Mord bei den Festspielen. Sibylle Luise Binder

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Название Mord bei den Festspielen
Автор произведения Sibylle Luise Binder
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839262887



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zu gehen?« Er klang angesäuert.

      Mein Blick glitt an ihm entlang, von den weichen, grau melierten Locken über die markante Nase, die sinnlichen Lippen und das energische Kinn über den breiten Schultern.

      Wir sind im fünften Jahr verheiratet – und manchmal wundere ich mich, wie einfach es ist. Wir gehören sicher nicht zu den Paaren, die sich »nie« streiten. Ab und zu mal fetzen wir uns ordentlich und bei unser beider Temperament auch durchaus lautstark. Aber solche Gewitter gehen bald vorbei und hinterlassen keine Schäden.

      Wir gehören zu den Paaren, für die »frisch verliebt« schwierig war, denn da standen uns noch mein Stolz und seine Sturheit im Weg. Darum hat unser erster Anlauf miteinander nur ein paar Monate gedauert. Dann haben wir uns zerstritten, sind auseinandergelaufen, haben anderweitig geheiratet – und ich habe mir dann jahrelang eingeredet, dass es pure Sentimentalität war, wenn mir bei seinem Auftauchen die Knie weich wurden und der Puls sich erhöhte.

      Vor sechs Jahren haben wir uns wiedergefunden – beide nicht nur älter, sondern definitiv auch reifer geworden. Er hat seine Chauvi-Allüren abgelegt; ich bilde mir nicht mehr ein, dauernd meine Unabhängigkeit vorführen zu müssen. Und ich finde es heute nicht mehr »weicheierig« zuzugeben, dass ich ihn liebe und dass er der wichtigste Mensch in meinem Leben ist.

      Ich bilde mir heute sogar ein, dass wir uns näher sind als andere Paare – schon allein durch unsere besondere Situation. Lucas ist manchmal neun Monate im Jahr auf Reisen. Vier Wochen in New York an der Metroplitan Opera für eine Wiederaufnahme, drei Monate in Sydney für eine neue Produktion, drei Wochen in Japan für eine CD, eine Tournee mit einem Orchester, eine eigene Inszenierung in Dublin. Und ich habe meinen Job bei der Zeitung gekündigt und mir einen halben Lehrauftrag als Musikwissenschaftlerin an der Stuttgarter Musikhochschule angelacht. Den kann ich blockweise abarbeiten – zum Beispiel, wenn mein Herr und Meister gerade mal in Stuttgart singt oder inszeniert.

      Ansonsten reise ich mit ihm. Wenn er inszeniert, mache ich Assistenz; wenn er singt, schreibe ich Bücher. Das hat den Vorteil, dass ich beschäftigt bin, wenn er tagelang probt und erst abends total groggy in unser Übergangsheim kommt. Aber es gibt auch Wochenenden und die Zeiten, in denen die Inszenierung läuft und er nur alle zwei, drei Tage auftritt. In diesen Phasen bewährt sich dann, dass wir nicht nur Liebende, sondern auch Freunde sind und gemeinsame Interessen haben. Wir bummeln stundenlang durch Städte, besichtigen Schlösser, Kirchen und Museen; sitzen aber auch schon mal einen halben Tag auf einer Klippe, Lucas zeichnet, ich lese, wir beobachten die Natur. So oft es möglich ist, gehen wir zu den Pferden. Ich reite, Lucas schaut zu, beschmust Pferde oder fährt. Reiten ist nicht sein Ding – auf dem Pferd fühlt er sich immer noch unsicher. Aber der Kutschbock ist sein Revier und er hat inzwischen einige Fahrkurse absolviert.

      Er war stehen geblieben und schaute einem Schwanenpaar zu, das mit seinen vier Kindern am Ufer entlangpaddelte. Ich schaute ihn prüfend an. Lucas mit seinem sinnlichen Mund über dem energischen Kinn ist immer ein attraktiver Mann gewesen und ich hatte seine Wirkung auf Frauen nicht nur bei mir, sondern auch bei vielen anderen erlebt. Dennoch hatte ich ihm immer vertraut – so sehr, dass es mich manchmal selbst irritierte und ich dachte: Bist du nicht total verblendet, einem Mann so vorbehaltlos zu trauen? Hast du aus deinen Erfahrungen nichts gelernt?

      Ich hatte nach unserem schiefgelaufenen ersten Anlauf und vor meiner ersten Ehe eine Geschichte mit einem Celloprofessor absolviert – und darin zwei Jahre lang nicht bemerkt, dass er mich ständig nach allen Regeln der Kunst betrogen hatte. Als ich ihm draufkam, beschwor er, dass er nur mich liebe, aber ab und zu brauche er eben ein bisschen Abwechslung. Ich überließ ihn derselben – ich bin arrogant genug zu glauben, dass ich einen Mann ganz für mich verdiene und dass ich einem solchen auch genug sein sollte.

