Töchtern zeigte, außerdem hatte er mir erzählt, dass er oft für sie gezeichnet und Geschichten vorgelesen hatte. Ihre Eltern hätten doch meist keine Zeit für sie gehabt.

      Lucas schaffte es nun, die reichlich hysterischen Grazien in den Salon der Suite zu manövrieren und die Tür zu schließen. Ich war einfach hinterhergedackelt, lehnte an einem Seitentisch und fühlte mich deplatziert, denn ich hatte immer noch keine Ahnung, worum es bei dem ganzen Aufstand ging. Also ließ ich die Augen schweifen und schielte durch die offene Zimmertür gegenüber. Im Raum dahinter sah es aus wie auf einem Bombenabwurf-Übungsplatz: Vor einem ungemachten Bett schien sich ein Koffer erbrochen zu haben und hatte seinen Inhalt – Blusen, Shirts und Röcke, Hosen und High Heels, vieles davon im Leo-Design, was mich vermuten ließ, dass Giulia die Räuberhöhle bewohnte – auf dem Boden verstreut.

      Der Schreibtisch seitlich diente offenkundig als Schminktisch und die Kollektion an Tiegeln und Töpfen darauf erinnerte mich an den Arbeitsplatz einer Maskenbildnerin, nachdem sie einen Schauspieler zum blauhäutigen Alien umgebaut hat.

      Lucas schien jetzt mit den Damen zu streiten. Er deutete auf das Telefon und sprach von »Dottore«. Giulia heulte jedes Mal schrill auf, wenn er das Wort erwähnte; Mafalda fummelte an ihrem Handy und ihre Schwester – zu meinem Erstaunen bereits voll bekleidet in einem verwegenen roten Seidenshirt, schwarzer Lederhose und himmelhohen, knallroten High Heels – deutete zur verschlossenen Tür schräg hinter mir.

      Lucas gab ihr nach, wobei er sich an mich erinnerte. Als er zur Tür ging, schaute er mich bedauernd an, deutete ein Schulterzucken an und öffnete. Ich wertete seinen Blick als Aufforderung, ihn zu begleiten, und wieselte hinterher.

      Ich bereute meine Neugierde sofort, denn die Tür führte ins Schlafzimmer von Mario Miercoledi – und der Anblick, der uns da erwartete, ließ mich bedauern, dass hysterisches Kreischen in meinem Instinktprogramm nicht vorgesehen ist. Es soll ja angeblich bei der Verarbeitung von Traumata helfen – und das wäre bei mir sehr nötig gewesen.

      Vor dem Bett im Zimmer lag nämlich Miercoledi – und eines war klar: Er würde uns nicht mehr nerven. Und was den »Dottore« anging, den Lucas für ihn bestellen wollte – ich war ziemlich sicher, dass der einzige Arzt, den Miercoledi noch brauchen würde, ein Pathologe war.

      Miercoledi lag zusammengekrümmt in einer Lache von Erbrochenem, seine Pyjamahose war verschmutzt – anscheinend hatte er neben den Magenproblemen auch noch Diarrhö gehabt –, ungefähr zwei Meter von seinem zerwühlten Bett entfernt. Offenkundig hatte er versucht, ins Bad zu kommen, und war auf dem Weg zusammengebrochen. Dabei hatte er die Hände in den Teppich gekrallt, den Kopf zur Seite gedreht und zeigte uns sein kalkweißes Gesicht mit weit aufgerissenen Augen. Doch am schlimmsten fand ich, dass sein Mund gegen den schwarzgefärbten Bart in einem fast obszönen Rot abstach.

      Und da war der Geruch und mein Magen hob sich. Ich flüchtete durch den Salon auf den Balkon, stützte mich mit beiden Händen auf das Geländer, schnappte nach Luft und sah auf den See hinaus, der im Morgenlicht so unschuldig aussah. In meinem Kopf purzelten die Gedanken durcheinander.

