Pforte des Todes. Willi Voss

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Название Pforte des Todes
Автор произведения Willi Voss
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783967526769



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der Kerl, dessen weiche Singstimme lasziv wie die einer kobernden Nutte geklungen hatte, würde Wort halten und mit dem Honigstückchen des versprochenen Anfangsbeweises auftauchen.

      Nach zwanzig Minuten nervenden Wartens hatte er ihm wegen des schlechten Wetters und der katastrophalen Sichtverhältnisse weitere zehn zugebilligt und noch einmal fünfzehn Minuten mit der fadenscheinigen Begründung angehängt, wegen des plötzlichen Unwetters sowieso nicht weg zu können. Er hatte nach unzähligen Versuchen endlich eine Zigarette anzünden können und wenigstens zur Hälfte rauchen können, ehe das Wasser sie in unzählige braune Fäden zerlegt hatte. Seine Hoffnung war einem dumpfem Zorn gewichen.

      Grotejohann hatte aus schmalen Augen versucht, die Regenwand zu durchdringen, die wehenden Büsche, den zuckenden Wald, die treibenden Wolken, das Blitzen und Glitzern des Wassers. Es war hoffnungslos gewesen. Kalte Schauer waren ihm über den Rücken gelaufen, er hatte die klammen Hände gegeneinandergeschlagen und sich in einem fort befohlen, ganz ruhig zu bleiben. Keine verdammte Schwuchtel lässt sich eine solche Geschichte einfallen, um dir eine Stange über den Schädel zu ziehen. Da muss einfach was dran sein und du musst, verflucht noch mal, einfach Geduld haben. Geduld, Geduld, Geduld! Er hatte die tröstliche Nähe des Baumstamms in seinem Rücken gespürt und sich wegen seiner Masse und seiner nahezu zwei Meter in einer nicht ganz hoffnungslosen Position gefunden. Nur dumm, dass er die versprochenen achttausend Euro Honorar in der zerweichten Hose hatte. Aber darauf hatte die Singstimme bestanden. Weitere achttausend und keinen Cent weniger, und Sie warten um genau Mitternacht da auf dem Parkplatz und kommen alleine. Dann laufen Sie zweimal quer über den Platz. Das will ich zu meiner Sicherheit. Denken Sie sich keine Tricks aus und halten Sie sich immer vor Augen, dass Sie eine solche Story niemals wiederkriegen: Fleisch für die Götter! Und was für ´n Fleisch, der echte Wahnsinn ist das! Und alles total belegt, kein Fake, verstehen Sie? Richtig gutes Material!«

      Grotejohann hatte gewartet und gefroren und geflucht, bis ihm klar geworden war, dass es keinen Sinn mehr machte. Entweder war er einem üblen Scherz aufgesessen oder dem Informanten war irgendetwas dazwischengekommen. Vielleicht das verdammte Wetter, das für einen August so ungewöhnlich wie ein Hitzestau im Januar war.

      Wie dumm, dass er das Geld mitgenommen hatte. Aber darauf hatte die der Typ bestanden. »Achttausend« Und Sie kommen alleine. Sie laufen zweimal über den Platz. Keine Tricks! Solch eine Story kriegen niemals wieder. Fleisch für die Götter! Und was für ´n Fleisch!«

      Grotejohann hatte gewartet und gefroren und geflucht, bis ihm klar geworden war, dass es keinen Sinn mehr machte.

      Auf dem Rückweg war ihm das Polizeiaufgebot aufgefallen. Und dann war er auf Reineking und dessen Brandopfer gestoßen. Ob es zwischen den beiden Sachen einen Zusammenhang gab?

      Das Telefon klingelte.

      »Ich habe Namen und Adresse des Taxifahrers, der den Blonden zu der Gurtner gefahren hat. Soll ich ihn befragen?«

      »Nicht telefonisch. Fahre mit ihm und versuche heraus zu finden, ob er unseren verwundeten Maschinenmenschen kennt. Wo er ihn abgeholt hat undsoweiter. Wahrscheinlich war das aber nur ein von Gewissenbissen geplagter Gerichtsvollzieher oder so.«

      »Erstens gibt ´s die nicht, zweitens, glaub ich, kommen die immer morgens. Also was soll ich tun?«

      »Ist die Denkmalgeschichte draußen?«

      »Seit langem.«

      »Okay, dann versuch es mit dem Taximenschen. Schaden kann es nicht.«

      Er legte auf. Die junge Frau in der etwa zwanzig Meter entfernten Küche aß das eilends Gekochte aus einem Plastikschälchen. Grotejohann zündete sich eine Zigarette an. Der reine Irrsinn, die Menschenopfer-Geschichte. Überhaupt Irrsinn, womit sich vernunftbegabte Wesen beschäftigten. Mit angeblich heilenden Steinen, Hexenpraktiken, Satanismus und Erleuchtung, es gab wenig, was die Leute ausließen, und alles, um die vermeintlich unausweichlich geschundene Seele wieder auf Vordermann zu bringen. Auch er sehnte sich danach, den letzten Bericht zu schreiben, sich nach Andalusien abzusetzen, wo er die verbleibenden Lebensjahre Bücher fabrizierend und zwanglos lebend zu verbringen gedachte. Ohne Stress, ohne Gejagtsein, mit kleinem Boot, süßer Freundin und Hund, ganz spießbürgerlich und vor allem in seliger Ruhe. Wenn dieser verdammte Deskin ihn nur nicht so elend auf den Topf gesetzt hätte!

