Mord bei den Festspielen. Sibylle Luise Binder

Читать онлайн.
Название Mord bei den Festspielen
Автор произведения Sibylle Luise Binder
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839262887



Скачать книгу

Er las das Thermometer ab, dann schaltete er das Messgerät an meinem Arm ein. Es blies sich auf, ließ langsam wieder Luft ab und piepste dabei. »Oh, oh, Frau Benning – das wird wohl eine Nacht im Krankenhaus! Sie haben Untertemperatur und Ihr Blutdruck ist lausig. Sie müssen behandelt und vor allem beobachtet werden. Unterkühlung kann tückisch sein.«

      Ich war tatsächlich ein wenig an Lucas’ Schulter eingeschlafen, als eine tiefe Stimme mich ansprach. »Hallo, ich bin Polizeihauptkommissar Bühler, der Kommandant des Schiffs. Willkommen auf dem ›Seeadler‹!« Er nahm der Brünetten, die mit einem Tablett mit Bechern und zwei Thermoskannen an den Tisch gekommen war, die Becher ab und verteilte sie. »Kaffee oder Tee?«

      Lucas votierte natürlich für Kaffee, ich nahm einen Becher Tee, der zwar nicht sonderlich schmeckte, an dem ich mir aber die Finger wärmen konnte. Der Kommissar unterdessen öffnete eine Mappe und fummelte ein Formular heraus. »So, erst mal Personalien …«

      »Sorry, darf ich erst mal eine Frage loswerden? Wo kamen Sie so plötzlich her?«

      Der Polizist schaute Lucas an und lächelte. »Ihr Mann hat die Notrufzentrale angerufen.«

      Lucas sah ein wenig verlegen aus. »Ich bin aufgewacht, weil ich den Krach gehört habe. Nachdem ich erkannt habe, was da auf dem See los ist, habe ich die Polizei gerufen. Du weißt, ich bin kein besonders guter Schwimmer.«Mein Mann hatte seine Papiere aus der Brieftasche genommen und legte dem Kommissar seinen Personalausweis hin. »Die Unterlagen meiner Frau sind im Auto und das steht vor dem Restaurant Seeblick.«

      Ich packte meinen Kopf wieder an seine Schulter, schloss die Augen und hörte zu, wie der Polizist die Daten vorlas: »Benning, Lucas Emanuel, 30. August 1966 in Semera – ja, wo isch des denn?« Sein Schwäbisch klang durch und zeigte sein Erstaunen.

      Lucas war die Reaktion auf seinen ungewöhnlichen Geburtsort gewöhnt und er erklärte fast gelangweilt: »Meine Eltern sind Paläoanthropologen und waren zu der Zeit im Afar-Dreieck in Äthiopien tätig.«

      »Paläoantrowas?« Der Beamte schaute ihn an, als ob Lucas gerade grüne Tentakel gewachsen wären.

      »Sie waren Spezialisten für die Stammesgeschichte des Menschen, unterrichteten an der Universität in Tübingen und forschten in Afrika. Da stand ja bekanntlich die Wiege der Menschheit.«

      Der Polizist sah nicht aus, als ob ihm das bekannt gewesen wäre, dafür blätterte er in Lucas’ Pass und betrachtete die vielen Stempel. »Sie kommen weit herum.«

      »Ich bin Sänger und Regisseur«, erklärte Lucas und streichelte dabei meine Schulter. »Besser, Liebes? Wieder warm?«, fragte er.

      Ich nickte und kuschelte mich an ihn. Es tat wohl, seine Wärme durch die Decke zu spüren.

      »Und Sie wohnen in …?«, unterbrach der Beamte unsere eheliche Idylle.

      »Stuttgart«, gab Lucas an und diktierte unsere Adresse. Dann küsste er meine Schläfe. »Soll ich deine Daten diktieren, Vic?«

      »Ja, bitte!« Ich war froh, die Augen wieder schließen zu können, und hörte Lucas zu. »Meine Frau heißt Victoria Konstanze Benning, geborene Rühle, kam am 12. November 1982 in Balingen auf der Schwäbischen Alb zur Welt, schreibt kluge Bücher, hat einen Lehrauftrag als Musikhistorikerin an der Stuttgarter Hochschule für Musik und arbeitet außerdem als meine Assistentin.«

      Der Polizist hatte mitgeschrieben, jetzt lächelte er. »Fein – und Adresse ist gleich wie bei Ihnen, nehme ich an. Und jetzt erzählen Sie mir doch bitte, was eigentlich passiert ist. Ich hab von der Leitstelle nur gehört, dass in der Bucht vor Lindau eine schwimmende Frau von einem Verrückten in einem Motorboot angegriffen wird. Natürlich haben wir zuerst gedacht, dass das eine miese Nummer ist. Wir erleben leider manchmal, dass betrunkene oder bekiffte Skipper Schwimmer jagen.«

      »Ich glaube nicht, dass es das in diesem Fall war. Für mich sah das eher nach gezieltem Angriff aus«, sagte Lucas.

