Es war ein reiches Leben. Arthur Ernest Wilder-Smith

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Название Es war ein reiches Leben
Автор произведения Arthur Ernest Wilder-Smith
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783958932708



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bekommen (damals etwa 50 Pfennig), und dieses Geld hatten wir seit Jahren immer gespart. Mutter erzog uns zur Sparsamkeit. So holten Walter und ich unsere Ersparnisse aus der Sparbüchse und schenkten sie unserem Vater, der damit die ganzen fälligen Arbeiterlöhne gerade noch bezahlen konnte. Was waren wir alle froh, dass das Problem für eine Woche wenigstens gelöst war.

      Aber was dann? Nächste Woche mussten wieder die Löhne ausgezahlt werden. Obwohl die Ernte schon verkauft war, hatten die Käufer kein Geld zur Bezahlung. Bis die Kornhändler bezahlten, konnte Vater keine Löhne mehr bezahlen, kein Kerosin für die Traktoren kaufen und auch keine Kolonialwaren für den Haushalt. Ende der Woche bat mich mein Vater, ihm noch einmal finanziell zu helfen, aber ich hatte kein Geld mehr; Walter, mein Bruder, auch nicht. Täglich zogen an der Farm Hunderte von jungen arbeitslosen Männern vorbei, die um Arbeit und etwas zu essen bettelten. Die Lage war trostlos und schier verzweifelt. Was war nun Vaters Plan? Würde ich, bitte, Folgendes versuchen: Ich sollte mit einem Bankscheck für ihn nach Reading zur Bank fahren, dem Bankmanager die Situation erklären und ihn um Hilfe bitten, bis die Kornhändler die Ernte bezahlten. Auf Vater hörte der Manager nicht mehr. Vielleicht würde er auf ein halbes Kind hören. Das Vorhaben war Vater äußerst peinlich, aber die Verzweiflung trieb ihn.

      Das war eine schwere Aufgabe, aber vielleicht würde ein Jüngling Erfolg haben, wo ein Mann abgelehnt wurde. Alle Leute bettelten um Kredite, und die Banken mussten hart sein, um zu überleben. So übernahm ich diese unangenehme und peinliche Aufgabe, denn wir waren stolze Landleute, die gewohnt waren, niemandem etwas schuldig zu sein. Soweit ich mich jetzt nach 60 Jahren entsinnen kann, saß eine Kassiererin hinter dem Bankschalter, als ich zögernd auf sie zukam. Ich zeigte ihr den Scheck, erklärte, dass es bald Freitag (Zahltag) sei, dass wir viel Weizen verkauft hätten, dass aber die Zahlung dafür noch nicht eingetroffen sei. Sie hörte genau zu und verschwand. Nach einer für mich ewigen Wartezeit kam sie wieder. Ach Wunder aller Wunder – diesmal lächelte sie und sagte, die Sache komme schon in Ordnung, denn sie habe gerade telefonisch erfahren, dass der Getreidehändler den Scheck für das Getreide an Vater abgeschickt hatte! So kam ich Halbjüngling mit vollen Taschen triumphierend nach Hause. Was waren meine Eltern und meine Geschwister über diesen Erfolg froh! Ich fing langsam an, einen Ruf als Finanzgenie zu bekommen!

      Aber die familiäre finanzielle Situation war auch für mich persönlich untragbar. So konnte mein Vater nicht weitermachen. Ich durfte ihm keine weiteren Spesen mit meiner Ausbildung auferlegen. Ich müsste eine Alternativlösung für meine Ausbildung finden. Oxford war zu teuer. Ich müsste eine billigere Universität finden ... oder aber aufs Studium überhaupt verzichten und Geld verdienen.

      3. Gewichtige Entscheidungen

      Wir wohnten zwischen Oxford, der Kreisstadt von Oxfordshire, und Reading, der Kreisstadt der Grafschaft Berkshire. Reading hatte eine junge Universität, die die meisten Disziplinen außer Medizin und Theologie anbot. So ging ich dorthin, um mich zu erkundigen. Dabei stellte es sich heraus, dass diese Universität mich mit Freuden aufnehmen würde – ich kam ja von der Universität Oxford und hatte meine Examen dort mit Erfolg abgelegt. Sie boten mir einen Diplom-Kursus in den Naturwissenschaften an, und der Kursus würde etwa ein Drittel so viel Geld kosten wie in Oxford. Ohne meinen Eltern ein Wort davon zu sagen, immatrikulierte ich mich in Reading und fing gleich im September 1934 an. Die Vorlesungen und die Professoren waren sympathisch – meist jüngere Menschen, die Karriere machen wollten. Einige besaßen schon ihre FRS („Fellowship of the Royal Society“, die höchste Ehre der akademischen Welt Englands), und ich kam sehr gut voran, obwohl ich besonders am Anfang die Atmosphäre von Oxford sehr vermisste.

      Im Jahre 1936 bestand ich dann meinen B.Sc. (General = „Bachelor of Sciences“) in drei Fächern und 1937 bekam ich mein B.Sc. (Hon. Chem.) mit „Gut“. Dieses Diplom entspricht ungefähr einem Staatsexamen auf dem europäischen Kontinent.

      Was aber weiter? Wollte ich in das Lehramt, dann müsste ich ein weiteres Diplom erwerben; was noch ein Jahr kosten würde. Dann erst wäre ich diplomierter Sekundarschullehrer gewesen. Die Aussicht, Lehrer zu werden, begeisterte mich gar nicht, obwohl meine Mutter Lehrerin war – und zwar diplomiert in Reading. Meine Eltern und ich berieten lange über meine Zukunft.

