Es war ein reiches Leben. Arthur Ernest Wilder-Smith

Читать онлайн.
Название Es war ein reiches Leben
Автор произведения Arthur Ernest Wilder-Smith
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783958932708



Скачать книгу

      Schulen, die die Peitsche abschafften, schafften sie ab, weil sie Mädchen statt Jungen hatten. So hieß es unter den Jungen, Disziplin dieser Art schadet nicht, solange man gute, gerechte Schulmeister finden konnte, um das System zu verwalten. Sobald aber verweichlichte, ungerechte Lehrer auftauchten, ging es nicht mehr. Gerade solche wurden brutal, sodass das System auseinanderzufallen drohte.

      6. Miseren des Internatslebens

      Unter der Aufsicht von Mr. Record, dem Vizepräsidenten des Internats, hatte ich mit Latein und Französisch nie wieder Mühe gehabt. Disziplinarisch war Mr. Record, den wir „Chew“ nannten, weil er immer mit dem Mund arbeitete, eisern. Aber er war ein frommer, gerechter Mann, den wir alle respektierten. Jeden Sonntagmorgen inspizierte er persönlich alle 700 Schüler, die geschlossen in die Stadt zu den verschiedenen Kirchen marschierten. Die Eltern entschieden, welche Kirchen besucht wurden. Mr. Record merkte sofort, ob ein Kandidat für den Kirchgang ein weißes oder ein nicht mehr ganz weißes Hemd trug. Ob sein schwarzer Schlips bekleckert war. Ob sein Taschentuch weiß war. Oft verlangte er aufs Geratewohl, probeweise, das Taschentuch, das während des Vorbeimarsches produziert werden musste. Weh dem Jungen, der keines hatte oder der ein Taschentuch hervorzog, das nicht so aussah wie eine Reklame für Waschpulver. Ein solcher Kirchgangkandidat musste aus den Reihen hervortreten, ein frisches Taschentuch holen, während die ganze Schule ungeduldig auf ihn wartete. Solche Schüler waren nicht populär. So wirkte Mr. Records Disziplin förderlich – die Jungen sorgten letzten Endes selbst für Ordnung!

      Obwohl unser Direktor Mr. Record den Beinamen „Chew“ trug, wehe dem Schüler, der mit Kaugummi oder ähnlichen Scheußlichkeiten im Mund erwischt wurde! Wer in der Klasse kaute, spielte direkt mit seinem akademischen Schicksal. Was man im Mund hatte, war eine rein private Angelegenheit, wovon andere gar nichts merken durften.

      Andere „Wehen“ unseres Internats folgten schnell: Wehe dem Jungen, der mit Händen in den Hosentaschen mit einem Lehrer – oder sonst einer reifen Person – sprach. Wenn ein solcher über so wenig Feinfühligkeit verfügte, bekam er zuerst eine Reihe von bissigen, verschleierten Bemerkungen, die ihn höflich auf seine Salonunfähigkeit aufmerksam machen sollten. Wenn er aber derart stumpfsinnig war, dass er gar nichts merkte – solche gab es schon damals – konnte er mit der Zeit eine direkte, scharfe Bemerkung erwarten: „Zieh die Hände aus der Tasche, wenn du mit älteren und auch besseren Personen sprichst!“

      Dreimal im Jahr bekamen alle Eltern über ihre Kinder ein Schulzeugnis – direkt nach Hause geschickt. Nicht nur die akademische Leistung des Schülers wurde beurteilt, sein allgemeines Verhalten und sein Fortschritt in der Entwicklung von „Schliff“ wurde schriftlich mit entsprechenden Beweisen festgehalten. Frechheit war ein schwerwiegendes Vergehen, besonders älteren Menschen gegenüber.

      In der Schulkapelle, wo im Sommer morgens und abends ein Gottesdienst vom Schuldirektor oder von einem Pfarrer abgehalten wurde, wurde sehr auf Benehmen geschaut. Anständig gekleidet musste man sein – man trug eine Schuluniform, damit die Schüler sich nicht gegenseitig wegen Bekleidung „die Augen ausstechen konnten“. Jungen können nicht minder eitel sein bezüglich Bekleidung als Mädchen! Wehe dem Jungen, der vor Gott mit den Händen in der Hosentasche betete, oder sonst erschien! Eine Beleidigung der Majestät Gottes!

      Hängt die heutige Formlosigkeit und Undiszipliniertheit mit dem Zerfall unserer ganzen westlichen Gesellschaft zusammen? Ich meine ja! Denn man empfindet vor nichts Respekt, weder vor Menschen, noch vor Gott, noch vor dem Alter. Alles ist erlaubt. Auch das, was sich nicht schickt. Die Konsequenzen liegen heute vor unseren Augen.

      Damit möchte ich gar nicht gesagt haben, dass diese spartanische Erziehung nie fehlschlug. Es gibt Menschen, die unreformierbar sind, und solche gab es auch bei uns im Internat. Es gab bei uns im Taunton viel Unsittlichkeit. Die älteren Schüler brachten oft lose Mädchen ins Internat – sie gaben sie als Kusinen oder andere Verwandte aus. Die Gesprächsthemen in den Schlafzimmern waren meist sexueller Art. Schmutzige Witze waren oft die Regel, obwohl es edle Schüler gab, die nicht mitmachten. Solche galten oft als prüde.

