Pforte des Todes. Willi Voss

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Название Pforte des Todes
Автор произведения Willi Voss
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783967526769



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größer, noch größer als Sie. Wie ein Bär.« Sie strich sich über die geschundene Wange. »Dicke Pranken und dicke Lippen, und langes Haar. Er war total nass.«

      »Augen?«

      »Daran kann ich mich nicht erinnern. Ich glaube, sie waren irgendwie grün oder gelb, ich weiß es einfach nicht mehr, weil er mich so erschreckte, und ich hatte Angst, dass ich das Kind verliere.«

      Von den Fragen, die ihr der »Bär« gestellt hatte, waren ihr so gut wie alle entfallen. Gesprochen hatte er »wie hier alle sprechen«, sie war überzeugt, er sei aus der Gegend gewesen, ein Jemand, der seine Worte zu setzen verstand, ein Intellektueller, »voll von Jähzorn«, und mit einem Schlag, der noch immer in ihrem Gesicht brannte. »Und«, fügte sie, in sich hineinhorchend, hinzu, »er hat gedroht, Florian wegen Täuschung und Betrug vor Gericht zu bringen.«

      »Das ist alles?«

      »Wirklich und wahrhaftig.«

      »Deskin hat auch nicht angerufen?«

      »Wirklich und wahrhaftig nicht!«

      »Ich bemühe mich, Ihnen zu glauben«, sagte Jakob. »Ich werde irgendwann nachfragen, und ich hoffe, Sie werden dann genau so kooperativ sein.«

      »Warum suchen Sie ihn eigentlich?«

      »Der Bär hat es richtig beschrieben: Deskin hat betrogen - ihn, sich selbst und - das ist der Grund seiner ewigen Verdammnis – die Allmacht.« Jakob presste die Lippen zusammen, schien die Haltung zu verlieren, kämpfte und fasste sich schnell wieder. Wie nebenbei und mit einem Blick auf die gereizte Wange des Mädchens: »Warum hat der Bär Sie geschlagen?«

      »Er glaubte mir nicht. Und ich habe ihn angeschrien, dass er mich in Ruhe lassen solle, und dann hat er wütend zugeschlagen.«

      »Das tut mir leid.«

      Sie schwieg. Jakob betrachtete sie einige Sekunden lang aus weit offenen Augen, nickte kaum merklich und ging zur Tür. Die Hand an der Klinke blieb er stehen.

      »Beten Sie«, sagte er sanft, »beten Sie für ihn. Und auch für Ihr Heil.«

      Dann riss er die Tür auf und verließ die Wohnung.

      

      5

      Schon als Kind hatte Reineking die Menschen bewundert, die zu wichtigen oder unwichtigen Anlässen die richtigen Worte und damit den Beifall der Autoritäten fanden. Das Schlimme war, er kannte die Regeln aus dem ff, aber er begriff sie nicht in ihrem Wesen. Fast immer hatte er das Gefühl, Hohles, Doppelbödiges oder Unaufrichtiges zu sagen, wenn er sich einer der Serienfloskeln bediente. Auch jetzt, dem Oberstaatsanwalt gegenüber, den er aus dem Leitbus anrief, war er unfähig, eine entschuldigende Phrase anzuwenden.

      »Reineking, Sie wollten mich sprechen«, sagte er, nachdem der Oberstaatsanwalt sich schnaufend gemeldet hatte.

      »Ach, den Eindruck hatten Sie? Das rührt mich aber tiefstens! Dass Sie sich meiner überhaupt erinnert haben, wird meine Dankbarkeit über mein Ableben hinaus prächtig gedeihen lassen.«

      »Wollen Sie Streit oder Informationen?«

      Von Vennebeck schnaufte.

      »Nun ja, vergessen wir ‚s für den Augenblick. Wie weit sind wir denn? Können wir diese von Ihnen geforderte Geländesperre endlich aufheben? Da braut sich nämlich eine Menge Unmut in Besucherkreisen auf, und beim zuständigen Amtsrichter, dessen Telefon angeblich zum Folterinstrument verkommen ist, erst recht. Mir wurde gesagt, dass einige Dutzend Busse den unteren Parkplatz blockieren und der erste deutsche Rentneraufstand zu befürchten sei.«

      »Die Sache mit den Bussen trifft halbwegs zu, obwohl von Aufstand keine Rede sein kann.«

      »Was fanden Ihre so heiß ersehnten LKA-Leute heraus?«

      Reineking berichtete im Telegrammstil.

