Es war ein reiches Leben. Arthur Ernest Wilder-Smith

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Название Es war ein reiches Leben
Автор произведения Arthur Ernest Wilder-Smith
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783958932708



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Mr. James vorbei. Mr. James war der Bahnhofsvorsteher, ein lieber Mann, der mit meinem Vater gut befreundet war. Aber er besaß ein Telefon! Seine Nummer war Cholsey 1 und unsere Nummer war Cholsey 2 – also nicht leicht zu verwechseln. Als wir bereits viele Runden gedreht hatten, fiel uns plötzlich ein, dass Mr. James uns vielleicht beobachtet hatte. Wir hatten ihn zwar nicht gesehen, aber er kannte uns gut – und auch Vaters Bentley. Vielleicht hatte Mr. James sein Telefon sogar benutzt! Vielleicht wusste Vater schon alles! Also mit Vollgas zum Gut zurück! Durch den Haupteingang des Gutes – gut bewältigt, obwohl die Kissen zu rutschen drohten. In die Garage – sehr knapp, die Garage war für ein so großes Auto etwas schmal, aber wie ein Kamel durch das Nadelöhr kamen wir gut hinein. Tore zu. Hängeschloss liegen lassen, wie es war! Ins Haus geschlichen, Hintertreppe hinauf in unser Zimmer. Nach etwa zehn Minuten rief Mutter zum Abendessen hinunter.

      „Nein, Mutter, wir haben keinen Hunger. Wir haben Hausaufgaben, die bis morgen erledigt sein müssen.“

      In Wirklichkeit wollten wir natürlich unserem Vater nicht begegnen, denn vielleicht wusste er es schon – und sagte nichts. Vater konnte sehr schweigsam sein und lange Zeit kein Wort sagen. Aber anders als bei anderen Menschen/Vätern, nahm sein Zorn mit der Zeit nicht ab.

      „Vielleicht weiß er alles, sagt aber nichts. Und wenn es dann herauskommt, wird er um so schlimmer reagieren, je länger wir warten! Also Vater meiden!“, das war die Parole von jetzt an.

      c) Die Macht des Gewissens

      Vater und Mutter waren beide sehr erstaunt, dass wir nicht essen wollten. Jungen, die keinen Hunger hatten! Das war merkwürdig! Was hatten die beiden ausgeheckt? – Das war die natürliche Reaktion! Am nächsten Morgen mussten wir vor dem Schulgang frühstücken! Das ließ sich leider nicht vermeiden! Mutter teilte den Porridge aus, und nach dem Porridge kamen Eier und Schinken. Der Duft von Eiern und Speck fürs Frühstück ist mir immer noch unvergesslich! Wie schmeckt das lecker, besonders wenn es draußen nass und kalt ist. Aber Vater blickte misstrauisch zu uns herüber, wie wir in unseren Ecken kauerten. Wir würgten unseren Porridge hinunter! Vater sagte nichts, was nicht bedeutete, dass er nichts dachte! Sobald wir die Qual des Frühstückes – lies: Vaters Gegenwart – hinter uns hatten, stürzten wir zur Bahn, um den Zug nach Wallingford zur Schule zu nehmen. Die Schule pflegte sonst keine direkte Befreiung zu sein, heute aber war sie das.

      Wir fuhren immer mittags mit der Bahn nach Hause – Wallingford lag nur etwa sechs Kilometer von zu Hause entfernt. Als wir dann gegen 12.30 Uhr nach Hause kamen, saß Vater oben am Tisch und teilte das Fleisch aus – Mutter teilte, wie immer, das Gemüse aus. Wusste es Vater oder wusste er es nicht? Das war die brennende Frage! Wegen des Autos sagte er nichts, die Batterie war offenbar nicht kaputt; schnell genug waren wir gefahren, sodass der Dynamo sich wieder aufladen konnte! Aber Vater schwieg! Mr. James, den wir jeden Tag beim Schulgang sahen, äußerte auch kein Wort! Wenn Vater Bescheid weiß – und nichts sagt, wird sein Zorn von Tag zu Tag größer werden, das wussten wir sehr wohl!

      Jede Mahlzeit war für uns eine Qual. Wir mieden Vater, der immer noch nichts sagte, obwohl wir in unseren Knochen fühlten, dass er irgendetwas witterte. Er wartete vielleicht darauf, dass wir uns zu unserer Missetat freiwillig bekannten – wir mussten immer freiwillig zu unserer Schuld stehen. Auf die Jagd mit Vater gehen, das konnten wir jetzt unter diesen Umständen nicht – allein sein mit ihm auf dem Feld –, das kam nicht infrage! Abends pflegten wir bis vor kurzem sehr oft, mit Vater Dame zu spielen – er spielte sehr gut und baute viele „Hühnerfallen“ („chicken traps“ für die Unaufmerksamen, wie er sie nannte). Aber jetzt, in dieser Spannung, unter diesen quälenden Umständen, kam auch das nicht mehr infrage. Wir verschwanden lieber früh auf unser Zimmer und bastelten allein für uns. Vielleicht wussten unsere Schwestern es schon und sagten auch nichts! Denn sie standen mit Vater sehr gut, auch wenn sie Mutter oft Sorgen bereiteten.

