Es war ein reiches Leben. Arthur Ernest Wilder-Smith

Читать онлайн.
Название Es war ein reiches Leben
Автор произведения Arthur Ernest Wilder-Smith
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783958932708



Скачать книгу

Zehnte in natura eingezogen – der Pfarrer hatte seine eigene Scheune, wo er seinen Weizen, die Kartoffeln, das Stroh etc. unterbrachte. In späteren Jahren wollte der Pfarrer nichts mehr in Naturalien annehmen und verlangte den Gegenwert in Bargeld. So wurde des Pfarrers Arbeit erleichtert. Aber es gibt immer noch überall in England alte Scheunen bei dem Pfarrhaus, die heute für andere Zwecke benutzt werden – als Tanzhallen zum Beispiel.

      Ganz gleich ob der Landbesitzer sich zur anglikanischen Kirche bekannte oder nicht: Die Tatsache, dass er ein gewisses Stück Land besaß, verpflichtete ihn zur Entrichtung des Zehnten an die anglikanische Kirche.

      Oft besaßen Methodisten, Freikirchler und sogar Atheisten Land, das sie dann verpflichtete, den Zehnten an die anglikanische Kirche zu entrichten. Dadurch gab es sehr viel Ärger. Die anglikanische Kirche ist enorm reich und besitzt oder besaß viele Bergwerke und große Elendsviertel in London und anderen Städten.

      Solange man Geld leicht verdient, zahlen die meisten Leute – auch wenn es sich um ungerechte Angelegenheiten handelt. Als aber die große Depression 1929 heranrückte, wodurch die Farmer und andere Landbesitzer „knapp bei Kasse“ waren, fing man an, diese kirchliche Steuer nicht mehr entrichten zu wollen. Die Farmer mussten Landknechte entlassen, weil sie nicht über das Geld verfügten, ihre Löhne nebst dem Zehnten zu bezahlen. Wenn es hieß, entweder „John“ und „Harry“ zu entlassen oder den Zehnten abzugeben, weigerten sich viele Farmer, das Geld an die Kirche zu bezahlen.

      Die anglikanischen Kirchen waren sowieso überall fast leer – Gottesdienstbesucher bestanden oft aus dem guten Pfarrer, dem Organisten und dem Kirchendiener. Die Predigten dauerten höchstens zehn Minuten der Pfarrer war meist liberal – dafür hatten die theologischen Fakultäten der Universitäten, vornehmlich Oxford und Cambridge, gesorgt. Die Kirchen liberaler Pfarrer waren und sind noch meist leer, und das war auch in unserer Gegend der Fall.

      2. Die große Depression 19291932

      Jeden Tag zogen arbeitslose, vom britischen Heer entlassene junge Männer an unserer Farm vorbei. Oft liefen täglich durch unsere Ortschaft 100–200 junge heruntergekommene Männer und bettelten uns an. Sie liefen von einem „Workhouse“ zum anderen, um ein Bett für die Nacht zu finden. Ein „Workhouse“ war ein Heim für arbeitslose Menschen, die obdachlos waren. Sie mussten ein Pensum an Arbeit leisten – Garten umgraben oder Unkraut jäten; dafür bekamen sie ein Essen und ein Bett für die Nacht. Alles war sehr primitiv, aber besser, als im Straßengraben zu schlafen. Vater hatte kein Geld zum Verschenken – wenn man ihnen Geld gab, verschwendeten sie es oft für Alkohol, was verständlich war, denn sie wollten ihr Elend eine Zeit lang vergessen. Es handelte sich meist um junge Männer, die im Ersten Weltkrieg für England gekämpft und ihr Leben aufs Spiel gesetzt hatten. Solche entlassenen Soldaten waren oft bitter gegen den Staat und die Gesellschaft im Allgemeinen, weil sie so schlecht behandelt wurden. So gab ihnen mein Vater, wo er nur konnte, kurzfristige Arbeit, Essen und ein Bett für die Nacht, wofür die meisten dankbar waren.

      Mein Vater stand auf dem Standpunkt, dass die anglikanische Kirche eine tote Organisation sei, die für ihren Leerlauf viel zu viel Geld schluckte. Er hatte bestimmt nicht Unrecht, und als er aufgefordert wurde, den Zehnten zu bezahlen, erklärte Vater, dass er lieber diesen armen Arbeitslosen als der Kirche helfen würde. Meine Mutter als gläubige Frau, die eine praktizierende Christin war, schwebte also zwischen zwei Loyalitäten. Sie war aber gerecht, sah, dass die Kirche für den wahren Glauben ein direktes Hindernis darstellte – und unterstützte Vater. Wir Kinder waren natürlich gleicher Meinung, denn wie sollte ein Pfarrer, der oft das nicht glaubte und auch nicht vorlebte, was er bloß um des Geldes willen predigte, armen Arbeitslosen das Essen aus dem Mund nehmen? Nun, Vater und viele andere benachbarte Farmer bezahlten den Zehnten einfach nicht. Die Konsequenz war vorauszusehen.