      »Na, da scheinen Sie ja mal Recht gehabt zu haben«, sagte von Vennebeck. »Sie auch noch recht hoffnungsvoll aus, wenigstens für die gestressten Denkmalenthusiasten! Oder, mein lieber Herr Hauptkommissar, behindert etwa eine den Genialhirnen entatmete Konklusion die Aufhebung der den Tourismus behindernden Sanktion?«

      Ein zartes Schmatzen drang an Reinekings Ohr. Möglicherweise genoss der Oberstaatsanwalt nicht nur die Situation, sondern auch irgendeine alkoholische Delikatesse, deren Gaumenreize seine Sprache vielleicht auch deshalb in leichten Trab versetzte, weil ihm die geneigte Assessorin zur Seite saß. Ganz in der Rille schien der Vorgesetzte ihm jedenfalls nicht zu sein.

      »Mit der Geländeabsuche sind wir zwar noch nicht durch, aber, nein, eigentlich gibt es keinen Grund, die Sperre aufrecht zu erhalten«, sagte er vorsichtig.

      »Wir können jedenfalls bei Annahme eines Unfalls - und danach sieht es ja aus - nicht so lange warten, bis unserem Finanzminister einfällt, zur Sanierung seines Haushalts Eintritt für die Show Erleben Sie unsere Polizei in Aktion zu fordern. Also?«

      »Heben Sie auf.«

      »Gut, ich sorge für den Beschluss und Sie lassen die Rentner vor Ort von der Leine.«

      »Jawohl, Herr Oberstaatsanwalt.«

      »Sehr schön. Und dann hätte ich noch gerne gewusst, ob Sie - post investigativum - eine eigene Meinung zum Geschehen haben?«

      Reineking beschlich Unbehagen. Er verspürte eine starke Abwehr dagegen, eine Meinung zu äußern, die nicht durch Anhaltspunkte belegt war. Auch witterte er eine Falle.

      »Es ist schwer«, begann er zögernd, »in diesem Augenblick auch nur einen Verdacht auszusprechen. Es gibt keinerlei Hinweise, die in eine bestimmte Richtung deuten. Das Opfer ist nicht identifiziert, wir haben keine Ahnung, wie es zum Denkmal gekommen und warum es dort verbrannt ist. Auch die Düsseldorfer Kollegen haben trotz anfänglichen Optimismus letztendlich kapitulieren müssen.«

      »Wenn man Sie so hört, sieht man das UFO, aus dem das Bein dem Kaiser vor die Stiefel geschmissen wurde, direkt vor sich«

      »Derartige Geschichten können leicht entstehen, wenn wir jetzt nicht vorsichtig genug sind.«

      Wieder eine kurze Pause, dieses süffelnde Schmatzen, als wenn von Vennebeck genüsslich nachschmeckte.

      »Ja, da haben Sie wohl recht, Herr Hauptkommissar. Wir sollten alles, was zur Entstehung von Gerüchten beitragen kann, tunlichst vermeiden, wobei, ich gebe es gerne zu, mir die ganze Geschichte wie ein Bilderbuch ohne Bilder erscheint. Sie hatten ja bereits die Presse vor Ort, und ich denke, eine Erklärung müssen wir uns schon einfallen lassen.«

      »Tut mir leid, zurzeit habe ich keine, und mehr kann ich im Augenblick nicht sagen.«

      »Mit anderen Worten, wir stehen vor einem kriminalistischen Rätsel?«

      »Nur vorübergehend, denke ich.«

      Von Vennebeck schwieg. Reineking klopfte sich mit der linken Hand eine Zigarette aus der Packung. Durch das Fenster des Dienstbusses sah er einen Trupp Schutzpolizisten über die Auffahrt zum Denkmal gehen. Dahinter stampfte klein und unter einem breitkrempigen Hut verborgen, Termöhlen schwerfällig heran.

      »Na gut«, sagte von Vennebeck, »Sie halten mich auf dem Laufenden. Wann erwarten Sie die endgültigen Laborergebnisse?«

      »Morgen telefoniere ich mit den Düsseldorfern.«

      »Na gut, informieren Sie mich bitte umgehend. Ich bin kein Rätselfreund, ich bin ein Rätselfeind, verstehen Sie?«

      »Ich verstehe«, sagte Reineking, drückte die Austaste und zündete sich die Zigarette an.

      Termöhlen erreichte schwer atmend den Bus.

      »Ich habe den Mitschnitt der Anzeige von der Wache mitgebracht«, sagte er und stellte einen silberfarbenen Kassettenrecorder auf die Sitzbank. »Ich muss schon sagen, dass das ziemlich abartig ist, dass da einer so was mitkriegt und sich einfach