      Aus unserem Paradies auf dem Gut war über Nacht eine Hölle geworden – die Hölle der Ungewissheit und der Einsamkeit. Vielleicht hielten Vater und Mr. James zusammen, um uns zu quälen! So mieden wir auch Mr. James.

      Nach etwa drei Wochen dieser Qual beratschlagten mein Bruder und ich, was zu machen sei. Denn diese Spannung und diese Qual waren unerträglich. Unser Zuhause war kein richtiges Zuhause mehr. Wo konnten wir hin?

      Wir kamen nach vielem Hin und Her überein, dass wir zu Vater gehen müssten, um die Sache endgültig ins Reine zu bringen. Aber wann?

      Klar, nicht wenn Mutter oder die Schwestern zu Hause waren! Mit Vater mussten wir allein sprechen, am besten wenn die anderen einkaufen gegangen oder im Bett waren. Doch da gab es ein Problem: Die anderen gingen später ins Bett als wir. Also wenn Mutter und die Schwestern freitags einkaufen gingen! Abgemacht!

      d) Die Beichte

      Nach dem Mittagessen saß Vater gewöhnlich in seinem Lederlehnstuhl, machte die Beine hoch und las ein Viertelstündchen die Zeitung. Er schlief beim Lesen immer schnell ein, aber in dieser Situation war er wenigstens allein. So saß er da, das Haus war still und Vater döste vor sich hin. Mein Bruder und ich betraten leise das Zimmer, was ihn aufweckte. Er schaute zu uns hinüber und fragte, was wir wollten?

      „Ja, Vater, wir wollten allein mit dir reden.“

      Da war er sofort wach.

      „Hm“, sagte er, „das muss aber etwas sehr Wichtiges sein, denn lange Zeit scheint ihr mich sehr fleißig gemieden zu haben. Was ist denn los?“

      „Ja“, sagten wir sehr, sehr verlegen, „hast du nicht gesagt, wir dürfen deine Garage nicht mehr allein betreten?“

      „Ja, sicher“, antwortete Vater, „seid ihr doch allein in die Garage gegangen? Wie ist euch das gelungen? Habt ihr mein Hängeschloss kaputtgemacht oder einen neuen Schlüssel dafür herbeigeschafft?“

      „Nein, Vater“, sagten wir, „du hast einmal vergessen, die Garage zuzuschließen.“

      „So“, sagte er, „das mag wohl sein. Was habt ihr sonst angestellt?“

      „Vater, wir betraten nicht nur die Garage, wir gingen in deinen Bentley und ließen den Motor an.“

      Da stieg Vaters Zorn hoch. Nicht umsonst trug Vater einen rotblonden Schnurrbart!

      „Ich habe euch das oft verboten“, tobte er und stand auf. „Was habt ihr sonst angestellt? Ist das alles?“

      Die Tränen standen uns in den Augen – obwohl Jungen natürlich nicht weinen! – denn wir sahen, dass Vater zur Tür hinüberlief. Auf dem Sims über der Tür lag in einer Nische seine Reitpeitsche, die er selten benutzte, die er aber benutzen konnte! Einige Male anlässlich ganz schlimmer Delikte hatten wir diese Peitsche experimentell ausgekostet.

      „Was habt ihr sonst noch angestellt? Habt ihr etwa die Batterie wieder platt gemacht?“

      „Nein, Vater“, sagten wir erleichtert, „wir fuhren schnell genug, so schnell, dass der Dynamo auf Touren kam und die Batterie auflud!“

      „So“, sagte er, „jetzt kommt es also allmählich heraus. Ihr habt also nicht nur den Motor angelassen, ihr habt das Auto sogar aus der Garage herausgefahren! Und ihr seid sogar so schnell gefahren, dass der Dynamo auf Touren kam!“

      Er war gerade dabei, seine Reitpeitsche von ihrer Nische herunterzuholen.

      „Nun, meine kleinen Halunken, jetzt fange ich langsam an, euer Benehmen in den letzten Tagen zu verstehen!“

      Jetzt kullerten die Tränen unsere Backen herunter.

      „Was habt ihr sonst angestellt?“

      Vater wollte offenbar alles wissen, ehe er die Strafe administrierte. „Denkt daran, es heißt jetzt, mir alles zu beichten, sonst wird es euch nicht gut bekommen!“

      Also es bestand noch Hoffnung, wenn wir ehrlich sein würden und Vater alles beichteten! Aber es gab so viel zu bekennen, das war unser großes Problem. Offenbar wusste Vater nichts; Mr. James hatte also nicht gepetzt, dafür mussten wir ihm unser Leben lang dankbar sein – nicht mehr zu ihm frech sein, wenn er auf Ordnung in der Bahn bestand. Er musste, der arme Mann, täglich mit vielen Fahrschülern