Pforte des Todes. Willi Voss

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Название Pforte des Todes
Автор произведения Willi Voss
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783967526769



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Wolken ragenden Schornsteinen. Wind zerrte an den Büschen im Garten. An der Wäscheleine schwang der blaurote Klammerbeutel neben flatternden Socken, die er als seine identifizierte.

      Er ließ den Bademantel im saunaartig aufgeheizten Badezimmer und stieg über die schmale Wendeltreppe ins großzügig ausgebaute Obergeschoss. Als er das ehemalige, seit dem tragischen Geschehen von ihm verschlossene Schlafzimmer passierte, beschlich ihn zum ersten Mal seit langer Zeit wieder das beklemmende Gefühl, von ihr aus wunden, anklagenden Augen beobachtet zu werden. Überdeutlich sah er ihr leidendes Gesicht, diese trotz der darin zuckenden Schmerzen wunderschöne Maske aus Schuld und Anklage, die - je mehr sich ihr Ende näherte - verschlossener wurde, wie ihre Sinne, wie ihr Körper, der selbst dann zusammen zuckte, wenn bei Tisch ein Glas oder ein Teller zu reichen war.

      Wie bei einem gefangenen Vogel begann dann ihr Herz zu rasen, die Halsschlagadern schlugen sichtbar unter der hektisch geröteten Haut, in die Augen trat dieses unstete Flackern, wie bei einem verzweifelten, in die Enge getriebenen Tier, das vergeblich einen Fluchtweg sucht. Nur das Korsett ihrer seit Kindesbeinen von strengen Eltern eingeübten Disziplin verhinderte den Ausbruch ihres seelischen Drucks, und das nur, weil Magdalena anwesend war. Dass sie ihn fürchtete, und dass er der Anlass ihrer Panikattacken war. Aus Gründen, die er sich nicht erklären konnte und die sie trotz häufiger Versuche nicht erklären wollte.

      Die ersten Anzeichen dieser Entwicklung waren etwa ein Jahr vor der Katastrophe aufgetreten, als sie nach Jahren fanatisch betriebener Selbsterfahrungsabenteuer, esoterischer Erkundungen und spiritueller Experimente zurück in den Schoß einer Kirche fand, die sich Der Hort der auserwählten Kinder Gottes nannte und die ihre als Bibelstunden bezeichneten Gottesdienste im Hinterhof einer Lackiererei abhielt. Für ihn war es nichts weiter als eine weitere Stufe auf der Treppe der Suche nach der mir innewohnenden göttlichen Kraft. So etwas wie die neue und endgültige Diät, die sie dauernd aus sportlichem Ehrgeiz oder spielerisch-ironisch probierte und mit der nicht nur die Pfunde, sondern auch die jung machende Gelassenheit des Seins erreicht werden konnte. Jedenfalls bis zur nächsten aus den Verlagshäusern heraus schwappenden und von ihr trotz ihrer spöttischen Kommentare sehr ernst genommenen Welle. Für seine attraktive und keinesfalls übergewichtige Frau war dieses Neue offenbar die Erfüllung, der Weg und das Ziel zugleich. Auf Kosten des Salzes in der Suppe, der bis dato ohne nennenswerte Krise geübten beständigen und bisweilen geradezu eruptiven Freude an der Sexualität.

      Mit ihr war es ein Abtauchen in die Welt der Schwerelosigkeit gewesen, immer wieder ein hemmungsfreier Rausch, ein Sichauflösen und ein Verschmelzen in einen Zustand seligmachender Lust, die ihre Grenze in der körperlichen Erschöpfung fand. Er hatte sich als Privilegierter gefühlt, angesichts der vielen ehegeschädigten Menschen in seinem Bekannten-, Kollegen- und Freundeskreis als Insel im Meer der Bitternis.

      Ihre ersten Verweigerungen hatte er mit größtem Verständnis und ohne Frage hingenommen, den späteren akzeptable Motive unterstellt und selbstverständlich die einer geliebten Frau gebührende Rücksicht genommen. Jedenfalls bis zu jenem Zeitpunkt, als ihm der Verdacht kam, dass zwischen ihrem ablehnenden Verhalten und ihrer intensiv gelebten Religiosität ein Zusammenhang bestand.

      Er hatte sie beobachtet, ihren oft abwesend erscheinenden Blick, jenes Insichgekehrtsein, das Bewegen ihrer Lippen, wenn sie sich alleine fühlte und ihren Gott anrief, der ihr Angst machte und der ihr dennoch näher als die Familie zu sein schien.

      Er litt wie unter heftigen Schlägen, wenn sie auf die Knie fiel und die Hände vor das freudlos gewordene Gesicht schlug und in leisen Tönen Gnade für Sünden erflehte, derer sie sich schuldig gemacht zu haben glaubte. Die ihr jedoch, dessen war er sicher, offensichtlich während der häufig besuchten Weihestunden indoktriniert worden waren. All das, was sie zuvor mit aus Liebe geborener Leidenschaft ausgelebt hatte, war für sie zum Albtraum geworden.

      Seinen Fragen begegnete sie mit einem bestimmten wissenden Lächeln, das, je tiefer sie sich in ihre Überzeugungen verstrickte, von höhnischen und bisweilen auch feindseligen Blicken begleitet war. Er hatte den sicheren Eindruck, als sei sie einer Gehirnwäsche unterzogen und auf seine Argumente sorgfältig vorbereitet worden. Sie befand sich in einer anderen Welt, die sie, ganz offensichtlich in der Furcht einer kommenden Strafe, hermetisch verschlossen hielt.