      »Okay.« Bühler hatte eine Notiz gemacht. »Und jetzt mal mit Vorgeschichte. Wie kamen Sie in die Bucht? Wohnen Sie in der Nähe?«

      »Ja. Wir residieren gerade im Seehotel Excelsior in Lindau. Wir arbeiten aber in Bregenz – wir inszenieren ›Don Carlos‹ für die Seefestspiele«, erklärte Lucas. »Heute hatten wir einen recht harten Tag auf der Probe, daher schlug meine Frau vor, dass wir in dieses nette Restaurant etwas außerhalb fahren, um ein bisschen Abstand zu bekommen. Und nach dem Essen … uhm … öh …«

      Ich musste mir ein Lachen verkneifen. Mein Liebster hatte nämlich rote Ohren bekommen und überlegte nun wohl, wie er die Geschichte vom Rest des Abends verpacken sollte. Mein Sängerseelchen ist nämlich ein wenig prüde, während ich als echte schwäbische Pfarrerstochter zwar keine Bomben lege, aber als »böses Mädchen« manchmal meinen Ex-Sängerknaben – ja, Lucas war Hymnus-Chorknabe – zu unzüchtigem Tun verleite. »Ich hatte ihn zu einem Abendspaziergang überredet und da war nun diese herrliche Trauerweide in der kleinen Bucht. Sie breitete ihre Arme weit aus und sie bildeten einen grünen Vorhang, unter dem wir ganz für uns waren. Und da ist er eingeschlafen – hinterher. Ich unterdessen war putzmunter und erhitzt, darum bin ich in den See gegangen.

      Als ich auf dem Steg stand, sah ich das schwarze Boot. Es dümpelte am Rand der kleinen Badebucht, nur von zwei kleinen Leuchten erhellt. Und da war ein nacktes Frauenbein gewesen, das sich einmal hochgereckt hatte, und ein gutturales Lachen, das dann zu einem Seufzen wurde. Ich hatte in mich hineingelächelt. Warum hätte ich dem Paar auf dem Boot nicht gönnen sollen, was ich davor genossen hatte?

      Ich bin ein Stück vom Steg weg und auf den See hinaus geschwommen, wobei ich den Kontrast zwischen dem an der Oberfläche von der Sonne erwärmten Wasser und der Kälte in tieferen Regionen genossen habe. Dann habe ich den Motor gehört und das Boot auf mich zukommen sehen. Ich habe mich geärgert, obwohl mir da noch nicht klar war, dass der Bootsführer etwas von mir wollen könnte – und dann fuhr er fast über mich hinweg und ich musste wegtauchen, damit mich die Schrauben nicht verletzten.

      Ich dachte, dass der Bootsführer mich nicht gesehen hatte, hob den Arm und rief, aber er beachtete mich nicht. Oder etwa doch? Er drehte um und kam wieder auf mich zu.«

      An dieser Stelle hob Lucas die Hand und unterbrach mich, »Ab da habe ich es ungefähr mitgekriegt. Mich hat der Motorenlärm geweckt. Ich schlüpfte in meine Hose und ging auf den Steg hinaus, um Victoria zu suchen. Dabei sah ich die zweite Attacke – und mir war sofort klar, dass es der Typ auf meine Frau abgesehen hat. Also habe ich die Polizei angerufen.«

      Der Polizist guckte uns an. »Frau und Herr Benning – können Sie sich die Attacke erklären? Kennen Sie den Bootsführer?«

      »Nicht, dass ich wüsste«, erwiderte ich nachdenklich. Ich zerbrach mir ja selbst den Kopf!

      »Haben Sie einen Feind, der Ihnen ans Leben will?« Der Polizist war hartnäckig.

      Ich zog die Schultern hoch. »Nicht, dass ich wüsste …«

      »Sind Sie in irgendetwas Kriminelles verwickelt? Als Zeugin, als Opfer …?«

      Lucas und ich schauten uns an. Dann nickte er langsam und sagte: »Ja, kann man wohl so sagen. Sie haben wahrscheinlich mitbekommen, dass bei den Proben zu den Seefestspielen ein Sänger ermordet wurde?«

      »Ja, klar! Hätte mir eigentlich gleich einfallen können, als Sie sagten, Sie arbeiteten bei den Seefestspielen.« Der Kommissar runzelte die Stirn. »Das war doch dieser Mario Miercoledi? Ganz bekannter Mann …«

      »Richtig«, nickte Lucas. »Wir waren dabei, als die Leiche gefunden wurde und meine Frau hat Ihren Kollegen den Hinweis gegeben, der dazu führte, dass die den Mord als solchen erkannt haben.« Er räusperte sich. »Glauben Sie, zwischen diesem Mord und dem Anschlag auf meine Frau könnte ein Zusammenhang bestehen?«

      »Aber Lucas! Woher hätten die, die Mario vergiftet haben, wissen sollen, dass ich heute Nacht in einer einsamen Bucht bade?«, warf ich ein.

      »Das weiß ich nicht. Aber warum sollte jemand dich einfach so umbringen wollen?«

      »Es