Mord bei den Festspielen. Sibylle Luise Binder

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Название Mord bei den Festspielen
Автор произведения Sibylle Luise Binder
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839262887



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allerdings waren ihre vollen Lippen nicht rot, sondern fast farblos, obwohl sie daran herumnagte.

      Niemand sprach, nur ab und zu schluchzte Giulia, worauf Mafalda ihr über den Rücken streichelte. Ich fragte mich, was den Frauen wohl durch den Kopf ging, als es endlich an der Tür klopfte. Lucas reagierte am schnellsten, eilte zur Tür, öffnete und ließ einen Kellner eintreten, der einen Servierwagen mit einer großen Thermoskanne, einigen Tassen, zwei Milchkännchen, eine Zuckerdose und einem Becher, in dem aufrecht einige Löffel standen, hereinschob. Außerdem brachte er einen Teller mit Keksen mit und baute alles auf dem runden Esstisch, der im vorderen Teil des Salons stand, auf.

      Lucas signierte die Rechnung, fand ein paar Münzen in seiner Hosentasche, reichte sie dem Jungen und fragte: »Wer mag Kaffee?«

      »Ich bitte!« Mafalda stand auf, ging zum Tisch und sagte: »Mutter sollte auch einen trinken.«

      Lucas schenkte zwei Tassen für sie voll und schaute mich fragend an. Ich nickte, worauf er reichlich Milch und Zucker in eine Tasse gab, mit Kaffee auffüllte und mir die Mischung mit einem Keks auf der Untertasse reichte.

      Mafalda hatte einen Schluck getrunken und es war, als ob damit die Schleusen ihrer Beredsamkeit geöffnet worden wären. »Ich verstehe das nicht. Ich meine, gestern Abend war er schon ein wenig angeschlagen, aber dennoch – wer rechnet denn mit so was?« Sie war aufgeregt und mir fiel auf, dass ihr italienischer Akzent stärker war, als ich ihn je von ihr gehört hatte. »Ihr habt ihn doch gestern Abend auch gesehen, Victoria und Lucas! Da hat er doch nicht ausgesehen, als ob er in der Nacht …« Sie schien das Wort »sterben« nicht aussprechen zu können, sondern schluckte und sprach weiter, wobei sie immer schneller und schriller wurde. »Er hat auf der Promenade am Jachthafen unten sogar noch Autogramme gegeben und diese Blondine mit den dicken Dingern angebaggert!«

      »Ich glaube nicht, dass das jetzt ein passendes Thema ist!«, mahnte Lucas.

      »Warum? Fangen wir jetzt schon an, so zu tun, als ob Vater ein Engel gewesen wäre? Er hat alles angegraben, was bei drei nicht auf dem Baum war!« Sie war aufgestanden und ging nervös im Raum auf und ab. »Schau mich nicht so an, Onkel Lucas! Du weißt so gut wie ich, dass er hinter jedem Rock her war und …«

      Giulia schluchzte lauter, Lucas trat einen Schritt auf Mafalda zu und griff nach ihrem Arm. »Schluss jetzt, Mafalda!«, sagte er laut.

      »Aber er ist tot!« Sie klang fast fröhlich. »Er ist tot!«, wiederholte sie. »Heißt das nicht, dass wir jetzt aufhören können, heile Familie zu spielen? Etta, du kannst …«

      »Halt den Mund, Mafalda!« Marietta brüllte und auf ihrer Wange erschienen hektische rote Flecken.

      Ihre Schwester schluckte und begann zu weinen, leise, kleine Schluchzer wie ein Kind.

      Ich hatte im Geist die ganze Zeit das Szenario in der letzten Nacht durchgespielt. Miercoledi und die Seinen waren noch im Straßencafé gesessen, als wir gegangen waren, aber ich erinnerte mich, ihre Stimmen auf dem Flur gehört zu haben, als ich im Bad die Zähne geputzt hatte. Da waren sie heimgekommen und da war es Miercoledi offenkundig noch gut gegangen.

      Wann nach dem Heimkommen war er schlafen gegangen? Und was war dann passiert? War ihm übel geworden? Aber warum hatte er nicht gleich um Hilfe gerufen? Es war doch nicht so schlimm gewesen, dass er das nicht mehr geschafft hätte, denn schließlich war er aufgestanden … oder war er aufgestanden, um Hilfe zu holen und auf dem Weg zur Tür zusammengebrochen? Aber warum hatte er nicht gerufen? Oder hatte er gerufen und niemand hatte ihn gehört?

      Ich versuchte, mir den Grundriss der Suite vorzustellen. Wie die unsere hatte sie einen Vorraum, von dem aus es in eine kleine Küche ging, dann kam man durch eine Doppeltür in den großen Salon. In dem war links und rechts je eine Tür. Die linke führte in Miercoledis Schlafzimmer, die rechte in das seiner Frau. Die dazu gehörigen Badezimmer waren jeweils durch die Schlafzimmer erreichbar. Die Töchter wohnten nebenan beziehungsweise gegenüber. Insofern war erklärbar, dass sie nichts gehört hatten. Zwischen Miercoledis Schlafraum und Mariettas Zimmer gegenüber lagen immerhin ein Bad, die Küche, der Vorraum und der Flur. Und Mafalda wohnte im Zimmer hinter ihrer Mutter, also mindestens genauso weit weg. Aber Giulia – sie hatte nur den Salon zwischen ihrem und dem Zimmer ihres Mannes! Und das Hotel war ein Altbau und, wie wir in den letzten Tagen zu spüren bekommen hatten, doch eher hellhörig. Wir hatten jedenfalls mitbekommen, wenn Familie Miercoledi sich im Salon angebrüllt hatte.

