Pforte des Todes. Willi Voss

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Название Pforte des Todes
Автор произведения Willi Voss
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783967526769



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sozusagen über Nacht die Rolle der bemühten Hausfrau erfüllt, sorgsam darauf bedacht, sich in Ausdruck und Erscheinung wie eine gestandene Erwachsene zu präsentieren.

      Viel zu spät und erst nach mehreren Psychologengesprächen war ihm aufgegangen, dass seine Tochter nach der langen Leidensphase die Rolle ihrer Mutter übernommen hatte. Es war eine Art von unbewusst vorgenommener Metamorphose gewesen, die glücklicherweise das Erwachen aus ihrer Lethargie eingeleitet hatte. Aber – und das beobachtete Reineking mit Sorge – Magdalena hatte sich einer freikirchlichen Gemeinschaft angeschlossen, die ein Gottesbild predigte, das angeblich frei von den Fesseln der Konfession sei. Glücklicherweise hatte das Mädchen ihre Fröhlichkeit behalten.

      »Papa, bist du eigentlich zufrieden mit dem, was du machst?«

      »Du stellst Fragen!«

      »Unser Pfarrer meinte, solch ein Beruf könnte leicht zur Sucht werden.«

      »Zur Leidenschaft.«

      »Er meinte, die Gefahr sei umso größer, je mehr man sich als Hüter des kollektiven Gewissens fühlt.«

      »Der Bursche hat zu viele schlechte Western gesehen.«

      »Er nannte das nicht überwundenen Jagdtrieb. Kommt besonders häufig bei Männern mit der Blutgruppe Null vor. - Welche Blutgruppe hast du?«

      »Weiß ich nicht.«

      »Gelogen.«

      »Okay, ich habe Null, aber ...«

      »Was nicht als Beweis, aber als bemerkenswertes Indiz gewertet werden kann, meinst du nicht auch?«

      »Wir reden darüber, wenn du zurück bist. Hab viel Spaß, erhole dich und gönne dir ein bisschen Spaß. Auch wegen der bösen Geister, du weißt schon.«

      »Mit Spaß hat die Freizeit nichts zu tun. Es geht um Glaubensfragen, über die auch du mal ernsthaft nachdenken solltest.«

      »Machen wir«, sagte Reineking und stöhnte innerlich.

      »Ich habe dich lieb, Herr Kommissar.«

      »Ich dich noch viel mehr.«

      »Das geht nicht.«

      »Doch, das geht. Bis bald, Liebes.«

      »Vermiss mich ein bisschen. «

      Er versprach es.

      »Die LKA-Götter lassen bitten«, sagte Wehner.

      Mit einem unguten Gefühl in der Magengegend ging er von Wehner begleitet über den Vorplatz, stieg die vielen Stufen zum Rundgang empor und erreichte den LKA-Bus, aus dem gedämpfte Musik erklang. Es roch noch immer nach verbranntem Fleisch.

      Senft, der Anführer der Götter, telefonierte im Fahrerhaus. Eigenbrodt, sein Assistent, rieb sich mit einem feuchten Tuch die Hände ab, blickte nur kurz auf, als er die beiden Mindener Kriminalisten entdeckte. Der dritte Beamte räumte pfeifend Kisten in den Wagen und war der einzige, der seine gute Laune nicht verloren zu haben schien.

      »Sie können stolz auf sich sein«, sagte Eigenbrodt verbiestert. »Ihre Nase ist mindestens so gut wie die unserer Apparate - die haben auch keine Brandbeschleuniger analysieren können.«

      »Ist das einer Ihrer Scherze?«

      »Leider nicht, eher ein Parallelfall zu Waterloo.«

      »Ihre Geräte sind fit?«

      »Dreimal geprüft - keine Frage.«

      »Dann müssen die Korken wohl in den Flaschen bleiben, was?«

      Eigenbrodt warf das Tuch angewidert in den Wagen und zeigte die noch feuchten Innenflächen seiner Hände.

      »Entweder war der Bursche - es war ein Mann, soviel haben wir feststellen können - ein Feuerschlucker, der noch ‚ne Ladung hochentzündlicher körpereigner Fette im Mund hatte, oder wir werden im Labor auf eine Finesse treffen, die, na ja, vielleicht gar nicht im Lehrbuch steht«.