      Und er sah sich draußen, sah sich hilflos und unfähig, Zugang zu ihr zu finden, zu dieser Welt, die ihm nicht nur fremd, sondern unerklärlich war. Er lernte später von Psychologen und Sektenexperten, dass er alles, aber auch alles falsch gemacht hatte, aber auch, dass der Geist eines Menschen von einem Glaubenssystem in Haft genommen werden kann.

      Mit der gleichen Intensität und Bedingungslosigkeit, mit der sie ihre Sexualität gelebt hatte, stand sie zu ihrem Glauben. Insoweit, dachte er bitter, war sie sich bis zu ihrem fürchterlichen Ende an jenem so hoffnungsvollen letzten Tag des Jahres treu geblieben.

      Es war ein sonnendurchfluteter Tag mit klirrendem Frost gewesen, ein Tag, an dem schon am frühen Morgen von Kindern gezündete Knaller die Luft mit dem Geruch verbrannten Schießpulvers schwängerten und die Menschen vor den Getränkeoasen und den Kassen der Supermärkte Schlange standen, als wäre eine Krise ausgebrochen. Es war kurz nach Mittag, als seine Frau nach unten kam und ihn fragte, ob genügend Sekt für den Jahreswechsel im Hause wäre. Als er verneinte, hatte sie ihn um die Autoschlüssel gebeten. Sie war erst nach Einbruch der Dunkelheit zurückgekehrt, hatte die Flaschen in den Kühlschrank und ein Paket schwerer Böller ins Schlafzimmer geschlossen, offenbar, um zu verhindern, dass Magdalena darauf aufmerksam wurde. Sie war - da blitzte ihr früheres Wesen durch - vollkommen gelöst, als hätte es niemals einen Konflikt zwischen ihnen gegeben, hatte oft gelacht und ihn gebeten, eine der Flaschen zu öffnen.

      »Magdalena«, hatte sie gesagt, »bleibt bei den Haarmanns. Ich war drüben und habe Heidrun darum gebeten, um mit dir in Ruhe sprechen zu können, wenn du es denn über dich bringen könntest.«

      Er hatte ihr eingeschenkt, wortlos ihr schmales, zerquältes Gesicht betrachtet, die Augen, die einst so voller Feuer gewesen waren, hatte sich, von der Erinnerung an ihre explosiven Ausbrüche in höchsten Alarm versetzt, gefragt, welche Vorwürfe ihm nun wieder entgegen schlügen, bereit, sich ihnen entweder zu entziehen oder sie abzuwehren. Aber sie hatte in aller Ruhe getrunken, war dabei auf und ab gegangen, offensichtlich bemüht, die ihrem sicherlich sorgfältig vorbereitetem Konzept entsprechenden Worte zu finden, hatte schließlich von Monaten zugefügter Qualen und von ihrem Entschluss gesprochen, dieser Unerträglichkeit jetzt, da uns ein neues Jahr bevorsteht, ein Ende zu bereiten.

      Sie hatte verführerisch gelächelt, nach seiner Hand gegriffen, in den Augen jene Nachgiebigkeit, die ihn so sehr erregt hatte, wenn orgiastische Lust ihren Körper erzittern ließ. Trotz allen Verletztseins der letzten Monate hatte er ein Verlangen gespürt, dem er nicht hatte widerstehen können. Er war ihr ins Schlafzimmer gefolgt, hatte sich entkleiden lassen und sie nach einem langen Vorspiel heftig und rauschhaft geliebt, überwältigt von dem befreienden Gefühl, endlich dem zerstörerischen Albtraum entronnen zu sein.

      Sie war ermattet und wortlos liegen geblieben, hatte ihn aus großen und wie er glaubte, wieder erfüllten Augen angesehen, glücklich und ihrem Gefängnis entronnen. Vor Schwäche taumelnd war er ins Bad gegangen, hatte unter der rauschenden Dusche gestanden, als der ohrenbetäubende Doppelknall das Haus erschütterte.

      Vor Nässe triefend war er ins Schlafzimmer gerannt, hatte schon im Flur das verbrannte Sprengpulver gerochen, im beißenden Rauch das verspritzte Rot und Schwarz auf den Wänden, den Scheiben, dem Bett gesehen. Und dann seine Frau: Beide Hände zwischen den Beinen, das Gesicht vor Schmerz zerrissen, die Lippen zerbissen, die Augen qualvoll auf die Zimmerdecke gerichtet, während ihr Blut in heftigen Schüben aus ihrem Schoß auf das vom Feuer geschwärzte Laken schoss.

      Sie war vornübergefallen, in diesen See aus Blut, und in grotesker Weise wieder hoch gekommen, hatte ihn, als er nach ihr griff, trotz des unsäglichen Schmerzes triumphierend angesehen und war laut seufzend in sich zusammen gesunken.

      Er hatte nie erfahren, wer die Kollegen benachrichtigt hatte, ob er es selbst oder ein aufmerksamer Nachbar gewesen war, auch wusste er nicht mehr, was er nach dieser letzten Wahrnehmung unternommen hatte. Nur Schmerz war gewesen, in ihm, um ihn, in allem, das ihn umgab: Magdalena