      Ich kenne christliche Internate, für die diese negativen Aussagen kaum gelten. Aber in den rein säkularen Schulen ist Unsittlichkeit oft die Regel. Solche kann ich deshalb nicht empfehlen. Wir haben unsere Kinder auf christliche Internate geschickt, da war die Atmosphäre besser. Die Gefahr in solchen christlichen Internaten ist die einer Treibhausatmosphäre: Gesetzlichkeit und auch Heuchelei können in solchen Internaten, die wohl einen christlichen Direktor hatten, wo aber auch nichtchristliche Lehrer mitwirkten, auftreten. Da konnten die Kinder selber die Unterschiede zwischen Christen und Nichtchristen sehen und sich selbst ihre eigene Meinung bilden. Da waren die christlichen Lehrer oft wirkliche Lichter in einer Welt, die zum großen Teil nicht christlich war. Auf diese Weise wurden sie auf die wirkliche Welt, wo Christen in einer nichtchristlichen Welt leuchten müssen, vorbereitet.

      7. Einige Vorteile des Internats

      Das Internat hatte, neben all diesen zum Teil negativen Überlegungen, doch große Vorteile. Obwohl das Internat meine lieben Eltern sehr teuer zu stehen kam – und das in der Zeit (1930–1934) der großen Depression – wurde man dort viel weniger als zu Hause von der Schularbeit abgelenkt. Man fing um 7.00 Uhr morgens mit dem Waschen und Aufstehen an. Kapelle 7.30-8.00 Uhr. Frühstück 8.00–8.30 Uhr. Unterricht 9.00–13.00 Uhr. Mittagessen 13.15–13.45 Uhr. Pause bis 14.00 Uhr, dann Unterricht bis 16.30 Uhr. Danach Spiele – Fußball, Rugby, Football, Hockey (im Winter), Cricket (im Sommer). Dies war alles obligatorisch. Leistung in Sport galt vielleicht noch mehr als akademische Leistung. Danach folgten die Hausaufgaben, die unter Aufsicht in einem großen Saal von 19.30–21.30 Uhr zu erledigen waren. Während wir die Hausaufgaben erledigten, bekamen wir das Abendessen: Butterbrote mit ein wenig Käse, Marmelade oder Marmite (ein Hefeextrakt) plus eine Tasse Kakao – ein undefinierbares Gemisch von Wasser, Milchpulver, Zucker und Kakao. Um 22.00 Uhr ging es ins Bett für die Älteren, für die Jüngeren eine halbe Stunde früher. Um Punkt 22.30 Uhr war Licht aus. Alle Lichter in den Schlafzimmern mussten dann gelöscht werden, alle Gespräche verstummten – und wehe dem Jungen, der mit Radiokopfhörern unter den Bettdecken heimlich Radiomusik oder sonst etwas hörte. Ein Junge in jedem Schlafzimmer war für die Einhaltung dieser Verordnung verantwortlich, und man durfte ihn nie verraten!

      ATHEISTISCHE AUSSAAT

      1. Der Kirchenstreit in England

      Während mein Bruder und ich im Internat lebten, tobte der Kirchenstreit in England. Zur Zeit der Reformation unter Heinrich VIII. sagte die anglikanische Kirche dem Katholizismus ab. Der englische König Heinrich VIII. wollte dem Papst von Rom nicht untertan sein, denn der Papst machte Heinrich mit seinen vielen Frauen (mit Recht) Mühe.

      Nun, Heinrich war kein besonders frommer Mann, im Gegenteil. Er wollte die Doktrin der Kirche in England nicht ändern, sondern nur ihre politische Struktur und Hierarchie. Die römische Hierarchie passte nicht in sein Konzept, obwohl ihm theoretisch ihre Doktrin recht war. Die Machtpolitik des Papstes ärgerte den stolzen englischen König. Deshalb machte er sich zum Papst, indem er den anglikanischen Erzbischof von Canterbury einsetzte. In der Lehre jedoch blieb fast alles beim Alten. So lehrt heute noch die anglikanische Kirche – zumindest nach ihrem Gebetsbuch zu urteilen – zum Beispiel die römisch-katholische Doktrin der Kindertaufe. Die anglikanische Kindertaufe bringt den Täufling angeblich ins Himmelreich, er wird dadurch von neuem geboren. Die römisch-katholischen Doktrinen der Kirche blieben unter Heinrich VIII. fast beim Alten. Auch wenn die Evangelikalen innerhalb der anglikanischen Kirche Englands es bestreiten, dass ihre Kirche eine katholische Säuglingstaufe lehrt, steht diese unbiblische Doktrin heute noch in jedem Gebetsbuch. Die kontinentale lutherische Landeskirche steckte in ähnlicher Lage.

      Nun, der Kirchenstreit hatte mit all diesen Problemen nichts zu tun. Diese wurden durch die wirkliche Reformation Englands durch die späteren Reformatoren Charles und John Wesley, George Whitfield und später Spurgeon angegriffen. Der Kirchenstreit von 1925–1935 ging einzig und allein ums Geld – ein Problem, das auch die heutige Kirche – besonders auf dem europäischen Kontinent – plagt. Die anglikanische Staatskirche, deren Oberhaupt der König (bzw. die Königin) ist, kennt keine Kirchensteuern.