Название | Handbuch des Strafrechts |
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Автор произведения | Jörg Eisele |
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Издательство | |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783811449664 |
IV. Straflosigkeit des Schwangerschaftsabbruchs (§ 218a StGB)
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In § 218a StGB wird gesetzlich festgehalten, in welchen Fällen ein Schwangerschaftsabbruch straflos bleibt. Währenddem § 218a Abs. 1 StGB einen Tatbestandsausschluss darstellt, werden in § 218a Abs. 2 und 3 StGB Rechtfertigungsgründe zur Vornahme eines Schwangerschaftsabbruchs aufgeführt.[155] Allen in § 218a Abs. 1–4 StGB geregelten Varianten des straflosen Schwangerschaftsabbruchs ist gemein, dass nur ein Arzt den Abbruch durchführen darf bzw. kann (sog. Arztvorbehalt).[156]
1. Tatbestandsausschluss (Abs. 1)
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Der im Sinne einer Fristenlösung mit Beratungspflicht konzipierte Tatbestandsausschluss nach § 218a Abs. 1 StGB fordert kumulativ vier Voraussetzungen.[157] Neben einem (1) Abbruchsverlangen seitens der Schwangeren wird auch ein (2) mindestens drei Tage vor dem Eingriff erfolgter Beratungsnachweis im Sinne von § 219 Abs. 2 S. 2 StGB bei einer anerkannten Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle (Abs. 1 Nr. 1) vorausgesetzt.[158] Das Verlangen der Schwangeren erfasst dabei jeden ausdrücklichen und ernsthaft bekundeten Wunsch nach einem Schwangerschaftsabbruch.[159] Darüber hinaus muss (3) der Schwangerschaftsabbruch von einem Arzt (Abs. 1 Nr. 2), welcher gemäss § 219 Abs. 2 S. 3 StGB nicht identisch mit dem die Beratung durchführenden Arzt sein darf, (4) innerhalb der ersten zwölf Wochen seit der Empfängnis vorgenommen werden (Abs. 1 Nr. 3).[160] Die Schwangerschaftskonfliktberatung (§ 218a Abs. 1 Nr. 1 StGB) verfolgt laut § 219 StGB das Ziel, der Schwangeren Hilfsmöglichkeiten im Fall eines Entschlusses zur Austragung des Kindes aufzuzeigen, um sie zur Fortführung ihrer Schwangerschaft ermutigen zu können.[161] Sind die soeben erläuterten Voraussetzungen erfüllt, machen sich die an einem Schwangerschaftsabbruch beteiligten Personen nicht strafbar.[162] Die Frage, ob eine Ärztin einen straflosen Schwangerschaftsabbruch im Sinne von § 218a Abs. 1 StGB an sich selbst durchführen kann, wird in der Lehre kontrovers diskutiert.[163] Obwohl bei Vorliegen der Voraussetzungen nach § 218a Abs. 1 StGB weder die Schwangere noch der den Schwangerschaftsabbruch ausführende Arzt tatbestandsmäßig im Sinne von § 218 StGB handelt, soll der Schwangerschaftsabbruch nach herrschender Lehre trotzdem rechtswidrig sein.[164]
2. Indikationenmodell (Abs. 2 und 3)
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Die Indikationenlösung in § 218a Abs. 2 und 3 StGB regelt die Zulässigkeit eines Schwangerschaftsabbruchs nach Ablauf der in § 218 Abs. 1 StGB statuierten zwölfwöchigen Abtreibungsfrist.[165] Es wird dabei zwischen der medizinisch-sozialen (Abs. 2) und der kriminologischen Indikation (Abs. 3) unterschieden, wobei beide Indikationen Rechtfertigungsgründe darstellen.[166] Allgemein werden die beiden Indikationen als Spezialfälle des rechtfertigenden Notstandes verstanden.[167] Im Gegensatz zum Tatbestandsausschluss nach Abs. 1 setzt das Indikationenmodell für die Zulässigkeit eines Schwangerschaftsabbruchs kein Konfliktberatungsgespräch voraus.[168] Dagegen muss bei beiden Indikationen die Einwilligung der Schwangeren zur Vornahme eines Schwangerschaftsabbruchs vorliegen, wobei für eine wirksame Einwilligung sowohl Einsichts- als auch Urteilsfähigkeit der Schwangeren erforderlich ist.[169] Ebenso wie unter § 218a Abs. 1 StGB ist der Abbruch durch einen Arzt vorzunehmen.[170] Schließlich muss der auf einer medizinisch-sozialen oder kriminologischen Indikation beruhende Schwangerschaftsabbruch auch nach ärztlicher Erkenntnis angezeigt sein, weshalb gemäss § 218b Abs. 1 S. 1 StGB ein Indikationsgutachten eines Drittarztes vorausgesetzt wird.[171] In subjektiver Hinsicht erfordern beide Indikationen, dass der den Schwangerschaftsabbruch durchführende Arzt in Kenntnis aller Rechtfertigungsvoraussetzungen handelt.[172] Jedoch bleibt der Arzt selbst bei irrtümlicher Annahme über das Vorliegen der Rechtfertigungsvoraussetzungen straffrei.[173] Von der rechtfertigenden Wirkung der § 218a Abs. 2 und 3 StGB wird nur die Strafbarkeit nach § 218 StGB erfasst, nicht dagegen die Straftatbestände der §§ 218b ff. StGB.[174]
