Pforte des Todes. Willi Voss

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Название Pforte des Todes
Автор произведения Willi Voss
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783967526769



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geängstigt«, sagte er, als er das Auto erreichte und sich auf den Beifahrersitz fallen ließ.

      »Angst hatte ich schon«, gestand das Mädchen mit flacher Stimme.

      »Kein Verbrecher ist so dumm, nachts im Wald auf Beutezug zu gehen«, sagte Jakob. »Außerdem stehen wir, wie du weißt, unter besonderem Schutz. - Hast du je von dem da-Vercelli-Protokoll gehört?«

      Sie schüttelte den Kopf.

      »Ich werde dir davon erzählen. Aber fahre bitte.«

      »Zurück zu Ihnen?«

      »Nur bis Bad Oeynhausen«, sagte er und warf Taschenlampe und Brecheisen auf den Wagenboden.

      Magdalena startete den Motor, setzte zurück und fuhr an.

      »Er war Notar, dieser Sicci da Vercelli«, sagte Jakob leise. »Notar eines Ordens, der in Jerusalem begründet worden war und zu jener Zeit schwere Zeiten zu durchstehen hatte. Geschrieben wurde das Jahr 1311 und es war der 1. März, als da Vercelli seine durch Folter und Todesdrohung erzwungene Aussage machte. Dabei ging es um ein vermeintliches oder tatsächliches Geschehen in einem Ort, der auch heute noch Sidon heißt. Er berichtete, in dieser Stadt habe ein Adliger, ein Ritter gelebt, der sich unsterblich in die Frau eines Armeniers verliebt habe. Niemals, das ist sicher, sei er mit ihr zusammen gewesen, erst als sie gestorben war, habe er sie in ihrem Grab besucht und … Nun, er hat sich an ihr vergangen ... Nach dem er es getan hatte, hörte er über sich eine Stimme. ‚Komm wieder‘, befahl sie ihm, `wenn die Stunde der Geburt gekommen ist. Dann wirst du die Frucht deines Werkes vorfinden. ´«

      »Das ist grässlich«, sagte Magdalena und schauderte.

      »Der Ritter«, fuhr Jakob wie in Trance fort, »kam wie verlangt an das Grab zurück. Er öffnete es und er fand zwischen den Schenkeln der Frau einen Kopf. Die Stimme erklang wieder. ´Nehme diesen Kopf und hüte ihn. Er wird dir alles in dieser Welt dienstbar machen´.«

      »Und das soll wirklich geschehen sein?«

      Jakob berührte Magdalenas Haar.

      »Es ist eine Legende«, sagte er gegen das Dröhnen des wieder anfahrenden Wagens, »eine Geschichte, die von Inquisitoren im Jahre 1311 für eine Anklage gegen den Templerorden protokolliert worden ist, um zu beweisen, dass die Männer des besagten Ordens mit dem Teufel im Bunde standen und ihre Macht genau diesem zu verdanken hatten.«

      »Welch ein Unsinn!«

      »Ja, vielleicht«, sagte Jakob und lehnte sich erschöpft zurück.

      

      3

      Wehner behauptete später, Reineking habe mindestens zwei Stunden auf der Seitenbank des Einsatzwagens gelegen, habe hin und wieder geröchelt und kurz vor dem Erwachen ein wirres Referat über die Logik der Gewalt gehalten. Reineking selbst hatte das Gefühl, noch nicht mal eingenickt, am Rande des Dahindämmerns und dennoch inmitten des Geschehens gewesen zu sein, alle Geräusche wahrgenommen zu haben, auch jene, die sein Kopf produziert hatte.

      »Dr. von Vennebeck hat angerufen«, sagte der Kollege, dessen Augen dunkel unterlaufen waren. »Er wollte wissen, wie sich die Sache entwickelt hat.«

      »Und?«

      »Ich habe ihm gesagt, was er sowieso schon wusste. Mehr ist ja nicht. Du sollst ihn auf jeden Fall anrufen

      »Wieso, wenn er schon alles weiß?«

      »Keine Ahnung. Wahrscheinlich haben seine Denkmalsfreunde ihn unter Druck gesetzt und er will die Untersuchung beenden.«

      Reineking gähnte.

