Название | Praxishandbuch Medien-, IT- und Urheberrecht |
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Автор произведения | Anne Hahn |
Жанр | |
Серия | C.F. Müller Wirtschaftsrecht |
Издательство | |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783811447066 |
A. Schutzpflichten des Staates
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Der Staat hat die Pflicht, Kinder und Jugendliche vor Einflüssen, die ihre Persönlichkeitsentwicklung beeinträchtigen können, besonders zu schützen (Art. 1 Abs. 1, Art 2 Abs. 1 GG). Das Bundesverfassungsgericht hat in einer Vielzahl von Entscheidungen den Jugendschutz als „Ziel von bedeutsamem Rang und ein wichtiges Gemeinschaftsanliegen“[1] betont. Zu Medieninhalten, die geeignet sind, die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen zu eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeiten zu beeinträchtigen oder zu gefährden, sollen sie keinen oder nur ihrem jeweiligen Alter entsprechenden Zugang erhalten.[2] Daher gehört es traditionell zu den bedeutsamsten Zielen der Medienpolitik, Gewaltszenen, sexuelle Darstellungen oder andere sittlich anstößige Sendungen aus Gründen des Jugendschutzes zu begrenzen oder – sofern erforderlich – gänzlich zu untersagen. Im Vordergrund stehen dabei die Instrumente des negativen Jugendschutzes, bei denen nicht primär die Verbreitung von kind- und jugendgerechten Angeboten gefördert, sondern vielmehr der Zugang und die Verbreitung von unerwünschten Angeboten begrenzt werden soll.[3] Zugleich hat der Staat Institutionen zur Kontrolle von Medieninhalten zu schaffen, welche Kinder und Jugendliche in ihrer natürlichen Entwicklung beeinträchtigen können.
I. Einführung von Internetfiltern
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Neben dem Staat sind allerdings auch Private in der Pflicht, Minderjährige vor dem Konsum entwicklungsgefährdender Inhalte zu schützen. Vor allem Erziehungsberechtigte können einer Konfrontation mit unerwünschten Angeboten durch die Installation geeigneter Jugendschutzsoftware vorbeugen. Dem gestiegenen Bedürfnis nach Jugendschutz durch Programme, die geeignete Internetangebote altersdifferenziert freischalten bzw. ungeeignete Inhalte blockieren, trägt der novellierte Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) Rechnung. Danach obliegt nun den anerkannten Selbstkontrolleinrichtungen die Beurteilung über die Eignung von Jugendschutzprogrammen i.S.v. § 11 Abs. 1 JMStV sowie solchen nach § 11 Abs. 2 JMStV, die also lediglich auf einzelne Altersstufen ausgelegt sind oder den Zugang zu Telemedien innerhalb geschlossener Systeme ermöglichen (z.B. Spielekonsolen). Bislang wurde auf die Verwendung derartiger – insbesondere durch die Kommission für Jugendmedienschutz anerkannte – Programme verzichtet.[4] Die geänderten Vorschriften des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages sollen daher die technische Entwicklung und den vermehrten Einsatz von Jugendschutzprogrammen vorantreiben.[5] Ziel ist die Anpassung an die Entwicklungen der Medienkonvergenz und das damit einhergehende Nutzungsverhalten von Kindern und Jugendlichen[6].[7] Gerade bei mobilen Endgeräten, die von Minderjährigen verstärkt genutzt werden, bestehen erhebliche Schutzlücken im Hinblick auf den technischen Jugendschutz und es gibt noch keine anerkannten Filterprogramme für mobile Endgeräte.[8] Vor diesem Hintergrund wird auf Jugendschutzfilter nach britischem Vorbild hingewiesen.[9] Ende des Jahres 2013 hatten die vier großen Internetprovider in Großbritannien auf Druck der Regierung Jugendschutzfilter installiert, die pornographische Inhalte blockieren sollen. Dabei handelt es sich um vorinstallierte Programme, die auf Wunsch des Anschlussinhabers deaktiviert werden können. Andererseits können – je nach Bedürfnis des Anschlussinhabers – auch weitere Inhalte zu anderen jugendgefährdenden Themenbereichen (z.B. Gewalt, Suizid- und Magersuchtforen) gefiltert werden.[10]