      Er seufzte.

      Als Kind hatte er davon geträumt, als allseits bewunderter Starreporter durch die Welt zu reisen. Reporter war er auch geworden, aber über Westfalen war er nie weit hinausgekommen. Und mit der Bewunderung war es auch nicht so weit her. Journalisten, empfand er schmerzlich, standen in der Ansehensskala noch hinter den Müllwerkern. Nach einundzwanzig Jahren abhängiger Arbeit in Lokalredaktionen war der Traum von der großen weiten Welt einer immer nervigen Alltäglichkeit und dem Wunsch nach einem Zustand gewichen, in dem er wenigstens das Gefühl einer gerechteren Bezahlung haben konnte.

      Er nahm eine Veränderung wahr. Das Licht in der Küche war erloschen. Das Mädchen erschien im Wohnzimmer, machte sich am Fenster zu schaffen. Ein Lamellenvorhang fiel nach unten. Wenig später tanzten blaue Lichtreflexe auf den metallenen Fächern. Die Gurtner hatte es sich offensichtlich vor dem Fernseher bequem gemacht.

      Grotejohann gähnte und warf den Zigarettenrest auf den Parkplatz.

      Eine halbe Stunde noch, sagte er sich, dann verabschiedest du dich für heute. Er lehnte sich zurück und griff mit schlechtem Gewissen nach einer weiteren Zigarette.

      

      7

      Die Strecke über Bad Oeynhausen zu seinem Haus in Uffeln fuhr Reineking, ohne sich später daran erinnern zu können. Der Tag ließ sich nicht wie gewöhnlich abschalten, die Bilder blieben, die Gedanken, der Geruch des verbrannten Fleisches, die Kälte und Müdigkeit und ganz besonders die Vorstellung, wie das Opfer gelitten haben musste, als das Feuer es im wahrsten Sinne des Wortes bis auf einen kümmerlichen Rest verzehrte. Das Private wollte sich trotz der alltäglichen Rituale nicht einstellen, die Fantasie drängte die Objektivität des Kriminalisten vehement an den Rand, erzeugte Gefühl bewegende und schreckliche Bilder, die stärker als Routine und Abgebrühtheit waren.

      Magdalena, seine Tochter, hatte im Wohnzimmer die Rollos heruntergelassen. Das Signallämpchen des Anrufbeantworters schnitt rotleuchtend ins Dunkel. Reineking schaltete das Licht ein, kniff die Augen zusammen und entdeckte den linierten Zettel auf dem Fußboden.

      Drei rote Herzchen. IHDL.

      »Ich dich auch«, murmelte er und warf einen Blick auf ihr Foto, das in einem Fach des Bücherregals in Silber gerahmt stand und sie im Alter von neun Jahren mit langem blondem Haar und die Lippen wölbender Zahnspange zeigte. Ein trotziger Blick, vorgerecktes Kinn. Sie hatte geweint, erinnerte er sich, weil sie mit der verunstaltenden Zahnkorrektur nicht fotografiert werden wollte. Ihre Mutter hatte sie wie üblich bestochen und es wir haben uns geeinigt genannt, hatte mit der alten Pentax geknipst, weil Omi und Opa doch drauf warten und ich ihnen versprochen habe, dass sie regelmäßig die Bilder kriegen.

      Neben den drei Herzen befand sich ein dünner Pfeil. Reineking wendete den Zettel. Fein säuberlich waren Anschrift und Telefonnummer in Magdalenas zierlicher Schrift niedergeschrieben, darunter: »Ich rufe dich an, sobald wir eingetroffen sind, und denke mal darüber nach, was du heute beim Frühstück versäumt hast!!!«

      Er legte den Zettel neben das Telefon, drückte nach kurzem Zögern die Wiedergabetaste des Anrufbeantworters und hörte die beiden Nachrichten ab. Eine Saskia für Magdalena mit guten Grüßen für die Reise und ruf zurück, wenn du wieder im Lande bist, einer für ihn: »Hör zu, du Wichser, da läuft einer rum, der dir die Eier mit ´nem stumpfen Dolch abschneiden wird. Ort und Zeit bestimmen wir, du Drecksau, du dreckige!«

      »Du mich auch«, sagte Reineking und löschte die Meldungen. Drohanrufe nahm er schon seit langem nicht mehr ernst, obwohl es im Präsidium eine Vorschrift gab, jeden einzelnen aufzuzeichnen, und zwar mit der Begründung, das unter zehn Bluffern ein ernst zu nehmender Irrer sein könnte. Den heutigen ordnete er den Spinnern zu.