      »Die LKA-Giganten haben auch eingepackt«, sagte Wehner nicht ohne Häme, »ziemlich frustriert, wenn du mich fragst. Ich wette, die haben mit ihrer Wahnsinnsapparatur auch nicht mehr herausgefunden als wir.«

      Damit angerückt waren sie jedenfalls. In schnieken Anzügen und sehr von sich überzeugt. Auf Reinekings Hinweis, keine Brandhilfsmittel gefunden zu haben, hatten sie ihn belächelt und ihm einen Vortrag über physikalische Gesetze gehalten. Wahrscheinlich war das ihre Art, ihm mitzuteilen, dass sie ihn für einen Deppen hielten.

      »Gibt es hier irgendwo Kaffee?«

      »Ich habe schon danach geschickt.«

      »Mein Gott, bin ich daneben!«, stöhnte Reineking. »Wie spät?«

      »Kurz vor elf.«

      »Hat die Nachsuche was gebracht?«

      »Ich habe kein Freudengeheul gehört. Wenn du mich fragst, haken wir die Geschichte bald als Müllsammelaktion und dann als Unfall oder Selbstmord ab.«

      »Den Dicken würd ‚s freuen, ich warte lieber auf den Spruch der LKA-Götter.«

      Reineking brauchte gute zehn Minuten, eine halbe Flasche Wasser, mehrere der Sparkaffees und gegen den pelzig-bitteren Mundgeschmack ein Pfefferminz, ehe er wieder einigermaßen aufnahmefähig war. Er streckte die vom ungemütlichen Liegen schmerzenden Glieder, zündete sich eine Zigarette an und freute sich über den ersten zaghaften Sonnenstrahl, der den schwarzgrauen Himmel marmorierte. Selbst der Bronzekaiser schien die Heiterkeit des Seins entdeckt zu haben, obwohl er vom Bauch abwärts in feinem Dunst badete.

      Es war feucht und warm, und die Luft, den ganzen Tag über von böigen Winden bewegt, war so lau, dass noch nicht mal das Laub der Bäume raschelte. In den Pfützen spiegelte sich der Himmel. Das jetzt freundlicher wirkende Gemäuer des gewaltigen Bauwerks, auf dem, erst kürzlich durch Sandstrahlen aufgefrischt, »Wilhelm der Große« in imperialer Fraktur zwischen zwei imponierenden Reichsadler-Wappen eingemeißelt war, erstrahlte in imposanter Pracht.

      Reinekings Handy klingelte.

      »Endlich!«, hörte er die erleichterte Stimme seiner Tochter. »Im Dienst haben sie nicht sagen wollen, wo ich dich finden könnte. Du meine Güte, ich bin schon vor Hamburg, und die Finger, die habe mir auch wund telefoniert!«

      »Tut mir leid.«

      »Mir auch. Besonders wegen des guten Frühstücks, das ich uns gemacht habe. Du hättest mir wenigstens Bescheid sagen können!«

      »Ich habe dir eine Nachricht auf das Nachtkästchen gelegt.«

      »Du hättest mich wecken können.«

      »Dann wärst du nicht wieder eingeschlafen.«

      »Danke für deine Fürsorge.«

      »Wann kommst du zurück?«

      »Die Freizeit dauert drei Tage. Wenn also nichts dazwischenkommt, am Wochenende.«

      »Kommt was dazwischen?«

      »Werde ich mir noch überlegen«, sagte Magdalena kühl und schaltete ab.

      »Mann, Mädchen!«, stieß Reineking enttäuscht hervor. Er rückte die grüne Taste seines Geräts, suchte Magdalenas Nummer und wartete ungeduldig auf das Freizeichen.

      Wie so viele Menschen, die mit praktischen Dingen zu tun haben und sich als nüchtern und aufgeklärt betrachten, war auch Reineking nicht frei von Ritualen, die er selbst bei näherem Betrachten als abergläubische Relikte definiert hätte. Er war überzeugt, Unglück heraufzubeschwören, sollte es ihm nicht gelingen, seine Tochter zu erreichen und ihre Missstimmung zu beseitigen. Wehner winkte ihm.

      Reineking hob abwehrend die linke Hand. »Gleich«, sagte er. Seine Unruhe wuchs. Bitte, Mädchen, rief er seiner Tochter in Gedanken zu, heb doch endlich ab!

      Endlich meldete sie sich.

      »Entschuldige, das war dumm«, sagte sie. »Aber manchmal behandelst du mich wirklich wie ein Kind.«

      »Tut mir leid.«

      Früher hatte sie aus solchen Situationen Kapital, ein Geschenk, einen Kino- oder Diskobesuch herausgeschlagen und ihm als Gegenleistung ein nicht von Gewissensbissen freies, aber tröstliches Alibi geboten. Seit