      Die Kirche musste für die Gehälter der Pfarrer aufkommen, sonst mussten sie und ihre Familien auch hungern! Die reichste und begütertste Kirche des Landes brauchte also Geld und schickte prompt den örtlichen Versteigerer (Betreibungsbeamten) mit der kirchlichen Behörde in jedes Haus, um den Zehnten mit der Gewalt des Gesetzes zu holen. Sie bekamen aber kein Geld, nichts war vorhanden. Daraufhin wurden die Möbel, die Betten, die Tische, das Besteck – kurzum alles, was die Familie besaß – öffentlich versteigert.

      3. Versteigerungen

      Am festgelegten Tag kamen die Farmer und das Publikum in unser Haus, um zu erkunden, was diese inzwischen verhasst gewordene Kirche im Namen Christi unternehmen würde. Der Versteigerer pries zuerst etwa den Küchentisch an und sagte, dass er etwa 30 DM wert sei. Er bat dann um feste Angebote. Es folgte eine tödliche Stille. Niemand machte irgendein Angebot, denn die anwesenden Farmer waren unsere Freunde aus benachbarten Gütern, die später am gleichen Tag an die Reihe kommen würden, weil auch sie ihren Zehnten nicht bezahlt hatten. Daraufhin drängte der Versteigerer auf Angebote. Ein Farmer bemerkte dann spöttisch, dass der Tisch einen Kratzer in der Mitte aufwies, der Preis sei zu hoch!

      „Was bieten Sie mir dafür?“, fragte der Versteigerer verärgert. „Höchstens einen Pfennig“, antwortete der Farmer mit sehr ernster Miene.

      „Aber der Tisch ist doch gut“, antwortete der Beamte, „weitere, aber bitte seriöse Angebote?“

      Wieder trat tödliche Stille ein. Einige Gesichter wiesen ein leichtes Grinsen auf.

      „Ja“, äußerte sich nach einer Weile ein anderer Farmer, „der Kratzer ist doch schwerwiegend, ich biete zwei Pfennige. Ich verdoppele das Angebot, was Sie als seriös anerkennen müssen, Herr Versteigerer.“

      Letzten Endes erhielt der arme, aber harte Versteigerer drei Pfennige für den Küchentisch. Der Farmer bezahlte feierlich auf der Stelle den Betrag, bestand auf eine amtliche Quittung, dass der Tisch ihm jetzt zur freien Verfügung gehöre. Dann schritt er feierlich zu meiner Mutter und schenkte ihr zur freien Verfügung ihren schönen Küchentisch.

      So ging die ganze Truppe durch das Haus und versteigerte alles, was wir im Haus hatten – Stühle, Besteck, Vorhänge, Teppiche, Tassen, Teller und Uhren. Auch Betten und Bettleinen wurden nicht verschont. Im Laufe dieser Arbeit wurden die Gesichter immer fröhlicher – aber das Gesicht des Versteigerers wurde immer dunkler. Mit solcher Solidarität hatten er und die Kirche nicht gerechnet – dass die Farmer die Quittung den ursprünglichen Besitzern zurückgeben und voneinander in der Notlage nicht profitieren wollten. Er kassierte an diesem Nachmittag vielleicht zwei oder drei Reichsmark für unseren ganzen Haushalt.

      Aber wer zuletzt lacht, lacht am besten, sagt ein Sprichwort. Und so war es an diesem Nachmittag. Als die ganze Truppe des Versteigerers aus dem Haus über den Hof ging, um Vaters Auto zu versteigern, entstand plötzlich ein riesiger Tumult. Die jungen Männer sprangen entsetzt über die Zäune, die Damen schrien laut auf, und der Versteigerer flüchtete mit einem Sprung in die obere Scheune – vier bis fünf Sprossen auf einmal die Leiter hinauf. Warum aber dieser Tumult, das plötzliche Geschrei und diese Hast? Solche Agilität sieht man doch recht selten bei einem Beamten, der sich seiner Würde immer sehr bewusst ist! Es dauerte gar nicht lange, bis man die Ursache dieses buchstäblich sprunghaften Benehmens des Staatsbeamten und seiner Gefolgschaft erkannte; denn der Bulle aus dem Stall, Kopf nach unten und Schwanz wie eine Fahnenstange nach oben, raste auf die Gruppe zu! Ein Farmer, ein guter Freund von uns, hatte einen starken Sinn für groben Humor und war unbemerkt in den Stall geschlichen. Dort hatte er unseren bösen, wilden Bullen losgebunden. Nie war das unserem Bullen je passiert, dass er frei herumlaufen durfte! Man führte ihn immer an einer Kette und einem Stab durch den Nasenring umher. Sich seiner neu gefundenen Freiheit freuend, raste er auf den Versteigerer und seine Gruppe zu. Im Bruchteil einer Sekunde verschwanden alle Menschen; und der Farmer, der sich diesen Spaß erlaubt hatte, zeigte sich grinsend auf der anderen Seite des Hoftores – selbst in absoluter Sicherheit.

      Der Versteigerer konnte aus seinem Versteck im Heuboden der Scheune nicht herunterkommen, um Vaters Auto zu versteigern. Er musste kläglich dort oben warten, bis wir den Schweizer gefunden hatten, den der Bulle kannte und dem er auch gehorchte. Eine Zeit lang ließ sich aber dieser Schweizer nicht finden. Merkwürdig! Dann kam er ganz gelassen aus einer anderen Scheune herausgeschlendert, ging langsam auf den Bullen zu und legte den Stab an seinen Nasenring, während er beruhigend zu diesem gefährlichen