      Im Herzen wollte ich Naturwissenschaftler und Forscher werden, besonders wenn ich die Biologie mit der strukturellen organischen Chemie verbinden könnte. Ich sprach mit dem Professor der organischen Chemie Dr. A. K. Mills, der bei Freunden in Heidelberg promoviert hatte. Mills kannte mich gut und war mein Tutor (jeder Student in den englischen Universitäten bekommt einen Professor über sich gesetzt, der in seinem Fach über den Fortschritt seines Protegés zu wachen hat).

      Ein Tutor wacht aber nicht nur über den akademischen Fortschritt, er achtet auch auf die Charakterentwicklung seines Schützlings. Wie mein Tutor mir selber kundtat, sei er da, um mich auf allen Gebieten von der Ehe bis zur Mathematik zu beraten. Darin liegt ein großer Unterschied zwischen den britischen und kontinentalen Universitäten. Die kontinentalen Universitäten bilden einen Studenten rein akademisch aus und haben nicht darüber zu befinden, ob ein Mensch charakterlich-moralisch fähig ist, Arzt, Rechtsanwalt oder Apotheker zu werden. Wenn ein Krimineller oder ein Drogenhändler Apotheker werden will, das sei seine private Sache – wenn er einmal seine Approbation hat. Die Universität habe nur darüber zu urteilen, ob der Kandidat sein Fach kennt. Wenn er das Fach kennt, dann besteht er sein Examen. Das englische System geht davon aus, dass ein Akademiker als ganzer Mensch Akademiker sein soll. Nur ein guter Mensch soll zum Beispiel Richter werden und nur ein integrer Mensch darf Arzt werden. Aber kein Psychopath darf zum Beispiel Apotheker werden. Darüber muss der Tutor wachen – über den ganzheitlichen Menschen.

      Nun, all das ist in Theorie sehr gut – wenn man wirklich gute Professoren aufweisen kann. Wenn aber Materialisten oder Egoisten die Lehrstühle innehaben – was bei der heutigen Entwicklung der Gesellschaft sehr oft der Fall ist –, dann versagt auch das Tutoren-System oft recht kläglich. Ich hatte das große Glück, in Oxford und auch in Reading ausgezeichnete Tutoren zu haben.

      Da fragte ich also meinen Tutor, welchen Berufsweg ich, seiner Meinung nach, für die Zukunft einschlagen sollte. Er meinte, dass ich die Gabe der Pädagogik besitze, dass aber das Schullehramt nichts für mich sei, es würde mich, seiner Meinung nach, intellektuell nicht befriedigen. Er kannte mich sehr gut. Seine Frau war eine Deutsche, die er während seiner Zeit in Heidelberg unter Professor Karl Freudenberg kennengelernt hatte. Ab und zu sprachen wir Deutsch miteinander – ich hatte angefangen, die deutsche Sprache zu studieren –, was übrigens die anderen Professoren nicht schätzten. Hitler war 1933 an die Macht gekommen, sodass das englische Volk den Deutschen gegenüber sehr feindlich eingestellt war.

      Als mein Tutor und ich über die Zukunft berieten, sagte er plötzlich, er habe noch eine Stelle für einen Ph. D.-Studenten offen. Würde ich mich dafür interessieren? Zwei Forschungsprobleme, für Doktorarbeiten geeignet, könnte er mir anbieten. Es wären theoretische Fragen großer akademischer Tragweite. Er könnte auch – Wunder aller Wunder – mir noch dazu ein kleines Stipendium von 150 DM pro Jahr (!) – so reich war ich nie gewesen – anbieten. Nun, 150 DM damals waren etwa so viel wert wie 15.000 DM heute! Ohne viel zu überlegen, sagte ich gleich zu – fuhr zu meinen Eltern nach Hause und brachte ihnen die gute Nachricht. Was waren Vater und Mutter froh! Aber das war nicht das Ende! Gleich danach sollte ich an einer Konferenz in Aberdeen (BAAS = „British Association for the Advancement of Science“) teilnehmen. Um die Hotel- und Reisespesen zu decken, bot mir mein Tutor in diesen dürren Zeiten ein Stipendium von 15 DM an! So wurde ich Doktorand in der physikalisch-organischen Chemie. Es war im Jahr 1938, und Hitler hielt ganz Europa in Atem. Neville Chamberlain war zu sehr Gentleman, ja zu naiv, um Hitler zu durchschauen. Er glaubte, was Hitler sagte! Gerade diese letzte Naivität trug dazu bei, dass der Zweite Weltkrieg mit seinen verheerenden Folgen ausbrach.

      4. Anfang der synthetischen Arbeit in bewegter Zeit

      Mittlerweile begann ich mit dem ersten Forschungsprojekt in der chemischen Synthese, an dem ich sechs Monate ohne Erfolg arbeitete. Ich hatte aber mit kniffeligen Problemen etwas Erfahrung gesammelt, sodass die Zeit nicht ganz verloren war. Mein Tutor schlug deshalb vor, dass ich das zweite Problem in Angriff nehme, denn dieses Problem war bedeutend verheißungsvoller. So fing ich mit der asymmetrischen Synthese verschiedener Alpha-Aminosäuren