Pforte des Todes. Willi Voss

Читать онлайн.
Название Pforte des Todes
Автор произведения Willi Voss
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783967526769



Скачать книгу

und auf das Arbeitszimmer zu. In brutaler Klarheit stürzten nicht nur die Bilder des Überfalls auf ihn ein. Er erinnerte sich der ängstlichen Augen, sah dahinter den Mann, dem sie gehörten und wusste mit instinktiver Sicherheit dessen Absichten.

      Er stieß die Tür auf, roch, noch ehe er das Arbeitszimmer betrat, den Gestank verschmorter Kabel und bemerkte den offenen Wandsafe.

      Die Wertpapiere, auch die Schatulle, in der er antike Münzen aufbewahrte, waren vorhanden, doch der schwere Schlüssel für die Bergkapelle und das kostbare Medaillon fehlten.

      Sein Magen rebellierte. Er fiel nach vorne, barg das nasse, heiße Gesicht in den Händen, spürte Hitze Kälte und die Wand zugleich und hatte das sichere Gefühl, eine Hand würde ihn greifen und hinabziehen in einen Schlund, die ihn wegen seines Versagens niemals mehr loslassen würde.

      Kein Zweifel: Nur Deskin konnte den Kapellenschlüssel und das Medaillon an sich genommen haben. Deskin, ein erst seit wenigen Monaten zum Tempel gehörendes Mitglied, hatte nach der Abendandacht offensichtlich das Verlassen des Hauses vorgetäuscht. Er hatte sich - die Abdrücke seiner Sportschuhe waren auf dem Wannenboden abgedrückt - im Gästebadezimmer versteckt und abgewartet, bis im schräg gegenüber liegenden Andachtsraum Ruhe eingekehrt war. Er hatte sich mit der Dämonenmaske getarnt und mit dem fürchterlichen Knüppel zugeschlagen, als er, Jakob, die Garage in Richtung Wohnbereich verlassen hatte. Deskin hatte die Zeit der Bewusstlosigkeit ausgenutzt, um sich in das Arbeitszimmer zu schleichen und den Safe zu öffnen, in dem er das unersetzliche Medaillon wusste.

      Jakob presste den Kopf gegen den Spiegel, spürte das kalte Glas auf der Stirn und hoffte, der stechende Kopfschmerz werde sich nach Einnahme der beiden Tabletten rasch verflüchtigen. Er tastete nach dem Wasserhahn, öffnete ihn und ließ kaltes Wasser über seine Handgelenke laufen. Seine Lippen formten Worte, ein Gebet, mit dem er um Kraft flehte, um sich auf die Suche nach dem Verbrecher machen zu können.

      Tastend, als befände er sich am Rande eines Abgrundes, bewegte er sich in den Flur, ins Arbeitszimmer und stützte sich dort auf dem Schreibtisch ab. Er nahm den Hörer von der Gabel und wählte. Vierzehn Mal erklang das Freizeichen, bis sich eine verschlafene Mädchenstimme mit einem nörgelnden »bei Deskin« meldete.

      »Ist Florian zu sprechen?«

      »Wissen Sie, wie spät es ist?«

      »Entschuldigung, aber ich muss ihn unbedingt erreichen!«

      »Er ist aber nicht hier. Er musste was erledigen. Was, hat er nicht gesagt.«

      »Wo kann ich ihn finden?«

      »Das hat er mir nicht gesagt. Er hatte eine Verabredung, mit jemandem von der Presse und sagte, es werde sehr spät werden.«

      Jakob legte auf. Der offene Safe fiel in seinen Blick. Allmächtiger, lass diesen Kelch an mir vorüber gehen! Er rieb sich das glatte Kinn. Die Haut brannte. Gib mir Kraft, gib mir Kraft! Er tastete nach seinem Hals, der noch immer wie Feuer brannte und die ihn daran erinnerte, dass er seine Kräfte schonen musste. Aber das zählte nicht, es zählte, dass Judas Deskin Verrat geübt hatte und, wenn er den Hinweis des Mädchens richtig deutete, sein Wissen zu verkaufen gedachte.

      Jakob schob sich hinter den Schreibtisch, öffnete die oberste Schublade des Rollcontainers, tastete mit den Händen darin herum, bis er den kühlen Stahl eines Skalpells spürte. Er zog es heraus und steckte es ein. Er nahm die Schlüssel und verließ noch immer schwankend das Zimmer. Im lang gestreckten Flur prallte er gegen die Garderobe. Schmerz durchraste ihn. Er stützte sich an der Wand ab und schüttelte sich. Verzweiflung bemächtigte sich seiner. Er wusste, dass er es nicht alleine schaffen konnte. Schon das Autofahren war unter solchen Vorzeichen mehr als fahrlässig.

      Er atmete schwer, schob sich, die Flurwand als Hilfe nutzend, ins Arbeitszimmer zurück und ließ sich hinter den Schreibtisch fallen. Er zog das Telefon an sich heran und wählte.

      »Magdalena«, sagte er, als die junge Stimme sich meldete, »du weißt, dass ich dich niemals um etwas bitten würde, wenn es nicht unbedingt notwendig wäre, aber heute brauche ich dich. Kannst du bitte zu mir kommen?«

      »Wird es lange dauern?«

      »Ich möchte, dass Du mich fährst, und wie lange es dauern wird, kann ich noch nicht sagen.«

      »Es ist, weil ich morgen früh die Reise antrete.«

      »Was heißt früh?«

      »Um acht.«

      »Dann bist du längst wieder zu Hause. Kommst du?«

      »In den Tempel?«

      »Nein, nach nebenan«, sagte er. »Und beeile dich bitte.«

      Sie versprach es.

      

      1

      Irgendein Mitarbeiter hatte aus einem der Dienstfahrzeuge einen Klappstuhl herbeigeschafft, den Oberstaatsanwalt von Vennebeck ohne Dank, aber mit großer Skepsis auf seine Festigkeit prüfte und seufzend okkupierte. Er ließ sich von seiner Begleiterin eine Zigarre reichen und zündete sie an.

      »Sonderbar«, sagte er, an Hautkommissar Reineking vorbei blickend, »finde ich lediglich Ihre ausgesprochen rege Fantasie, die diesem Fall eine ihm nicht zugehörige Dimension verleiht. Ihnen sind hoffentlich die hier am so genannten Baldachin aufgestellten Baugerüste nicht entgangen, Herr Hauptkommissar, nicht wahr?«

      Er deutete auf den mächtigen steinernen Überbau, der die Kaiserskulptur schützte.

      »Nein, auch die Absperrungen nicht. Wir haben sie mühsam wegräumen müssen.«

      »Ein reiner Schreibtischjob wäre ihnen auch nicht recht, denke ich. Aber kommen wir zur Sache.« Von Vennebeck sog an der Zigarre. »Seit etwa fünf Jahren wird dieses famose Bauwerk - ich darf mich als Mitglied des unterstützenden Vereins outen - unter großen Opfern und leider nicht so üppigen Spenden vom Land Nordrhein-Westfalen und dem Landschaftsverband Westfalen-Lippe renoviert. Auf den Gerüsten werden Sie Spuren von Wesen finden, die gewöhnlich weiße oder blaue Arbeitskleidung tragen und genau das tun, für das sie bezahlt werden: Die Schäden beseitigen, die im Laufe des letzten Jahrhunderts - es gab zwei dicke Kriege und ein Wirtschaftswunder, wie Sie sich erinnern werden - entstanden sind. Meine bescheidene, aber ich denke hinreichend begründete Frage: Haben Sie die Möglichkeit, um nicht zu sagen Wahrscheinlichkeit in Betracht gezogen, dieses Bein könnte zu einem der auf diesen Gerüsten tätigen Handwerker gehören?«

      Der Rauch der Sumatra wölkte in die Nacht. Reineking hob leicht irritiert die Hände.

      »Selbstverständlich werden wir im Bereich der hier tätigen Firmen nach abgängigen Personen ermitteln. Die Frage der Identifizierung ist es jedoch nicht, die mich bedrückt ...«

      »Ist es Ihnen zu einfach, wenn sich herausstellt, dass da ein bemitleidenswerter Mensch, der wahrscheinlich drei schreiende Kinder und eine trauernde Witwe hinterlässt, vom Gerüst gefallen ist?«

      »Danach sieht es nicht aus.«

      »Wonach denn?«

      »Es war kein Sturz, soviel ist sicher.«

      Die Zigarre stieß auf Reineking zu.

      »Und was, bittschön, ließ sich feststellen?«

      »Nichts«, sagte Reineking. »Das ist unser Problem.«

      Von Vennebeck hielt den Atem an. Seine Lippen wurden schmal. Die rechte Hand mit drohend ausgestrecktem Zeigefinger stieß auf den Polizisten zu. Termöhlen grinste.

      »Um dieser weltbewegenden Erkenntnis willen, wollen Sie sagen, haben Sie mich aus dem wohlverdienten Schlaf geholt?«

      »Ich habe nicht Sie, ich habe den diensttuenden Staatsanwalt angefordert. Und das, weil wir hier mit unseren Mitteln nicht weiterkommen.«

      »Was soll ich Ihnen denn zaubern? Die Lösung des Falles?«

      »Ach, hören Sie mit dem