a) Medizinisch-soziale Indikation (Abs. 2)
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Ein Schwangerschaftsabbruch im Sinne der medizinisch-sozialen Indikation nach § 218a Abs. 2 StGB ist nicht rechtswidrig, „wenn er unter Berücksichtigung der gegenwärtigen und zukünftigen Lebensverhältnisse der Schwangeren nach ärztlicher Erkenntnis angezeigt ist, um eine Gefahr für das Leben oder die Gefahr einer schweren Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren abzuwenden, und die Gefahr nicht auf eine andere für sie zumutbare Weise abgewendet werden kann“.[175] Mit der medizinisch-sozialen Indikation soll folglich verhindert werden, dass eine Schwangere gesetzlich verpflichtet wäre, trotz Lebensgefahr oder anderweitigen gesundheitlichen Risiken ein Kind auszutragen.[176] Eine Lebensgefahr wird gemeinhin sowohl bei physischen (z.B. Gebärmutterhalskrebs) wie auch psychischen Gefahren (z.B. Selbstmordgefährdung) angenommen.[177] Die Annahme einer Gefahr für eine schwerwiegende Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes bedingt, dass eine solche das Maß der üblicherweise mit einer Schwangerschaft verbundenen Belastungen wesentlich übersteigt.[178] Zudem soll ein medizinisch-sozial indizierter Schwangerschaftsabbruch als ultima ratio nur dann zulässig sein, wenn die schwerwiegende Gesundheitsgefährdung nicht auf andere Art und Weise abwendbar ist bzw. andere Maßnahmen als unzumutbar erscheinen.[179] Anders als der Tatbestandsausschluss in § 218a Abs. 1 StGB ist ein auf einer medizinisch-sozialen Indikation beruhender Schwangerschaftsabbruch zeitlich an keine Frist gebunden und somit bis zum Zeitpunkt des Einsetzens der Eröffnungswehen möglich.[180]
b) Kriminologische Indikation (Abs. 3)
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Die kriminologische Indikation stellt einen Unterfall der medizinisch-sozialen Indikation dar und setzt gemäss § 218a Abs. 3 StGB voraus, dass die Schwangere Opfer einer rechtswidrigen Tat nach den §§ 176–178 StGB wurde.[181] Darüber hinaus müssen dringende Gründe, d.h. ein hoher Wahrscheinlichkeitsgrad, darauf schließen lassen, dass die Schwangerschaft die Folge dieser rechtswidrigen Tat darstellt.[182] Gleichsam wie unter Abs. 2 erfolgt die Beurteilung des Vorliegens der Indikationsvoraussetzungen nach ärztlicher Erkenntnis.[183] Ebenso müssen auch die allgemeinen Rechtfertigungsvoraussetzungen von § 218a Abs. 2 StGB vorliegen, d.h. eine Einwilligung der Schwangeren sowie eine Vornahme des Schwangerschaftsabbruchs durch einen Arzt (sog. Arztvorbehalt).[184] Zudem ist der Schwangerschaftsabbruch aufgrund einer kriminologischen Indikation innerhalb der ersten zwölf Wochen seit der Empfängnis vorzunehmen.[185] Sind die soeben erläuterten Voraussetzungen erfüllt, so ist der aufgrund einer kriminologischen Indikation durchgeführte Schwangerschaftsabbruch nicht rechtswidrig.[186]
c) Exkurs: Embryopathische Indikation
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Die ehemals bis im Jahre 1995 geltende embryopathische Indikation sah vor, dass ein Schwangerschaftsabbruch aufgrund einer Behinderung, d.h. einer nicht behebbaren Gesundheitsschädigung des ungeborenen Kindes, bis zum Ende der 22. Schwangerschaftswoche zulässig war.[187] Dabei musste die zu erwartende Gesundheitsschädigung eine Unzumutbarkeit für die Schwangere zur Austragung des Kindes darstellen.[188] Im Unterschied zur geltenden medizinisch-sozialen Indikation war allerdings nicht erforderlich, dass auch eine Gefahr für das Leben oder die Gesundheit der Schwangeren bestehen musste.[189] Die embryopathische Indikation stellte demzufolge eine Sonderregelung zu den weiteren Indikationen dar, entscheidend war somit lediglich die Frage der Zu- bzw. Unzumutbarkeit für die Schwangere.[190] Mit der Änderung des Strafgesetzbuchs im Jahr 1995 wurde die embryopathische Indikation allerdings verworfen und ist seither in der medizinisch-sozialen Indikation aufgegangen, da auch diese Indikation einen Schwangerschaftsabbruch zu rechtfertigen vermag, wenn der Abbruch angezeigt ist, um die „Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen