Es war ein reiches Leben. Arthur Ernest Wilder-Smith

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Название Es war ein reiches Leben
Автор произведения Arthur Ernest Wilder-Smith
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783958932708



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Der Senior in einem solchen Zimmer darf seinen Zimmerkameraden wählen. So wählten unsere Kinder oft „unterprivilegierte“ Kinder und zeigten diesen die Familienliebe, luden sie zum Beispiel über Weihnachten zu uns nach Hause ein. Die Sommerferien wurden auch nicht vergessen, denn niemand wollte solche Kinder; sie waren auch oft schwierig, weil sie unter Komplexen verschiedenster Art litten. Solche Kinder sind also zu uns auch über Weihnachten nach Hause gekommen, haben bei uns Skifahren gelernt, sind mit der Familie im Sommer zelten gegangen. Wir kennen durch die Internate eine Menge solcher Kinder, die uns jetzt noch als ihre Eltern ansehen. Einer bat uns in einem Brief förmlich, ob er uns von jetzt an „Dad und Mum“ nennen durfte. Eine Anzahl sind durch diesen Familienersatzdienst bewusste Christen geworden. Einer hat in letzter Zeit den Schritt in die Ehe getan – er fand ein gläubiges Mädchen, und die beiden wollten eine Familie gründen, die das bietet, was sie selbst nie als Kinder erfahren konnten.

      2. Das Leben im Internat

      Taunton School war ursprünglich eine Schule, die nicht der anglikanischen Staatskirche angehörte. Sie war also mit anderen Worten eine freikirchliche Schule. Wir als Familie hatten mit der anglikanischen Kirche etwas Mühe, sodass Mutter die Meinung vertrat, wir Jungen sollten alle Aspekte des religiösen Lebens, kirchliche und freikirchliche, erfahren.

      Einige Lehrer in Taunton waren bewusste Christen, die meisten aber leider nicht. Die Mehrzahl der Jungen kam nicht aus christlichen Häusern. Sie waren damals eher die Söhne höherer Beamter des Britischen Commonwealth, patriotisch stolz, aber leider oft faul. Also, kurz gesagt, Snobismus konnte in solchen Internaten böse Ausmaße annehmen. Heute ist diese Gefahr weniger groß, aber sie ist immer noch vorhanden.

      3. Ordnung im alten Internat

      In unserem Internat wurde immer sehr darauf geachtet, dass Ordnung herrschte. Man wurde spartanisch erzogen: keine Teppiche, zum Beispiel im Schlafzimmer, nur Betonböden. In den großen Schlafräumen standen oft zwölf oder dreizehn Betten, alle auf dem unbedeckten Betonboden. Die Fenster standen Tag und Nacht offen, auch bei kältestem Frost. Gewaschen wurde sich jeden Morgen kalt. Die Waschzimmer waren ungeheizt. Einmal die Woche gab es unter Aufsicht eines Hausmeisters ein heißes Bad – sechs Badewannen in einem Badezimmer mit Betonboden. Wohl deshalb klagt kein Engländer – das heißt kein echter Engländer – je über Zug in einem Zimmer. In der Eisenbahn sind es nur die „Parvenüs“ oder die Ausländer, die klagen: „Es zieht.“ In englischen Internaten wird man abgehärtet! Eine frische Brise im Schlafzimmer ist gesund – es zieht doch nie! Luft muss man haben, sonst kann man nicht atmen! Deshalb sind die englischen Kamine wohl so gebaut, dass sie „Luftzug“ im Zimmer erzeugen! Die Vorhänge in einem Zimmer müssen durch Windzug direkt wehen, wenn ein echter Engländer glücklich sein soll.

      Als mein Bruder und ich das erste Mal ins Internat fuhren, brachten uns Vater und Mutter zum Bahnhof nach Reading. Dort wurden wir in den 10.45 Uhr Expresszug nach Taunton verfrachtet, und fertig war die Operation. Wir wussten gar nicht, was auf uns wartete, kannten die Schule absolut nicht, waren nie in Taunton gewesen. Wir fanden einige Jungen im Zug, die das gleiche Reiseziel hatten. Sie fuhren auch ins Internat. Vom Bahnhof in Taunton wurden wir vom Vizedirektor selbst, Mr. Record, abgeholt, der uns militärisch zusammenstellte, sodass wir gruppenweise – etwa 30–50 Jungen pro Gruppe – ins Internat marschieren mussten. Der Weg betrug vielleicht vier Kilometer, die wir mit Gepäck unter dem Arm hinter uns brachten. Einmal dort angekommen, wurden wir vom Vizedirektor persönlich „sortiert“. Hast du Verwandte hier gehabt? Wie alt bist du? Hast du Geschwister? Bist du jemals vorher in einem Internat gewesen? Was für Krankheiten hast du gehabt? Dann wurden wir einer „Matrone“ – einer älteren Dame – übergeben, die dafür sorgte, dass wir ein Bett für die Nacht bekamen, einen Schrank für unsere Sachen hatten und einen Platz am Tisch fürs Abendessen – ein Butterbrot ohne Belag und eine Tasse einer unbeschreiblichen Mischung, die man „Stingo“ nannte – bekamen.

      Einen wichtigen Punkt darf man an dieser Stelle nicht vergessen: Jeder Junge musste eine mit Schloss abschließbare Holzkiste besitzen, in der er seine „Goodies“, Essbares, eingeschlossen aufbewahrte. Diese Kiste war mit einem Hängeschloss und Riegel versehen. Während der Schulpause morgens und mittags durfte er zu seiner Kiste gehen, um etwas Gutes zum Essen zu holen. Diese Kisten gehören zum Internat wie Wasser zum Fischleben. Meine Kinder besitzen ihre Kisten oben im Estrich immer noch. Sie sind Besitztümer, auf die kein Schüler verzichten möchte. Wenn ein Junge die Kiste eines anderen ausraubte, was sehr selten vorkam, war dieses Vergehen wirklich sehr gravierend.

      4. Erste Eindrücke im Internat

      Nachdem mein Bruder und ich am nächsten Tag den großen Gebäudekomplex des Internats ausgekundschaftet hatten, waren wir nicht sehr beeindruckt, denn draußen bestand fast alles aus Fußballspielplätzen. Spielplätze für Cricket, Hockeyplätze etc., und innen in den Gebäuden sah alles nach Massenlagern aus. Gar nichts Privates war zu finden. Dazu noch gab es allerlei Plätze, die reserviert waren. Die Terrassen vor dem Internat waren nur für Lehrer und Schulsprecher. Alles war sehr elitär – und wir waren nur Neuankömmlinge, die viele Pflichten und wenig Rechte hatten. Man fühlte sich ständig beobachtet, ob man irgendwie dabei war, eine Regel zu übertreten oder nicht. Während wir alles auskundschafteten, kam eine Gruppe von älteren Schülern auf uns zu und sagte mit ganz erster Miene, dass es Pflicht für alle Neuankömmlinge sei, alle Schulsprecher unaufgefordert bei ihren richtigen Namen laut zu grüßen. Wir sagten, wir könnten das nicht tun, denn wir kennten nicht einmal die Namen der Schulsprecher.

      „Wir wollen euch helfen“, sagten sie ernst, „der Große dort auf der Terrasse, der mit den leuchtend roten Haaren und den fast weißen modernen Hosen, der ist Hauptschulsprecher der Schule und geht gerade auf der Terrasse auf und ab, was sein Privileg ist. Ihr geht jetzt hinüber zu ihm, wenn ihr Strafe vermeiden wollt, und ruft ihn Leuchtturm als Vorschriftsgruß zu. Dann habt ihr ihn beim Namen gegrüßt, und er wird euch nicht bestrafen dürfen. Aber seine Terrasse ja nicht betreten!“

      Nun, wir wussten schon, dass man keinen Lehrer und keinen Schulsprecher mit Spottnamen ansprechen durfte. Und es kam uns merkwürdig vor, dieser Name für einen Rothaarigen! Er ging mit einigen anderen auf der privilegierten Terrasse auf und ab, sodass er Zeugen gehabt hätte, wenn wir von fern „Leuchtturm“ gerufen hätten. So bedankten wir uns sehr höflich für die freundliche Auskunft und sagten, wir würden morgen die amtliche Begrüßung vorschriftsmäßig durchführen, wenn wir ganz sicher seien, dass er wirklich so hieß. So dumm waren mein Bruder und ich nicht. Ein Schmähname wie Leuchtturm als Gruß hätte uns sechs Hiebe mit der Peitsche gekostet, denn der Rothaarige war bekannt als arrogant und humorlos. So lernten die älteren Schüler des Internats die Neuangekommenen kennen und merkten bald, ob sie etwas Grips hatten oder nicht. Wehe dem Jungen, der von Natur aus gutgläubig war, er wurde von den meisten so gehänselt, bis sie es ihm ausgetrieben hatten.

      5. Disziplin und Erziehung im alten Stil

      Morgens, pünktlich um 7.00 Uhr, wurden wir von einer großen Handglocke draußen auf der Wiese geweckt. Der alte Gärtner ging durch die Häuser und schwang die große Glocke hin und her, sodass jeder (theoretisch) wach wurde. Der Mensch ist aber zur Gewöhnung verurteilt, denn oft hörte ich die Glocke nicht. Aber die anderen weckten einen dann, denn sie mussten auch aufstehen. Um 7.20 Uhr stand der Hausmeister oben an der großen Treppe unseres Hauses und rief laut „Tallyho“ (das ist der Ruf eines Jägers, der gerade einen Fuchs wittert). Mit diesem Ruf stürzten dann alle „Jäger“, d. h. Jungen, ihm nach die Treppe hinunter. Wer mit seiner Toilette nicht fertig war, wenn der Hausmeister die Tür zum Saal schloss, war zu spät. Wer in dem Saal noch an seinem Schlips oder Kragen herumarbeitete, der galt auch als zu spät gekommen. Wer ein schmutziges Hemd anhatte, der galt auch als – nach dem Gesetz der Meder und Perser – zu spät gekommen. Das Zuspätkommen zum morgendlichen Appell wurde bestraft. Die Namen aller Jungen wurden alphabetisch aufgerufen, und jeder musste mit „adsum“ (ich bin zugegen, in Latein) antworten. Es kostete damals zwei Schläge mit der Rute, wenn man nicht antwortete. War man feige, konnte man unter Umständen die zwei Schläge in 200 „Zeilen“ umtauschen lassen, was bedeutete, dass man 100- oder 200-mal schreiben musste: „Ich darf nicht zu spät zum Appell auftauchen“ oder „Ich muss mich für den Appell richtig und rechtzeitig anziehen“. Aber man zog meist die Peitsche vor. Es