      »Oder so simpel ist, dass wir rote Ohren kriegen«, rief Senft, der sein Telefongespräch beendet hatte und aus dem Bus stieg. Er reichte erst Wehner, dann Reineking die Hand, lachte auf und fügte hinzu: »Nur keine Panik, wir kriegen es heraus, was auch immer es gewesen ist.«

      »Haben Sie Anhaltspunkte, ob der Mann durch das Feuer zu Tode kam?«

      Eigenbrodt runzelte die Stirn.

      »Mein Kollege ist aufgrund des Gewebe- und Körpersaftzustands davon überzeugt, dass der Tod entweder sehr kurz vor dem Entzünden oder aber durch das Feuer selbst eingetreten ist.«

      »Es kann natürlich auch sein, dass hier eine Riesenschweinerei stattgefunden hat«, sagte Senft, »eine Perversion, die ich nicht denken will, aber denken muss: Als äußerst wahrscheinlich ist anzunehmen, dass der Körper vom Kopf aus verbrannt ist. Die Spuren ergeben, dass der arme Hund sich bewegt, also möglicherweise gewehrt hat. Damit dürfte klar sein, dass er durch den Brand umgekommen ist.«

      »Freitod durch Selbstverbrennung schließt sich demnach aus?«

      »Was schließt sich bei einem solchen Fall schon aus?«

      »Ich meine, ja«, warf Eigenbrodt ein, »und zwar deshalb, weil die Voraussetzungen dazu fehlen. Wer sich selbst anzündet, muss Zünd- und Brennmittel hinterlassen, es müssen Spuren davon zurückbleiben, also auch feststellbar sein.«

      »Die vorgefundenen Gegenstände scheinen keinen Bezug zum Tathergang zu haben«, fügte Senft hinzu. »Wir konnten leider keinen her- oder ableiten.«

      »Ein weiterer Punkt«, fuhr Eigenbrodt fort, »wäre das Brandmittel. Es hätten sich Spuren in einem wahrscheinlichen Umkreis finden lassen müssen. Gab es aber nicht. Die Frage ist: Konnten wir nichts feststellen, weil es sich um nicht Nachweisbares handelt oder ging es nicht, weil keine Spuren vorhanden waren? Selbstverbrennung ist sowieso solch eine Sache. Ob sich der Körper überhaupt entzündet und wenn, wie weit er herunterbrennt. – Wir haben keine Antwort. Ich habe noch keinen Fall erlebt, der eine solche vernichtende Wirkung hinterließ. Und auch in der Literatur muss man lange blättern, bis man Derartiges nachlesen kann. Um es prosaisch auszudrücken: Obwohl ausgerechnet jetzt die Sonne scheint, stehen wir mitten im Regen.«

      Senft lächelte, aber in einer Weise, die auch seine Verzweiflung erkennen ließen.

      »Wir sind einer Meinung, Günter«, sagte er, »nur müssen wir die Laborergebnisse in Händen halten, ehe wir Weiteres sagen können. Jetzt aufgrund der wenigen greifbaren Anhaltspunkte zu spekulieren, verbietet sich von selbst. Ihnen, Herr Reineking, kann ich nur empfehlen, das Gelände gründlichst nach Utensilien abzusuchen, die zum Zündeln und Totmachen geeignet sind.«

      Reineking fürchtete, dass das zur Plauderei verkommene Gespräch sich sehr bald auch noch erschöpfen und sein Gefühl der Hilflosigkeit verstärken würde. Bestätigt fühlte er sich in seinem Anfangsverdacht, es bei dieser Sache mit einem außergewöhnlichen Fall zu tun zu haben, vielleicht sogar mit einem, der einige Nummern zu groß für ihn und die Abteilung Todesermittlungen im Kriminalkommissariat 11 war.

      »Danke für den Ratschlag«, sagte er.

      »Wenn Sie Pech haben, werden Sie noch eine ganze Reihe brauchen.«

      Die Augen schimmerten zwar nicht feucht, aber der Abschied war im Gegensatz zur Ankunft geradezu rührend, fand Reineking. Senft faltete die Hände und verbeugte sich sanft lächelnd mit der gekonnten Grazie einer zwar noch übenden, aber schon mit allen Finessen der Zeremonie vertrauten Geisha.

      »Richtig nette Jungens«, sagte Wehner, als der Bus abfuhr.«

      »Na ja ...«

      »Wer so jung und schon Rat ist, kann sich das Nett sein erlauben.«

      »Du bist doch nicht etwa neidisch?«

      »Ich frag mich, was die machen, wenn sie mal fünfzig sind. Dann stehen die vor einem Riesenproblem.«

      »Ach ja?«

      »Dann