      Andererseits war Miercoledi angeschlagen gewesen und hatte darum wahrscheinlich nicht so laut geschrien wie am Vortag beim Familienstreit.

      Es klopfte zum zweiten Mal – der Hotelmanager, trotz Sonntagmorgen und Sommer schon im dreiteiligen dunkelblauen Anzug mit gestreiftem Hemd und Krawatte, segelte in Begleitung eines verschlafen wirkenden, unrasierten Mannes in einer abgewetzten Cordhose und einem verwaschenen Polohemd, der einen großen schwarz-orangen Rucksack in der Hand trug, in die Suite. Der Manager drückte Lucas die Hand und deutete eine Verbeugung an, dann küsste er Giulia die Hand, murmelte etwas von Bedauern und Beileid, auch in Richtung der Töchter, und stellte seinen Begleiter als Doktor Hartmann vor.

      Der grunzte in die Runde, dann schob er sich zum Tisch. »’tschuldigung«, brummte er. »Ich habe Wochenenddienst und war die halbe Nacht unterwegs. Kann ich erst mal einen Kaffee haben?« Weil sich sonst niemand rührte, stand ich auf und schenkte ihm einen Kaffee ein, was er mit einem munteren »Ich bin ein Süßer, ich nehme Milch und dreimal Zucker!« kommentierte.

      Während der Arzt in aller Gemütsruhe seinen Kaffee trank, unterhielt sich Lucas leise mit dem Hotelmanager. Ich spitzte die Ohren und schnappte auf, dass der Hotelmanager davon sprach, den Bestatter anzurufen – ihm ging es natürlich darum, die Leiche so schnell und diskret wie möglich aus dem Haus schaffen zu lassen. Lucas bremste ihn – er solle doch bitte erst einmal abwarten, was der Arzt sage.

      Der hatte mittlerweile seinen Kaffee getrunken und stand mit einem Seufzen auf. »Tja – wo liegt der Mann?«

      Lucas deutete auf die Tür. »Brauchen Sie jemanden dazu?«

      »Falls ich jemanden brauche, kann ich ja rufen!« Der Arzt schleppte seinen Rucksack zur Tür und verschwand dahinter.

      Wir warteten schweigend, wobei der Hotelmanager nervös auf und ab ging, während Lucas zu mir getreten war und mir die Hand auf die Schulter gelegt hatte. Eine ganze Weile lauschten wir auf die leisen Schritte des Arztes, hörten etwas klappern, dann das Geräusch eines Reißverschlusses. Mafalda begann zu weinen, Lucas machte einen Schritt nach vorne und streichelte über ihr Haar. »Ja, Mafi, das ist schlimm …«, sagte er leise.

      Endlich kam der Arzt aus dem Zimmer, schloss die Tür hinter sich, zog die Gummihandschuhe aus, sah sich um und ließ sie dann in einen Papierkorb fallen. Er ging zum Tisch und griff nach der Thermoskanne. »Ich krieg noch einen Kaffee, ja?« Ohne eine Antwort abzuwarten, nahm er sich eine frische Tasse, schenkte ein und gab Milch und Zucker dazu.

      Lucas hatte sich wieder aufgerichtet. In seiner Stimme klirrte Eis, als er fragte: »Haben Sie uns nicht etwas zu sagen?«

      Der Arzt trank einen Schluck Kaffee, öffnete dann seinen Rucksack und begann, darin zu wühlen. Schließlich legte er eine zerknautschte Mappe vor sich, hob den Kopf und schaute Lucas an: »Was soll ich sagen? Der Mann ist tot – und das wahrscheinlich schon seit vier, fünf Stunden. Auf jeden Fall kann ich ihm nicht mehr helfen.« Er zog ein Formular und einen Kugelschreiber aus der Mappe, dann wandte er sich an Giulia. »Ich nehme an, Sie sind die Witwe?« Er wartete nicht auf eine Antwort. »Herzliches Beileid. Aber Sie wussten, dass Ihr Mann Probleme mit dem Herzen hatte?«

      Lucas schaltete sich ein. »Woher wollen Sie das wissen? Haben Sie ihn daraufhin untersucht?«

      Der Arzt war damit beschäftigt, das Formular auszufüllen. Ohne den Blick zu heben, sagte er: »Auf dem Nachttisch lagen Herzmedikamente – ziemlich harter Stoff.« Er kritzelte etwas auf sein Formular, dann fragte er in die Runde: »Kann ich mal seinen Pass haben?«

      Einen Augenblick herrschte Verwirrung. Giulia schluchzte noch einmal auf, Mafalda ging zögernd in Richtung der Tür zum Zimmer ihres Vaters, Marietta unterdessen trat an den Sekretär und