II. Kritik
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In Deutschland wird die Einführung eines derartigen verpflichtenden Filters weiterhin diskutiert. Zwar wurde der Anstoß zur Diskussion über die Verantwortung der Internetprovider grundsätzlich als positiv begrüßt. Andererseits wurde die mangelnde Effizienz eines solchen Filtersystems bemängelt und vor unerwünschten Nebenwirkungen gewarnt.[11] An vergleichbaren Bedenken scheiterte im Jahr 2011 bereits das Gesetz zur Bekämpfung der Kinderpornographie in Kommunikationsnetzen (Zugangserschwerungsgesetz).[12] Hiermit wurden die großen Internetprovider verpflichtet, den Zugriff auf kinderpornographische Inhalte anhand einer vom Bundeskriminalamt herausgegebenen und täglich aktualisierten Liste zu sperren.[13] Nachdem das Gesetz Anfang 2010 zunächst in Kraft getreten war, wurde es bereits Ende 2011 wieder aufgehoben.[14] Grund für die Aufhebung waren erhebliche Proteste in Gesellschaft und Politik.[15] Kritisiert wurde dabei die umfassende Kontrolle der Internetkommunikation. Zudem wurde die Befürchtung geäußert, die Filterung von Inhalten könne auf weitere Problembereiche ausgeweitet werden, so dass das Internet einer weitreichenden Zensur unterworfen sei.[16] Ferner wurde auf die Gefahr verwiesen, dass legale Inhalte versehentlich gesperrt (sog. Overblocking) und dadurch die Meinungs- und Informationsfreiheit unverhältnismäßig beeinträchtigt werden.[17] Dass Bedenken dieser Art durchaus gerechtfertigt sind, zeigt sich aktuell am Beispiel Großbritanniens. Hier wurden nicht – wie beabsichtigt – ausschließlich pornographische Inhalte, sondern teils auch harmlose oder sogar beratende Webseiten gesperrt.[18] Dennoch sind die auf freiwilliger Basis verwendbaren Jugendschutzprogramme derzeit die einzig sinnvolle und in Anbetracht der rechtlichen Vorgaben auch verhältnismäßige Alternative. Insbesondere vor dem Hintergrund einer ständig vernetzten Gesellschaft mit einem schier unermesslichen Umfang an telemedialen Inhalten sind Filterprogramme auch aus Anbietersicht die praktikabelste Lösung, ohne dabei eine abschreckende Vor- bzw. Zugangssperre zu errichten. Im Jahre 2012 wurde erstmals ein Jugendschutzprogramm staatlich anerkannt.[19] Tatsächliche Verhältnismäßigkeitsabwägungen lassen sich dabei beispielhaft an den Eignungsvoraussetzungen von Jugendschutzprogrammen belegen, welche die gesetzlich geregelten Anerkennungskriterien spezifizieren. Somit richtet sich die erforderliche Filterleistung nach dem sog. „Paretoprinzip“, wonach die geforderte Zuverlässigkeit eines Programms erst dann gegeben ist, wenn vier von fünf Angeboten zutreffend beurteilt wurden. Entscheidend ist dabei nicht nur das „Underblocking“, sondern insbesondere auch das „Overblocking.[20]
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Derartige Probleme machen deutlich, dass die Funktionsweise des Internets bei der konkreten Ausgestaltung einer Sperrmaßnahme keinesfalls unberücksichtigt bleiben darf. Weil die jederzeitige Verfügbarkeit einer nahezu unbegrenzten Informationsfülle maßgebliches Charakteristikum des Internets ist,[21] wirken zu großflächig ansetzende Sperrmaßnahmen den netzseitigen Grundprinzipien und damit auch der verfassungsrechtlich garantierten Informationsfreiheit entgegen. Andererseits