      Miercoledi war tot. Daran konnte kein Zweifel bestehen. Und dem Zustand des Erbrochenen nach lag er schon eine ganze Weile als Leiche in seinem Zimmer. So wie sein Bett aussah, hatte ihn nicht einfach der Schlag getroffen. Vielmehr sah es aus, als ob er eine Weile gelitten hätte. Und er war nicht der Typ gewesen, der aus zarter Rücksicht auf den Schönheitsschlaf seiner Damen stumm gelitten hätte! Er hatte sicher um Hilfe gerufen, aber niemand hatte ihn gehört.

      Warum? Seine Frau hatte das Zimmer gegenüber bewohnt, seine Töchter – nun, die waren entschuldigt, denn ihre Zimmer waren von dem ihres Vaters sowohl durch den Schlafraum der Mutter wie auch den großen Salon abgeteilt.

      Aber woran war Miercoledi wohl gestorben? Was verursachte Erbrechen, Durchfall und brachte einen dann in kurzer Zeit um?

      Lucas hatte die Damen wieder in den Salon gelotst und die Tür zu Miercoledis Zimmer geschlossen. Nun ging er zum Telefon. Seine Stimme klang sehr beherrscht und fast kühl, aber ich sah, dass er mit der freien Hand am Telefonkabel herumspielte. »Ja, Sie haben mich richtig verstanden. Signore Miercoledi ist tot – wir brauchen einen Arzt und …« Er überlegte einen Moment, dann schüttelte er unwillig den Kopf. »Der Arzt tut es erst einmal. Danach sehen wir weiter.« Er hörte zu, dabei runzelte er die Stirn. »Guter Mann, ich habe bestimmt Besseres zu tun, als die Presse zu informieren. Ich bin nämlich nicht nur der Regisseur auf der Seebühne, sondern auch ein langjähriger …«, er zögerte einen Augenblick, dann setzte er mit einem »Freund des Hauses« fort. Und ja, er kümmere sich jetzt um die Miercoledi-Damen, wäre dann aber um derentwillen dankbar, wenn der Arzt nicht zu lange auf sich warten lassen würde. »Und jetzt wäre es kein Schaden, wenn Sie uns eine große Kanne Kaffee heraufschicken lassen würden.«

      Er legte auf, gönnte mir ein ganz kleines Lächeln und schaute zu Giulia und Mafalda Miercoledi, die auf dem Sofa saßen und sich aneinander schmiegten wie zwei verängstigte Kinder. Marietta Miercoledi hatte sich ihnen gegenüber in einem Sessel niedergelassen, den Blick zum Fenster gewandt. Dabei hatte ich aber den Eindruck, dass sie nicht einmal bemerkt hätte, wenn draußen auf dem See ein Raumschiff gelandet wäre.

      Ich setzte mich auf den Klavierhocker, der vor dem Flügel stand und schlang die Arme um meinen Körper. Mir war kalt in meinem Bademantel und ich überlegte, ob ich nicht hinüber in unsere Suite gehen und mich richtig anziehen sollte. Doch dabei wäre ich mir vorgekommen, als wenn ich Lucas im Stich lassen würde. Ich hatte ihm doch versprochen, in guten und schlechten Tagen an seiner Seite zu sein – und heute war eindeutig einer von den schlechten Tagen.

      Ich beobachtete ihn aus dem Augenwinkel. Er stand immer noch an dem kleinen Sekretär, auf dem das Telefon untergebracht war. Die tiefe, vertikale Falte über seiner rechten Augenbraue sagte mir, dass er intensiv nachdachte.

      Mein Blick wanderte wieder über das Sofa zu dem Sessel, auf dem Marietta saß. Sie schien der Tod ihres Vaters am schlimmsten getroffen zu haben. Sie ließ sich die langen, kupferroten Locken wie einen Vorhang über das Gesicht fallen, dennoch konnte ich ihr Profil mit der etwas krummen Nase, die sie vom Vater