      Doch es hatte wehgetan und ich hatte einige Zeit daran geknabbert. Dennoch vertraute ich Lucas – und das sagte ich ihm auch. Aber nach dem Gespräch über Miercoledi saß mir etwas quer und mein feinfühliger Mann bemerkte es, als wir Hand in Hand auf die Terrasse des Restaurants gingen. Wir setzten uns, bestellten unser Essen – Wildschweingulasch für mich, Bodenseefellchen für Lucas – und schauten eine Weile schweigend auf den in der Abendsonne glitzernden See hinaus. Unsere Getränke kamen, Lucas schenkte Riesling ein – und dann seufzte er: »Ich habe mich immer unbehaglich gefühlt, wenn Mario unsere ›Freundschaft‹ so herausstellte. Ich fühlte mich ihm nicht nahe, ich mochte ihn noch nicht einmal sehr. Wir waren einfach nur Kollegen, aber …«, er schluckte, machte eine kleine Pause und sprach dann weiter: »Ich muss anders anfangen. Du hast mich vorher angeschaut, als ob du Schmutzflecken da, wo ich Mario zu nahegekommen bin, suchen würdest.«

      Ich trank einen Schluck und ließ den fruchtigen Wein über meine Zunge rinnen. Ich fühlte mich ertappt und musste das erst einmal schlucken. Ja, ich hatte meine Empörung über Miercoledis Treiben ein Stück auf Lucas übertragen – und das war nicht fair gewesen. Ich senkte den Kopf, schaute einen Augenblick in meinen Schoss, doch dann gab ich mir einen Schubs und sagte: »Entschuldigung …«

      Lucas fasste nach meiner Hand, zog sie an seinen Mund biss sanft in den Daumenballen. »Das Schlimme ist, dass du teilweise recht hast. Ich war sein Spießgeselle oder wie immer man das nennen will.«

      »Du?« Ich hatte plötzlich eine Vision von Miercoledi und Lucas in einem halbseidenen Nachtklub beziehungsweise in dem, was ich als schwäbische Provinzpfarrerstochter mir darunter vorstellte. Dabei hatte Miercoledi eine vollbusige, spärlich bekleidete Blondine auf dem Schoss, während Lucas seine markante Nase im Dekolleté einer Rothaarigen versenkt hatte.

      Mit einem energischen Kopfschütteln verscheuchte ich die Spießerfantasie und schaute Lucas an, der nicht glücklich aussah. Er knibbelte am Etikett der Weinflasche, die neben ihm im Eiskühler stand. Als er bemerkte, dass ich ihn beobachtete, hob er den Kopf und bemühte sich um ein Lächeln. »Ich überlege gerade, wie ich eigentlich in dieses moralische Dilemma hineingerutscht bin …«

      »Erzählst du mir die Geschichte von Anfang an?«, bat ich.

      In diesem Moment kam der Kellner mit unserem Essen und Lucas bat um eine »Gnadenfrist«, weil er sein Fischlein nicht kalt werden lassen wollte.

      In London wurde der Bajazzo von Mario Miercoledi gesungen, der damals schon ein etablierter Star war. Lucas kommentierte grinsend: »Damals war er ja auch noch 15 Jahre älter als ich. Inzwischen wird er jedes Jahr jünger und in ein paar Jahren werde ich dann der Senior sein.«

      In den Proben in London habe Miercoledi damals den jungen Kollegen nicht weiter beachtet. Doch in der Vorstellung kam er nicht umhin – Lucas bekam nämlich Szenenapplaus, Miercoledi aber nicht. Und vor dem Vorhang musste Miercoledi dann feststellen, dass dieser Jüngling, den man ihm da als Bariton serviert hatte, nicht nur ekelhafte zehn Zentimeter größer als er war, sondern obendrauf auch noch einen vorwiegend weiblichen Fanklub in London hatte und von dem ebenso lautstark wie enthusiastisch bejubelt wurde. Miercoledi sei alles andere als glücklich darüber gewesen.

      Ich konnte es mir gut vorstellen. Miercoledi war für seine Eitelkeit bekannt und pflegte sich im Beifall zu suhlen. Ich grinste bei der Vorstellung, wie er es wohl gefunden hatte, neben einem deutlich jüngeren und definitiv hübscheren Kollegen zu stehen.

      Dennoch: Miercoledi wäre nicht so weit gekommen, wenn er nicht gewusst hätte, dass man mit starken Partnern am besten zur Geltung kommt und so erbat er sich bei seinem nächsten Engagement in London Lucas als Partner. Gegeben wurde Puccinis »Manon Lescault« und Miercoledi dachte wohl, dass Lucas ihm als Manons fieser Bruder nicht die Show stehlen würde, aber das empfanden die Damen im Publikum anscheinend anders. Ein